Die Leitlinien sind von Richtern der Familiensenate des Brandenburgischen Oberlandesgerichts erarbeitet worden. Sie sind keine verbindlichen Rechts- oder Rechtsanwendungssätze, dienen aber dem Ziel, die Rechtsprechung möglichst zu vereinheitlichen. Die Leitlinien gelten ab 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2003.
I. Einkommen
1. Nettoeinkommen
1. Zum Einkommen gehören alle Einkünfte und geldwerten Vorteile, zum Beispiel Arbeitsverdienst (inklusive anteiligen Urlaubs- und Weihnachtsgeldes sowie sonstiger Einmalleistungen, anteilig auf den Monat umgelegt), Renten, Zinsen, Wohnvorteil. Vom Bruttoeinkommen sind Steuern und Vorsorgeaufwendungen abzuziehen. Zu diesen zählen Aufwendungen für die gesetzliche Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung oder die angemessene private Kranken- und Altersvorsorge sowie die Vorsorge für den Fall der Pflegebedürftigkeit.
2. Überstundenvergütungen werden dem Einkommen zugerechnet, soweit sie in geringem Umfang anfallen oder berufsüblich sind. Ist der Mindestbedarf minderjähriger Kinder oder des Ehegatten, der sie betreut, sowie volljähriger unverheirateter Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, die im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden, nicht gedeckt, erfolgt die Zurechnung unabhängig von Umfang und Berufsüblichkeit. Im Übrigen ist die Zurechnung unter Berücksichtigung des Einzelfalles nach Treu und Glauben zu beurteilen. Diese Grundsätze gelten auch für Einkünfte aus einer Nebentätigkeit.
3. Auslösungen und Spesen werden dem Einkommen zugerechnet, soweit dadurch eine Ersparnis eintritt oder Überschüsse verbleiben. Im Zweifel kann davon ausgegangen werden, dass eine Ersparnis eintritt oder Überschüsse verbleiben, die mit einem Drittel der Nettobeträge zu bewerten und insoweit dem anrechenbaren Einkommen zuzurechnen sind.
4. Wohngeld ist unter Beachtung des Wohnkostenbedarfs als Einkommen zu berücksichtigen (vgl. BGH, FamRZ 1982, 587).
5. Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe gelten als Einkommen, Arbeitslosenhilfe auf Seiten des Unterhaltsberechtigten aber nur, soweit der Unterhaltsanspruch nicht auf den zuständigen Leistungsträger übergegangen ist.
6. Wohnt der Unterhaltsberechtigte oder der Unterhaltspflichtige im eigenen Haus oder in der ihm gehörenden Eigentumswohnung, so ist der Wohnwert unter Berücksichtigung verbrauchsunabhängiger Kosten als Einkommen anzurechnen. Der Wohnwert errechnet sich regelmäßig unter Zugrundelegung des üblichen Entgelts für ein vergleichbares Objekt. Er kann im Einzelfall auch darunter liegen (vgl. BGH, FamRZ 1998, 899 ff.; FamRZ 2000, 950 ff.).
2. Bereinigtes Einkommen (Abzüge)
7. Berufsbedingte Aufwendungen sind im Rahmen des Angemessenen vom Arbeitseinkommen abzuziehen. Sie können in der Regel mit einem Anteil von 5% des Nettoeinkommens angesetzt werden, wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine Schätzung bestehen. Werden höhere Aufwendungen geltend gemacht oder liegt ein Mangelfall vor, so sind sämtliche Aufwendungen im Einzelnen darzulegen und nachzuweisen; gegebenenfalls ist zu schätzen (§ 287 ZPO). Für berufsbedingte Fahrten, insbesondere für Fahrten zum Arbeitsplatz (Hin- und Rückfahrt), werden die Kosten einer notwendigen Pkw-Benutzung mit einer Kilometerpauschale von 0,22 EUR berücksichtigt.
8. Angemessene Zinsen und Tilgungsraten auf Schulden, die aus der Zeit des ehelichen Zusammenlebens herrühren oder deren Begründung als Folge der Trennung oder aus sonstigen Gründen unumgänglich waren, sind einkommensmindernd zu berücksichtigen. Den Interessen minderjähriger Kinder ist besonders Rechnung zu tragen. Rechtlich vorrangige Unterhaltsverbindlichkeiten sind vorweg vom Einkommen abzuziehen.
II. Selbstbehalt
9. Der Selbstbehalt ist der Monatsbetrag, der dem Unterhaltspflichtigen zur Bestreitung seines eigenen Unterhalts bleiben muss.
10. Der notwendige Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen beträgt gegenüber minderjährigen Kindern und dem sie betreuenden Ehegatten sowie gegenüber volljährigen unverheirateten Kindern bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, die im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden, 775 EUR. Darin ist ein Mietanteil (Kaltmiete) von etwa 235 EUR enthalten.
11. Der angemessene Selbstbehalt beträgt gegenüber anderen volljährigen Kindern 925 EUR. Darin ist ein Mietanteil (Kaltmiete) von etwa 280 EUR enthalten.
12. Der Selbstbehalt gegenüber dem getrennt lebenden und geschiedenen Ehegatten, der kein minderjähriges Kind der Ehegatten betreut, wird in der Regel bei 850 EUR liegen (billiger Selbstbehalt). Darin ist ein Mietanteil (Kaltmiete) von etwa 255 EUR enthalten.
13. Der angemessene Selbstbehalt beträgt gegenüber den Eltern des Unterhaltspflichtigen 1.155 EUR. Darin ist ein Mietanteil (Kaltmiete) von etwa 350 EUR enthalten.
14. Der angemessene Selbstbehalt beträgt in den Fällen des § 1615 l BGB gegenüber der Mutter oder dem Vater 925 EUR. Darin ist ein Mietanteil (Kaltmiete) von etwa 280 EUR enthalten.
15. Sind die Einkünfte des Unterhaltspflichtigen insgesamt oder im Wesentlichen keine Erwerbseinkünfte, vermindern sich die Selbstbehaltssätze um jeweils 100 EUR. Die in den Selbstbehaltssätzen enthaltenen Mietanteile (Kaltmiete) vermindern sich entsprechend. Der Selbstbehalt gem. Nr. 10 mit der etwaigen Minderung nach Nr. 15 gilt auch als Orientierung für den Notbedarf des unterhaltsberechtigten Ehegatten bei Getrenntleben oder nach der Scheidung.
III. Kindesunterhalt
1. Minderjährige Kinder
16. Der Barunterhalt minderjähriger unverheirateter Kinder bestimmt sich nach den Altersstufen 1 bis 3 der Tabelle in Anlage I der Unterhaltsleitlinien. Die Anrechnung von Kindergeld erfolgt gemäß § 1612 b BGB. In welchem Umfang die Anrechnung in den Fällen des § 1612 b Abs. 5 BGB vorgenommen werden kann, wird der Kindergeldabzugstabelle (Ost) zur Berliner Tabelle zu entnehmen sein, die als Anlage II der Unterhaltsleitlinien zum 1. Januar 2002 veröffentlicht werden soll.
17. Die Tabellensätze sind ab einem Nettoeinkommen von 1.150 EUR identisch mit den für die Zeit ab 1. Januar 2002 geltenden Tabellensätzen der Düsseldorfer Tabelle. Bis zu einem Nettoeinkommen von 1.150 EUR stimmen die Tabellensätze der Altersstufen 1 bis 3 mit denjenigen der für die Zeit ab 1. Januar 2002 geltenden Berliner Tabelle überein. Die Vomhundertsätze Ost ab Gruppe b) werden gemäß § 1612 a Abs. 2 Satz 1 BGB errechnet.
18. Die Tabellensätze erfassen die Fälle, in denen eine Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehegatten und zwei Kindern besteht. Ist der Verpflichtete nur einem Kind gegenüber unterhaltspflichtig, kann eine Höhergruppierung auch um mehr als eine Einkommensgruppe in Betracht kommen.
19. Bei einer Mehrzahl von Unterhaltsberechtigten erfolgt eine Korrektur durch die generelle Regelung des Bedarfskontrollbetrages. Der Bedarfskontrollbetrag ist nicht identisch mit dem Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen. Er soll eine ausgewogene Verteilung des Einkommens zwischen dem Unterhaltspflichtigen und dem Unterhaltsberechtigten gewährleisten. Erreicht das dem Unterhaltspflichtigen nach Abzug aller gleichrangigen Unterhaltslasten (einschließlich des Ehegattenunterhalts) verbleibende bereinigte Einkommen nicht den für die Einkommensgruppe ausgewiesenen Bedarfskontrollbetrag, ist soweit herabzustufen, bis dem Unterhaltspflichtigen der entsprechende Kontrollbetrag verbleibt.
20. In den Unterhaltsbeträgen (Tabellensätzen) sind keine Krankenkassenbeiträge enthalten. Soweit das Kind nicht in einer Familienversicherung mitversichert ist, hat es zusätzlich Anspruch auf Zahlung der Krankenversicherungsbeiträge. Das Nettoeinkommen ist in diesen Fällen vor Einstufung in die entsprechende Einkommensgruppe vorweg um diese Beiträge zu bereinigen.
21. Erhält ein minderjähriges Kind Ausbildungsvergütung, so ist diese um den ausbildungsbedingten Mehrbedarf zu kürzen. Die Höhe des Mehrbedarfs bestimmt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Sie kann, wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine Schätzung bestehen, mit 80 EUR monatlich angenommen werden. Die verbleibende Ausbildungsvergütung ist zur Hälfte auf den Barunterhalt anzurechnen. Die andere Hälfte kommt dem betreuenden Elternteil zugute. Dies folgt aus der Gleichwertigkeit des Barunterhalts und des Beitrages, den der andere Elternteil durch die Betreuung leistet (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB).
2. Volljährige Kinder
22. Gegenüber volljährigen Kindern sind beide Elternteile barunterhaltspflichtig. Ihr Haftungsanteil bestimmt sich nach dem Verhältnis ihrer den jeweiligen Selbstbehalt übersteigenden Einkommen zueinander.
23. Volljährige Schüler, Studenten und Auszubildende, die noch im Haushalt eines Elternteils leben, erhalten den Tabellenbetrag der 4. Altersstufe der Tabelle in Anlage I der Unterhaltsleitlinien. Darin sind Kosten für eine Ausbildung im üblichen Rahmen enthalten. Der Tabellenbetrag richtet sich nach dem zusammengerechneten Einkommen beider Elternteile. Ein Elternteil hat jedoch höchstens den Unterhalt zu leisten, der sich allein nach seinem Einkommen ergibt.
24. Der Bedarf nicht im Haushalt eines Elternteils lebender Kinder beträgt regelmäßig 555 EUR monatlich. Kosten für eine Ausbildung im üblichen Rahmen sind darin enthalten. Bei guten wirtschaftlichen Verhältnissen kann sich eine Erhöhung des regelmäßigen Bedarfs rechtfertigen, im Allgemeinen aber nicht über den doppelten Betrag hinaus.
25. Eigene Einkünfte des volljährigen unterhaltsberechtigten Kindes sind auf seinen Bedarf anzurechnen. Eine Ausbildungsvergütung ist um ausbildungsbedingten Mehrbedarf, dessen Höhe sich nach Nr. 21 Satz 2 und 3 richtet, zu kürzen.
26. BAföG-Leistungen sind als Einkommen anzusehen, auch soweit sie als Darlehen gewährt werden, es sei denn, dass ihretwegen der Unterhaltsanspruch übergegangen ist.
IV. Ehegattenunterhalt
27. Dem unterhaltsberechtigten Ehegatten stehen regelmäßig 3/7 des Erwerbseinkommens und die Hälfte des nicht auf Erwerbstätigkeit beruhenden Einkommens des Pflichtigen als Unterhalt zu. Zum rechnerisch selben Ergebnis führt es, wenn man das Erwerbseinkommen mit 6/7 ansetzt (1/7 Erwerbstätigenbonus), das Nichterwerbseinkommen dagegen voll berücksichtigt und die Summe durch zwei teilt.
28. Der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten wird bestimmt und begrenzt durch den Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen bei der Scheidung (§ 1578 Abs. 1 S. 1 BGB). Das Gleiche ergibt sich für den getrennt lebenden Ehegatten aus § 1361 BGB. Leistet ein Ehegatte Unterhalt für ein Kind und hat dies bereits die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt, so wird das Einkommen vorab durch den Kindesunterhalt (Tabellenunterhalt ohne Abzug von Kindergeld) gemindert. Der Unterhaltsanspruch kann sich um trennungsbedingten Mehrbedarf erhöhen.
29. Haben beide Ehegatten (unterschiedlich hohe) Erwerbseinkünfte, so besteht der Unterhaltsanspruch in 3/7 der Differenz des beiderseitigen Einkommens. Wegen der Behandlung von Erwerbseinkünften des unterhaltsberechtigten Ehegatten aus einer nach Trennung oder Scheidung aufgenommenen oder ausgeweiteten Tätigkeit wird auf das Urteil des BGH vom 13.6.2001 (XII ZR 343/99) verwiesen.
30. Leben im Haushalt des Unterhaltspflichtigen oder des Unterhaltsberechtigten gemeinschaftliche minderjährige Kinder, so kann sich das anrechenbare Einkommen um Betreuungskosten (vor allem Kosten für eine notwendige Fremdbetreuung) mindern.
V. Mangelfälle
31. Reicht der Betrag, der zur Erfüllung mehrerer Unterhaltsansprüche zur Verfügung steht, nicht aus, um allen Unterhaltsberechtigten einen angemessenen oder auch nur notwendigen Unterhalt zu garantieren, so müssen der verschiedene Rang der Unterhaltsansprüche bzw. die Gleichrangigkeit von Ansprüchen beachtet werden.
32. Bei Gleichrangigkeit der zu befriedigenden Unterhaltsansprüche ist nach dem Urteil des BGH vom 16.04.1997 – XII ZR 233/95 – (FamRZ 1997, 806) zu verfahren. Der Einsatzbetrag für den Kindesunterhalt entspricht dem Bedarfsbetrag, der dem Kind bei voller Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach dessen Einkommen zustände. Soweit ein Mindestbedarf in Höhe von 135 % des Regelbetrages angenommen wird, liegt der Einsatzbetrag für den Kindesunterhalt nicht unterhalb dieses Mindestbedarfs. Der Einsatzbetrag für den Ehegattenunterhalt errechnet sich mit einer Quote des auch um den Kindesunterhalt (vgl. Nr. 28) gekürzten bereinigten Einkommens des Unterhaltspflichtigen. Der Vorwegabzug des Kindesunterhalts vom Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist gerechtfertigt, soweit sich daraus nicht ein Missverhältnis zum wechselseitigen Lebensbedarf der Beteiligten ergibt (vgl. BGH, FamRZ 1999, 367).