1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 8. Dezember 2008 – 21 UF 0400/08 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.
2. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Dresden zurückverwiesen.
3. Der Freistaat Sachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für ihre Tochter auf den Kindesvater.
1. Die Beschwerdeführerin ist Mutter der aus der mittlerweile geschiedenen Ehe mit dem Kindesvater hervorgegangenen, im September 2001 geborenen Tochter A. Im September 2005 trennten sich die Eltern, blieben jedoch vorerst beide in P. wohnen und praktizierten bezüglich des Aufenthalts des Kindes einvernehmlich ein sogenanntes „Wechselmodell“. Durch einstweilige Anordnung vom 21. September 2007 übertrug das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht antragsgemäß vorläufig auf die Beschwerdeführerin, die sodann mit der Tochter nach G. zog, wo auch ihr Lebensgefährte lebt. Hintergrund war die Angabe der Beschwerdeführerin gegenüber dem Gericht, ab Oktober 2007 bei G. eine Arbeitsstelle anzutreten; dies geschah in der Folge nicht. Gleichzeitig ordnete das Amtsgericht das Recht des Vaters auf Umgang mit dem Kind an jedem Wochenende von Freitag bis einschließlich Sonntag an. Im Zusammenhang mit dem Umzug lehnte A. kurzfristig den Kontakt zu dem mittlerweile wieder verheirateten, mit seiner Ehefrau und deren Tochter L. weiterhin in P. lebenden Vater ab. Ein vom Amtsgericht in Auftrag gegebenes, im Dezember 2007 vorgelegtes kinderpsychologisches Sachverständigengutachten empfahl unter Berufung auf den Kontinuitätsgrundsatz die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater.
a) Durch Urteil vom 28. Mai 2008 übertrug das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A. auf den Kindesvater. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe sich im Hinblick auf die Ankündigung der Arbeitsstelle als unzuverlässig erwiesen; das Gericht fühle sich „nahezu hinters Licht geführt“. Es bestünden Zweifel daran, dass die Beschwerdeführerin den Umgang mit dem Kindesvater aus Einsicht gewährt habe; ihre Aussage, nach der sie A. positiv auf den Wochenendumgang einstimme, sei angesichts dessen, dass sie dem Vater nun anlässlich des Umgangs Auffälligkeiten des Kindes anlasten wolle, wenig glaubhaft. So habe sie als Grund für die Nichteinhaltung der elterlichen Abrede, A. monatlich einmal für längere Zeit als ein Wochenende beim Vater zu lassen, angegeben, der Vater habe sich nicht „an die Absprache gehalten“ und das Kind in den alten Kindergarten gebracht. Dies aber sei nicht nachvollziehbar, da das Kind dort nicht verabschiedet worden sei, was auch die Sachverständige kritisch beurteilt habe.
b) Die gegen die Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts eingelegte Beschwerde der Beschwerdeführerin wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 8. Dezember 2008 zurück. Indem das Gericht von starken Bindungen zu beiden Eltern und gleichermaßen gegebener Erziehungsfähigkeit ausging, stützte es sich im Wesentlichen darauf, dass es der Beschwerdeführerin an der erforderlichen Bindungstoleranz fehle. Dies ergebe sich daraus, dass das Kind gegenüber der Verfahrenspflegerin angegeben habe, die Mutter sei immer ganz traurig, wenn es den Vater besuche. Zu Recht habe das Amtsgericht die Aussage der Beschwerdeführerin zur Vorbereitung A.s auf den Umgang als wenig glaubwürdig eingestuft. Außerdem habe die Beschwerdeführerin gegenüber einer Jugendamtsmitarbeiterin bekundet, sie fühle sich nicht wohl, wenn die Tochter beim Vater sei. Schließlich spreche auch die Art und Weise des Umzugs nach G., insbesondere die objektiv unrichtige Angabe des bevorstehenden Antritts einer Arbeitsstelle, mit der Eilbedürftigkeit vorgetäuscht worden sei, für die mangelnde Bindungstoleranz der Beschwerdeführerin. Dabei seien die Aufkündigung des Wechselmodells und die Verlegung des Wohnsitzes nach G. grundsätzlich nicht zu beanstanden. Der Kontinuitätsgrundsatz stehe, obwohl sich das Kind in G. gut eingelebt habe und wohlfühle, der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater nicht entgegen. Denn die Beschwerdeführerin habe den nochmaligen Aufenthaltswechsel und den dem Kind zuzumutenden Schulwechsel zu verantworten, da sie während des Hauptsacheverfahrens ohne Zustimmung des Kindesvaters und ohne Notwendigkeit nach G. gezogen sei und ein unbegründetes Ablehnungsgesuch gegen die Sachverständige eingereicht habe. Es sei auch nicht zu erwarten, dass die Rückkehr nach P. für das Kind belastender sei als die von der Mutter ertrotzte Beendigung des Wechselmodells durch den Umzug nach G. Der kontinuierlich geäußerte Wunsch des Kindes, bei der Mutter zu wohnen, rechtfertige eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf diese nicht; sein geäußerter Wille deute – angesichts der Äußerungen gegenüber der Verfahrenspflegerin – eher auf die Befindlichkeiten der Mutter als auf seine eigenen Bedürfnisse hin. A. opfere sich für ihre Mutter auf und gerate zur Prozesspartei. Dies sei bei der Anhörung des Kindes deutlich geworden („Jetzt müssen wir gewinnen. Ich bin das Kind meiner Mama, also bin ich eine zweite An.“).
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
3. Auf Antrag der Beschwerdeführerin setzte die Kammer im Wege der einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 11. Februar 2009 die Wirksamkeit des Beschlusses des Oberlandesgerichts Dresden vom 8. Dezember 2008 einstweilen bis zur Entscheidung der Hauptsache, längstens bis zum 11. August 2009, aus und ordnete für diese Dauer das Verbleiben der Tochter bei der Beschwerdeführerin an.
4. Aus den vom Bundesverfassungsgericht beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich Folgendes:
Im Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich erklärte die Beschwerdeführerin, dem Kindesvater solle ein großzügiges Umgangsrecht eingeräumt werden.
Gegenüber dem Jugendamt V. gab A. im März 2007 an, sie wolle bei der Mama wohnen und den Papa in den Ferien besuchen und mit ihm telefonieren; die Beschwerdeführerin schlug vor, der Vater könne das Kind an drei Wochenenden im Monat zu sich nehmen, wobei sie sich an den Fahrten beteiligen wolle. Im September 2007 äußerte A. gegenüber dem Jugendamt G., an das sich die Beschwerdeführerin ratsuchend gewandt hatte, weil das Kind am Wochenende nicht bereit gewesen sei, zum Vater zu gehen, es gefalle ihr bei der Mutti in G. viel besser und sie wolle nicht mehr zum Vater gehen. Die vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Beschwerdeführerin durch einstweilige Anordnung vom 21. September 2007 begründete das Amtsgericht unter anderem mit A.s nachvollziehbarer und glaubwürdiger Schilderung, sie fühle sich in G. wohl und sei dort mit der Mutter und deren Bekannten gern zusammen. Im Februar 2008 sprach die Beschwerdeführerin wegen körperlicher Auffälligkeiten A.s (Nägelkauen, Bauchschmerzen und Erbrechen) erneut beim Jugendamt G. vor. A. gab unter anderem an, sie müsse jedes Wochenende zum Vater, obwohl sie gar nicht wolle, dort breche und weine sie; stattdessen wolle sie auch ein Wochenende bei der Mutter bleiben und schlage vor, den Vater im Wechsel zu besuchen; sie habe ihren Vater gern, wolle aber viel lieber bei ihrer Mutter bleiben. Nach Einschätzung des Jugendamts scheine A. verzweifelt und könne nicht verstehen, dass niemand auf sie höre. Gegenüber der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche erklärte A. im Frühjahr 2008, sie sei traurig darüber, dass sie immer von einem zum anderen Elternteil müsse und wünsche sich, weiter bei Mama zu wohnen und abwechselnd jeweils ein Wochenende bei den Eltern sein zu dürfen.
Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 7. Mai 2008 beim Amtsgericht geht hervor, dass A. an jedem Wochenende von freitags 17.00 Uhr bis sonntags 19.00 Uhr beim Kindesvater war. Die im Termin angehörte Sachverständige erklärte unter anderem, sie habe mit den Eltern am 19. November 2007 und mit A. noch etwas früher letztmals persönlichen Kontakt gehabt. Sie vermute, die Einstellung der Mutter zum Umgang A.s mit ihrem Vater sei Ursache deren körperlicher Beschwerden; auch im Hinblick darauf verbleibe sie bei ihrem Vorschlag. Auf Frage, ob die vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter bis zur Entscheidung in der Hauptsache aufrechterhalten bleiben solle, erklärte sie, die zutage getretenen Probleme seien auch bei einer Abänderung zu erwarten. Die Vertreterin des Jugendamts V., die den letzten Kontakt mit A. am 14. März 2007 hatte, erklärte, die Beschwerdeführerin habe wörtlich geäußert: „Ich fühle mich nicht wohl, wenn A. bei ihm ist.“
Bereits im Januar 2007 kündigte die Beschwerdeführerin dem Gericht an, nach Abschluss ihrer Ausbildung in der Region keine Perspektiven für einen Arbeitsplatz zu haben; im Juli und im August 2007 teilte sie mit, ab Oktober eine Halbtagsstelle bei G. aufzunehmen; im Mai 2008 erklärte sie, die angekündigte Arbeitsstelle insbesondere aufgrund mangelnder Planbarkeit der Dienstzeiten mit Blick auf A.s Betreuung nicht angetreten zu haben.
5. Die Verfassungsbeschwerde wurde dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz und dem Kindesvater zugestellt, die beide die angegriffene Entscheidung verteidigen.
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt.
1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Elternrechts der Beschwerdeführerin geboten (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Dezember 2008 verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
a) Der einfachrechtliche Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts daran auszurichten, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (§ 1671 Abs. 2 Nr. 2, § 1697a BGB), ist allerdings nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gilt der – strengere – Maßstab des § 1696 Abs. 1 BGB („wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist“) dann nicht, wenn eine im Verfahren ergangene einstweilige Anordnung abgeändert werden soll. § 1696 BGB betrifft nur die Abänderung von Endentscheidungen (vgl. Coester, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2006, § 1696 Rn. 29).
b) Das den Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich gegenüber dem Staat gewährleistete Freiheitsrecht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder dient in erster Linie dem Kindeswohl, das zugleich oberste Richtschnur für die Ausübung der Elternverantwortung ist (vgl. BVerfGE 61, 358 <371 f.>; 75, 201 <218 f.>). Der Schutz des Elternrechts, das Vater und Mutter gleichermaßen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Für den Fall, dass die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Sorge fehlen, bedarf das Elternrecht der gesetzlichen Ausgestaltung (vgl. BVerfGE 92, 158 <178 f.>; 107, 150 <169, 173>). Dem dient § 1671 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 BGB, der bestimmt, dass einem Elternteil auf Antrag die elterliche Sorge oder ein Teil der elterlichen Sorge – beispielsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht – allein zu übertragen ist, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht (vgl. BVerfGK 2, 185 <188>).
Aus der grundrechtlichen Gewährleistung des Elternrechts wie auch aus der Verpflichtung des Staates, über dessen Ausübung im Interesse des Kindeswohls zu wachen, ergeben sich auch Folgerungen für das Prozessrecht und seine Handhabung in Sorgerechtsverfahren (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Eine dem Elternrecht genügende Entscheidung kann nur aufgrund der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls getroffen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 1995 – 1 BvR 1208/92 -, juris), bei der allerdings auch zu berücksichtigen ist, dass die Abwägung nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren ist (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Juni 2007 – 1 BvR 1426/07 -, juris).
Der Wille des Kindes ist zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist. Voraussetzung hierfür ist, dass das Kind in dem gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit erhält, seine persönlichen Beziehungen zu den Eltern erkennbar werden zu lassen. Die Gerichte müssen ihr Verfahren deshalb so gestalten, dass sie möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen können (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Mit der Kundgabe seines Willens macht das Kind zum einen von seinem Recht zur Selbstbestimmung Gebrauch. Denn jede gerichtliche Lösung eines Konflikts zwischen den Eltern, die sich auf die Zukunft des Kindes auswirkt, muss nicht nur auf das Wohl des Kindes ausgerichtet sein, sondern das Kind auch in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen, weil die sorgerechtliche Regelung entscheidenden Einfluss auf das weitere Leben des Kindes nimmt und es daher unmittelbar betrifft (vgl. BVerfGE 37, 217 <252>; 55, 171 <179>). Hat der unter diesem Aspekt gesehene Kindeswille bei einem Kleinkind noch eher geringes Gewicht, so kommt ihm im zunehmenden Alter des Kindes vermehrt Bedeutung zu (vgl. BVerfGK 9, 274 <281>; 10, 519 <524>). Nur dadurch, dass Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis ihres Kindes zu selbständigem verantwortungsvollem Handeln berücksichtigen (vgl. § 1626 Abs. 2 Satz 1 BGB), können sie das Ziel, ihr Kind zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu erziehen (vgl. § 1 Abs. 1 SGB VIII), erreichen. Die Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG entspringende Pflicht der Eltern, ihrem Kind Schutz und Hilfe angedeihen zu lassen, damit es sich zu einer solchen eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln kann, wie sie dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht (BVerfGE 24, 119 <144>), bezieht sich nicht nur auf das Kind, sondern obliegt den Eltern von Verfassungs wegen unmittelbar ihrem Kind gegenüber (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 1. April 2008 – 1 BvR 1620/04 -, juris).
Ein vom Kind kundgetaner Wille kann Ausdruck von Bindungen zu einem Elternteil sein, die es geboten erscheinen lassen können, ihn in dieser Hinsicht zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 55, 171 <180, 182 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 5. September 2007 – 1 BvR 1426/07 -, juris). Hat ein Kind zu einem Elternteil eine stärkere innere Beziehung entwickelt, so muss das bei der Sorgerechtsentscheidung berücksichtigt werden.
Zwar muss in Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz dem erkennenden Gericht überlassen bleiben, welchen Weg es im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen (vgl. BVerfGE 79, 51 <62>). Das Verfahren muss aber grundsätzlich geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen. Die Fachgerichte sind danach verfassungsrechtlich nicht stets gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Wenn sie aber von der Beiziehung eines Sachverständigen absehen, müssen sie anderweit über eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Januar 2006 – 1 BvR 526/04 -, juris; BVerfGK 9, 274 <279>).
Grundsätzlich ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereiches beruhen. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts aber nicht starr und gleichbleibend ziehen. Sie hängt namentlich von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab (BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr).
c) Im vorliegenden Fall ist das Oberlandesgericht diesen Maßstäben nicht gerecht geworden, sondern hat das Elternrecht der Beschwerdeführerin in Umfang und Tragweite verkannt; das vom Oberlandesgericht gewählte Verfahren bot nicht hinreichende Gewähr für die erforderliche umfassende Sachverhaltsaufklärung.
aa) Da das Oberlandesgericht zunächst feststellt, dass A. zu beiden Eltern starke Bindungen habe und in der Erziehungsfähigkeit beider Elternteile keine entscheidungserheblichen Unterschiede bestünden, stützt es seine Entscheidung ersichtlich auf die von ihm angenommene unzureichende Bindungstoleranz der Beschwerdeführerin. Als tatsächliche Anhaltspunkte für die mangelnde Bindungstoleranz der Beschwerdeführerin führt das Oberlandesgericht die Äußerung A.s gegenüber der Verfahrenspflegerin („dass die Mutter immer ganz traurig sei, wenn sie den Vater besuche“), die Erklärung der Beschwerdeführerin gegenüber der Vertreterin des Jugendamts („dass sie sich nicht wohl fühle, wenn A. bei ihrem Vater ist“) und die Art und Weise des Umzugs der Beschwerdeführerin an.
Es begegnet bereits Bedenken, einen so weitreichenden Vorwurf wie mangelnde Bindungstoleranz gegenüber der Beschwerdeführerin allein auf diese drei Punkte zu stützen. Insbesondere soweit das Oberlandesgericht in diesem Zusammenhang zwar grundsätzlich nichts gegen das Aufkündigen des Wechselmodells und die Verlegung des Wohnsitzes nach G. einwendet, dem Amtsgericht aber bescheinigt, der Beschwerdeführerin zurecht die die Arbeitsstelle betreffende objektiv unzutreffende Aussage vorgehalten und dies als Ausdruck mangelnder Bindungstoleranz gewertet zu haben, drängt sich – ungeachtet dessen, dass Hinweise auf eine bewusst unwahre Angabe der Beschwerdeführerin gegenüber dem Gericht fehlen – der Eindruck auf, dass diese Erwägungen stark vom Gedanken der Sanktionierung der Beschwerdeführerin beeinflusst sind.
Hinzu kommt, dass das Oberlandesgericht wesentliche, gegen eine Bindungsintoleranz der Beschwerdeführerin sprechende, Anhaltspunkte außer Acht lässt und damit eine Verkennung des Elternrechts der Beschwerdeführerin offenbart.
Feststellungen dahingehend, dass der Umgang A.s mit dem Kindesvater in irgendeiner Weise von der Beschwerdeführerin vereitelt wurde, trifft das Oberlandesgericht nicht. Stattdessen gelangt es an anderer Stelle selbst zu dem Ergebnis, A. habe den Kontakt nach P. nicht verloren, dort noch viele Freunde und insbesondere ein unbefangenes Verhältnis zur Tochter L. der jetzigen Ehefrau des Kindesvaters. Entsprechend erschließt sich, vom Oberlandesgericht ebenfalls unerörtert, in vielfacher Weise, dass die Beschwerdeführerin den dem Vater durch die einstweilige Anordnung – angesichts dessen, dass der Beschwerdeführerin danach kein Wochenende mit dem Kind blieb – großzügig eingeräumten Umgang auch tatsächlich gewährt hat. Soweit das Amtsgericht ausführt, die Beschwerdeführerin habe sich nicht an eine Abrede der Parteien gehalten, A. einmal monatlich für längere Zeit als ein Wochenende beim Antragsteller zu belassen, lässt dies erkennen, dass die Eltern eine – über die gerichtliche Anordnung hinausgehende – freiwillige Vereinbarung geschlossen hatten. Mit dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin – aus freien Stücken – überhaupt zu einer solch weitgehenden Abrede bereit war, setzt sich das Oberlandesgericht ebenso wenig auseinander wie mit der Feststellung der Sachverständigen, A. führe nahezu täglich Telefonate mit ihrem Vater.
Darüber hinaus kam es – laut Gutachterin – zeitgleich mit dem Umzug zu einer nur kurzfristigen Unterbrechung des Umgangs, da A. den Kontakt zum Vater ablehnte. Das Oberlandesgericht zieht in diesem Zusammenhang nicht in Erwägung, ob es – was naheliegend erscheint – möglicherweise der Einwirkung der Beschwerdeführerin oder gegebenenfalls der von ihr in Anspruch genommenen Hilfe Dritter zu verdanken war, dass der Umgang mit dem Vater nach kurzer Zeit wieder aufgenommen werden konnte. Insoweit ergibt sich aus den Berichten des Jugendamts G. vom 19. September 2007, 28. Februar 2008 und vom 22. Oktober 2008, dass die Beschwerdeführerin seit dem Umzug sowohl dessen Unterstützung gesucht als auch die Hilfe der Psychologischen Beratungsstelle für A. in Anspruch genommen hat.
Unbeleuchtet durch das Oberlandesgericht bleibt auch die Tatsache, dass sich die Beschwerdeführerin bereits in ihrem ursprünglichen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und – ebenso wie der Kindesvater – gegenüber der Sachverständigen unproblematisch auch für die Zukunft zu weitgehenden Umgangskontakten bereitgefunden hat.
bb) Soweit das Oberlandesgericht mit der Begründung, einen nochmaligen Wechsel des Wohnortes sowie einen Schulwechsel habe die Beschwerdeführerin, die aus ihrem Verhalten keine Vorteile ziehen dürfe, zu verantworten, annimmt, der Kontinuitätsgrundsatz stehe der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater nicht entgegen und der Schulwechsel sei A. zuzumuten, offenbaren diese Formulierungen in kaum verhohlener Deutlichkeit, dass insoweit nicht das Kindeswohl, sondern die Sanktionierung der Beschwerdeführerin für angebliches Fehlverhalten (Umzug nach G. und Ablehnungsantrag gegen die Gutachterin) im Vordergrund stand. In gleicher Weise spricht auch die Ausführung, es komme nicht entscheidend darauf an, dass sich A. gut in G. eingelebt habe und dort wohlfühle, da ausschließlich die Beschwerdeführerin einen nochmaligen Wechsel des Kindes zu verantworten habe, für eine inakzeptable Vernachlässigung des Kindeswohls. Das Oberlandesgericht lässt im Rahmen der Erörterung des Kontinuitätsgrundsatzes in keiner Weise erkennen, dass es sich der möglicherweise für A. eintretenden subjektiven Folgen eines Wegzugs aus dem Wohnumfeld der vergangenen 15 Monate, einer Trennung von der Beschwerdeführerin als Hauptbetreuungsperson und eines Grundschulwechsels bewusst war.
Eine gleichermaßen unzulängliche Berücksichtigung des Kindeswohls (wiederum zugunsten einer versteckten Sanktionierung der Beschwerdeführerin) lässt auch die Erwägung des Gerichts vermuten, es sei nicht zu erwarten, dass die Rückkehr nach P. für A. belastender sei als die von der Mutter ertrotzte Beendigung des Wechselmodells durch den Umzug nach G. Denn darin kommt der Vergleich der Belastung A.s durch den bevorstehenden Umzug nach P. mit jener durch den früheren Umzug nach G. zum Ausdruck. Maßstab für eine kindeswohlgerechte Entscheidung darf jedoch nicht sein, ob eine erneute Veränderung einschneidender als eine vergangene sein wird, sondern ob die in Betracht kommende Umstellung nachteiliger für das Kind als die Beibehaltung der aktuellen Situation wäre.
cc) Durchgreifenden Bedenken begegnet es auch, dass das Oberlandesgericht dem geäußerten Willen A.s letztlich keine Bedeutung zumisst.
Das Oberlandesgericht geht offenbar von einer massiven Beeinflussung des Kindes durch die Beschwerdeführerin aus („Von der klammernden Antragsgegnerin in eine Koalition gezwungen, opfert sich A. für ihre Mutter auf und wird nachgerade zur Prozesspartei“). Beide dafür angeführte Begründungen erscheinen äußerst problematisch. Soweit das Gericht die Verfahrenspflegerin zitiert, der Kindeswille deute eher auf Befindlichkeiten der Beschwerdeführerin als auf die Bedürfnisse des Kindes hin, bleibt diese Behauptung völlig ohne Beleg, zumal A.s Bedürfnisse gar nicht festgestellt werden. Das Gericht setzt sich auch nicht mit der – nicht fernliegenden – Möglichkeit auseinander, dass die Befindlichkeiten der Mutter den Bedürfnissen des Kindes entsprechen und der – kontinuierlich während der Dauer von knapp 21 Monaten geäußerte – Wunsch A.s, bei der Mutter zu bleiben, Ausdruck engerer persönlicher Bindungen zur Beschwerdeführerin ist. Dies gilt gerade für die Äußerung des Kindes „Jetzt müssen wir gewinnen“, die vom Oberlandesgericht zu Unrecht dem Zusammenhang („Die Mama hab ich ein bisschen lieber als den Papa. Das haben wir doch schon vor dem ersten Richter gesagt. Aber da haben wir nicht gewonnen. Jetzt müssen wir gewinnen.“) entnommen und mit einer an gänzlich anderer Stelle und in völlig anderem Kontext gefallenen Aussage des Kindes („Ich bin das Kind meiner Mama, also bin ich eine zweite An.“, dem folgt: „Das sagen Oma, Opa und Mama. …“) in Verbindung gebracht wird. Beide Zitate sind in ihrem wahren Zusammenhang kaum mehr geeignet, den Schluss auf eine „klammernde Antragsgegnerin“, die ihre Tochter „in eine Koalition gezwungen“ hat, zu belegen.
Gegen diese Annahmen spricht auch die – besonders hervorgehobene („für Kinder keine Selbstverständlichkeit“) – Beobachtung der Sachverständigen im Herbst 2007, A. lege gegenüber beiden Elternteilen und – insbesondere auch in Anwesenheit des jeweils anderen Elternteils – gegenüber deren jeweiligen Lebensgefährten einen ungezwungenen und herzlichen Umgang an den Tag. Damit setzt sich das Oberlandesgericht nicht auseinander.
Das Oberlandesgericht lässt bei der Bewertung des Kindeswillens auch außer Acht, dass A. zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits knapp 15 Monate (seit Mitte September 2007 bis Anfang Dezember 2008) in G. lebte und dort seit drei Monaten in die Grundschule ging, in der es ihr, wie sie bereits am 9. Oktober 2008 – bestätigt durch die Einschätzung der Klassenlehrerin A.s – gegenüber dem Jugendamt angab, gut gefalle und wo sie schon viele Freunde habe. Das Gericht, das an anderer Stelle selbst davon ausgeht, dass sich A. gut in G. eingelebt habe und sich dort wohlfühle, setzt sich nicht damit auseinander, inwieweit der geäußerte Wille des Kindes auch und gerade Spiegel dessen sein könnte.
Zu Recht postuliert das Oberlandesgericht zwar die doppelte Funktion des Kindeswillens als Ausdruck der empfundenen Personenbindung einerseits und der Selbstbestimmung des Kindes andererseits, verliert aber gerade den zweiten Aspekt völlig aus dem Blick, wenn es gegen die Berücksichtigung des Wunsches, bei der Mutter zu bleiben, ins Feld führt, es entspreche nicht dem Kindeswohl, A. die Entscheidung gegen den Vater aufzubürden.
dd) Schließlich begegnet auch das vom Oberlandesgericht gewählte Verfahren erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Bei der Beurteilung der Bindungstoleranz der Beschwerdeführerin, der Folgen eines nochmaligen Umzugs unter Durchbrechung der Kontinuität und deren Auswirkungen auf das Kindeswohl sowie bei der Einordnung des Kindeswillens hat das Oberlandesgericht seine kinderpsychologische Sachkunde nicht dargetan.
Das Gericht hätte insoweit nicht ohne ergänzende sachverständige Beurteilung entscheiden dürfen. Denn die von ihm herangezogenen Erkenntnisquellen machten die Einholung eines Ergänzungsgutachtens nicht entbehrlich; diese boten ersichtlich keine hinreichende Gewähr dafür, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Erkenntnisgrundlage zu verschaffen. Soweit sich der Senat auf die Einschätzung der Verfahrenspflegerin beruft, ist nicht erkennbar, dass diese über kinderpsychologischen Sachverstand verfügt. Auf das schriftliche Gutachten vom 5. Dezember 2007 allein durfte sich das Oberlandesgericht nicht stützen, da die Beurteilung der Sachverständigen auf einem über ein Jahr in der Vergangenheit liegenden Sachstand beruhte und damit wesentliche Entwicklungen (ununterbrochener Aufenthalt A.s in G. seit insgesamt knapp 15 Monaten, Schulbeginn) nicht berücksichtigen konnte. Auch das Protokoll über die ergänzende Anhörung der Sachverständigen durch das Amtsgericht am 7. Mai 2008 war insoweit nicht ergiebig. Denn diesem war kein eindeutiger und klarer Vorschlag der Sachverständigen zu entnehmen. Zudem hatte die Sachverständige vor der Anhörung keinen erneuten Kontakt mit A. und den Kindeseltern. Schließlich war es ihr angesichts des Anhörungszeitpunktes auch noch nicht möglich, den Schulbeginn des Kindes und dessen für die Entscheidung des Oberlandesgerichts maßgebliche Aufenthaltsdauer in G. bei ihrer Bewertung zu berücksichtigen. Zur erneuten Heranziehung der Sachverständigen hätte sich das Gericht insbesondere auch deshalb veranlasst sehen müssen, weil diese ihren Vorschlag im Dezember 2007, A. solle zum Vater wechseln, noch mit dem Kontinuitätsgrundsatz begründet hatte, während das Oberlandesgericht nunmehr umgekehrt den Kontinuitätsgrundsatz als dem Wechsel des Kindes nicht entgegenstehend betrachtete.
d) Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Dezember 2008 beruht auf dem Verstoß gegen das Elternrecht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberlandesgericht bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles und ausreichender Ermittlung des Sachverhalts das Aufenthaltsbestimmungsrecht für A. der Beschwerdeführerin übertragen hätte.
2. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
BVerfG, Beschluss vom 18.05.2009
1 BvR 142/09
OLG Dresden, Beschluss vom 08.12.2008
21 UF 0400/08