I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Frankenthal (Pfalz) vom 15. April 2010 geändert und der Antrag der Antragstellerin abgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.700,00 €
festgesetzt.
IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute und streiten um Kindesunterhalt für ihre am 7. Juli 2009 geborene Tochter A…, die sich seit der Trennung bei der Antragstellerin aufhält. Diese hat eine Lehre in einer Bäckerei absolviert, ab 7. Juli 2010 ist sie arbeitslos gemeldet. Seitdem bezieht sie für ihre Tochter Leistungen nach dem UVG in Höhe von monatlich 113,00 €.
Der Antragsgegner ist Kameruner. Er hat im Jahr 2000 in Kamerun sein Abitur abgelegt und befindet sich seit März 2002 in der Bundesrepublik Deutschland. Hier war er zunächst als Student der Universität H… im Fach Mathematik eingeschrieben, ohne allerdings Kurse zu belegen. Nach Sprachkursen studierte er ab Frühjahr 2005 an der Universität D… Mechatronik, und zwar bis zum Sommersemester 2009. Da er keine Leistungen nach dem Bafög erhält, finanziert er seinen Lebensunterhalt durch Aushilfstätigkeiten. Im Oktober 2008 haben die Parteien in Dänemark geheiratet, bereits seit Anfang Dezember 2009 leben sie getrennt voneinander. Zum Wintersemester 2009/2010 hat der Antragsgegner das Studienfach gewechselt. Er absolviert derzeit ein Wirtschaftsstudium in L….
Die Antragstellerin hat für ihre Tochter den Mindestunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle gefordert. Sie hat geltend gemacht, dem Antragsgegner sei ein entsprechendes Einkommen fiktiv zuzurechnen. Er könne sich nicht darauf berufen, sein Studium fortzuführen. Vielmehr sei er im Hinblick auf das abgebrochene Studium in D… verpflichtet, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Hierdurch könne er mindestens 10,00 € pro Stunde brutto erzielen. Außerdem sei er im Hinblick auf die gesteigerte Unterhaltsverpflichtung gegenüber der minderjährigen Tochter zur Aufnahme einer Nebentätigkeit verpflichtet.
Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten und hat geltend gemacht, das Mechatronik–Studium in D… sei ein Orientierungsfehler gewesen. Er glaube, dass er die Prüfung nicht bestanden hätte. Anschließend hätte er bis zur erneuten Prüfung ein Jahr warten müssen, was schon insgesamt eine Verzögerung von zwei Jahren bedeute. Mit dem jetzt begonnenen Wirtschaftsstudium könne er international mehr anfangen. Es dauere insgesamt sechs Semester.
Das Amtsgericht – Familiengericht – hat die Beteiligten angehört und sodann mit dem angefochtenen Beschluss der Unterhaltsklage in Höhe von monatlich 225,00 € für die Zeit ab April 2010 stattgegeben. Dazu wird auf die Entscheidung (Bl. 42–46 d.A.) Bezug genommen.
Hiergegen macht der Antragsgegner im Wege der Beschwerde geltend:
Entgegen der Auffassung des Familiengerichts sei er nicht verpflichtet, sein Studium abzubrechen. Er habe einen Anspruch auf Abschluss seiner Berufsausbildung. Zwischen den Parteien habe bezüglich des Studienwechsels Einigkeit bestanden. Die Fortführung des neuen Studiums sei auch sinnvoll, da es für ihn wesentlich bessere Perspektiven biete, zumal sich die Ausbildung allenfalls um ein Jahr verzögere. Nur durch einen qualifizierten Berufsabschluss werde der künftige Lebensunterhalt des Kindes hinreichend gesichert. Als ungelernter Arbeiter könne ihm allenfalls ein Gehalt in Höhe von 7,50 € pro Stunde zugerechnet werden.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Amtsgerichts– Familiengericht – Frankenthal (Pfalz) vom 15. April 2010 dahingehend abzuändern, dass der Antrag, den Antragsgegner zur Zahlung von Unterhalt zu verpflichten, zurückgewiesen wird.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen und höchst fürsorglich
den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht – Familiengericht – zurückzuverweisen.
Die Antragstellerin verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und macht zu den Einwänden der Beschwerde geltend:
Der Antragsteller könne sich nicht auf einen Orientierungsfehler berufen, denn ein etwaiges Missverständnis habe spätestens nach ein bis zwei Semestern erkannt werden müssen. Nach der Schwangerschaft und Geburt des Kindes sei er verpflichtet gewesen, regelmäßige Arbeit aufzunehmen, um dessen Unterhalt sicherzustellen.
II.
Die Beschwerde ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
Gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG–RG ist für das Verfahren das ab September 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit nach diesem Zeitpunkt eingeleitet wurde. Die Beschwerdeschrift ist deshalb mit Recht an das Amtsgericht gerichtet und dort auch fristgerecht eingegangen, §§ 63 Abs. 1 und 3, 64 Abs. 1 und 2 FamFG.
Das Rechtsmittel führt auch in der Sache zum Erfolg. Anders als das Familiengericht ist der Senat der Auffassung, dass angesichts der hier zu beurteilenden besonderen Umstände derzeit kein Kindesunterhalt geschuldet ist. Insbesondere ist der Antragsgegner nicht verpflichtet, dass zum Wintersemester 2009/10 begonnene zweite Studium abzubrechen, um seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem minderjährigen Kind nachkommen zu können. Besteht kein Unterhaltsanspruch, kann offen bleiben, ob und ggf. in welchem Umfang die Antragstellerin nach Bezug von Unterhaltsvorschussleistungen überhaupt noch berechtigt wäre, die Forderung geltend zu machen.
1. Im Ausgangspunkt geht das Familiengericht mit Recht davon aus, dass als Anspruchsgrundlage nur die §§ 1601 ff. BGB in Betracht kommen. Hinsichtlich des für die Vergangenheit beanspruchten Unterhalts ist nur noch die Zeit ab April 2010 in Streit. Zu diesem Zeitpunkt war bereits mit der Zustellung am 6. März 2010 Rechtshängigkeit eingetreten. Die Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB sind mithin erfüllt.
2. Gemäß § 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Nach den allgemein für Verwandte geltenden Vorschriften richtet sich das Maß des zu gewährenden “angemessenen Unterhalts” grundsätzlich nach den Lebensverhältnissen des Bedürftigen, § 1610 Abs. 1 BGB. Das Recht des Kindesunterhalts ist aber dadurch gekennzeichnet, dass minderjährige Kinder ohne Einkommen keine eigene, unterhaltsrechtlich relevante Lebensstellung im Sinne des § 1610 Abs. 1 BGB besitzen. Dementsprechend besteht auch hier an der Unterhaltsbedürftigkeit der minderjährigen Tochter kein Zweifel. Der Antragsgegner wendet nicht etwa ein, sie besitze Vermögen und sei deshalb in der Lage, sich selbst zu unterhalten.
3. Die gemeinsame Tochter, deren Anspruch hier von ihrer Mutter im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft gemäß § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB geltend gemacht wird, leitet ihre Lebensstellung daher von derjenigen ihrer unterhaltspflichtigen Eltern ab. Lebt sie bei einem Elternteil und wird sie von diesem versorgt und betreut, so bestimmt sich ihre Lebensstellung grundsätzlich nach den Einkommens– und Vermögensverhältnissen des anderen, barunterhaltspflichtigen Elternteils. Dessen wirtschaftliche Verhältnisse prägen also die Lebensstellung des unterhaltsberechtigten minderjährigen Kindes und bestimmen damit das Maß des ihm zustehenden Unterhalts im Sinne des § 1610 Abs. 1 BGB (vgl. BGH NJW–RR 1996, 321, 322; NJW 2002, 1669, 1670).
4. Weiter trifft es zu, dass den Antragsgegner gemäß § 1603 Abs. 2 BGB gegenüber seiner minderjährigen Tochter eine gesteigerte Leistungspflicht trifft. Er hat alle verfügbaren Mittel heranzuziehen, um den angemessenen Unterhalt des minderjährigen Kindes sicherzustellen. Verfügt der Unterhaltsschuldner – wie hier der Antragsgegner als Student, der lediglich im Rahmen des ihm zu belassenden Selbstbehalts seinen eigenen Lebensunterhalt durch Aushilfstätigkeiten finanziert – nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel, ist ihm ein Einkommen (fiktiv) zuzurechnen, sofern er das Fehlen bzw. die Minderung seiner Leistungsfähigkeit zu vertreten hat. Ein dahingehendes unterhaltsrechtliches Fehlverhalten ist dem Antragsgegner nach dem Ergebnis der eingehenden Anhörung durch den Senat jedoch nicht vorzuwerfen.
a) Ist das Recht des unterhaltspflichtigen Elternteils auf Ausbildung betroffen, genießt nämlich das Recht eines Kindes auf Unterhalt keineswegs uneingeschränkten Vorrang, auch wenn dadurch der Unterhaltsanspruch eingeschränkt oder zeitweise ausgeschlossen wird. Das gilt insbesondere, wenn es darum geht, erstmals eine abgeschlossene Berufsausbildung zu erlangen. Denn die Erlangung einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf gehört zum eigenen Lebensbedarf des Unterhaltspflichtigen, den er grundsätzlich vorrangig befriedigen darf. Im Rahmen der hierzu im Einzelfall vorzunehmenden Abwägung aller Interessen ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass der Erwerb einer abgeschlossenen Berufsausbildung den Unterhaltspflichtigen in die Lage versetzen wird, den Kindesunterhalt dauerhaft und in betragsmäßig deutlich größerem Umfang zu sichern als dies durch eine Erwerbstätigkeit als ungelernte Kraft möglich ist (vgl. etwa Viefhues in: juris PK–BGB 5. Aufl. 2010 § 1603 Rn. 322.2, 324; Weinreich/Klein FA–FamR 3. Aufl. § 1602 Rn. 30 f. jew. m.w.N.). Im Einzelnen gilt danach:
b) Der Antragsgegner ist mit dem Schulabschluss des Abiturs in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er verfügt bislang über keinen beruflichen Abschluss. In der Vergangenheit hat er nur ungelernte Tätigkeiten ausgeübt, mit dem Ziel, seinen Lebensunterhalt während des Studiums zu finanzieren und damit über eine fundierte Berufsausbildung zu verfügen.
c) Ein Abbruch des Studiums an der Universität H… im Fach Mathematik kann dem Antragsgegner nicht vorgehalten werden. Dazu hat er nachvollziehbar dargelegt, dass eine Einschreibung dort lediglich “proforma” erfolgt sei, um überhaupt die Voraussetzungen für eine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu schaffen. Sodann hat er folgerichtig – als wesentliche Voraussetzung für die weitere Ausbildung und das nachfolgende Berufsleben – Sprachkurse zum Erlernen ausreichender Deutschkenntnisse absolviert.
d) Eine fiktive Einkommenszurechnung kommt aber auch nicht deshalb in Betracht, weil er das sodann begonnene Mechatronik–Studium in D… (erst) nach 10 Semestern ohne Abschluss abgebrochen hat. Die Gründe für diesen Schritt hat er gegenüber dem Senat nachvollziehbar dargelegt. Eine einmalige persönliche Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten und Chancen ist – wie auch zum Ausbildungsunterhalt anerkannt – keineswegs außergewöhnlich. Sie ist nach Ansicht des Senats jedenfalls dann nicht unterhaltsrechtlich vorwerfbar, wenn schon – wie hier – die Start– und Ausgangsbedingungen als besonders schwierig einzustufen sind.
Der Antragsgegner entstammt einem fremden Kulturkreis. Er verfügte bei seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland über keine Kenntnisse der deutschen Sprache. Fundierte Sprachkenntnisse sind aber wesentliche Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss der als Abiturient berechtigterweise eingeschlagenen akademischen Laufbahn. Dem Antragsgegner ist daher im Vergleich zu einheimischen Studenten eine längere Orientierungsphase zuzubilligen; er durfte zunächst darauf vertrauen, im Laufe der Zeit in der Lage zu sein, seine Leistungen zu steigern. Bleiben dann gleichwohl nach einer relativ langen Studiendauer die erhofften Erfolge aus und gelangt er zur Erkenntnis, angesichts bisher erzielter Ergebnisse und der Anforderungen der bevorstehenden Prüfung nicht in der Lage zu sein, einen erfolgreichen Abschluss als Grundlage für den Einstieg ins Berufsleben zu erwerben, ist dies unterhaltsrechtlich mit Blick auf die besondere persönliche Situation des Antragsgegners hinzunehmen.
Allerdings wird er gehalten sein, das nunmehr begonnene Studium – wie angekündigt – zügig zu betreiben. Geschieht dies nicht mit ausreichendem Einsatz in dem von ihm selbst vorgegebenen Zeitrahmen, wird er in Anbetracht der gesteigerten Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Tochter künftig auf die Ausübung ungelernter Tätigkeiten zu verweisen sein.
III.
Die Kostenentscheidung des danach erfolgreichen Rechtsmittels folgt aus §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 91 ZPO.
Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit ist nicht veranlasst, § 116 Abs. 3 FamFG.
Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 40 Abs. 1, 51 Abs. 1 FamGKG.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) sind nicht gegeben. Es handelt sich um eine Entscheidung des Einzelfalls, die keine rechtsgrundsätzlichen Fragen im Sinne der vorgenannten Vorschrift aufwirft.
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25.11.2010
6 UF 72/10