Die Rückforderung von Leistungen, die aufgrund eines nichtigen Prozessvergleichs erbracht worden sind, kann jedenfalls dann im Wege eines neuen Rechtsstreits erfolgen, wenn das Ursprungsverfahren, in dem der Vergleich geschlossen worden ist, rechtskräftig beendet ist (Abgrenzung zu BGHZ 142, 253 = NJW 1999, 2903).
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. April 2011 durch die Richter Dose, Weber-Monecke, Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Nedden-Boeger
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 13. Zivilsenats – 1. Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Koblenz vom 25. März 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückzahlung von Trennungsunterhalt in Anspruch.
2
Die Parteien waren miteinander verheiratet. Am 24. Juli 2003 schlossen sie vor dem Familiengericht in einem über Trennungs- und Kindesunterhalt geführten Rechtsstreit (20 F 612/02) einen Vergleich. Dabei offenbarte die Beklagte nicht, dass sie außer Einkünften aus einer Halbtagstätigkeit bereits seit April 2003 über weiteres Einkommen in Höhe von monatlich 400 € aus einer geringfügigen Beschäftigung verfügte. Nachdem der Kläger hiervon Kenntnis erlangt hatte, erklärte er die Anfechtung des Vergleichs wegen arglistiger Täuschung und machte den Sachverhalt im Rahmen einer bereits erhobenen Abände-rungsklage geltend, mit der er erreichen wollte, dass ab Januar 2004 kein Tren-nungsunterhalt mehr geschuldet werde. Während das Amtsgericht der Klage stattgab, hob das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Beklagten auf und wies die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Anfechtung des Klägers auch zur Unwirksamkeit des Ver-gleichs geführt habe, so dass dieser nicht Grundlage einer Abänderungsklage sein könne. Die Unwirksamkeit sei im Ausgangsverfahren geltend zu machen.
In dem daraufhin fortgeführten Verfahren 20 F 612/02 wurde der Kläger im Juli 2007 verurteilt, Trennungsunterhalt bis einschließlich März 2003 zu zahlen; für die Zeit ab April 2003 wurde die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte wegen des ausgeurteilten Unterhalts teilweise Erfolg; die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen.
Im vorliegenden Rechtsstreit, der seit Ende Dezember 2005 anhängig ist, begehrt der Kläger die Rückzahlung des für die Zeit von April 2003 bis August 2004 in Höhe von monatlich 491 € gezahlten Unterhalts zuzüglich Zinsen und angefallener Vollstreckungskosten.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das angefochtene Urteil abgeändert und die Klage als unzulässig abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision des Klägers
Entscheidungsgründe:
Gegen die im Verhandlungstermin nicht vertretene Beklagte ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Dieses beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis; es berücksichtigt den gesamten Sach- und Streitstand (vgl. BGHZ 37, 79, 81 ff.).
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1. Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2009, 1696 veröffentlicht ist, hat die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs im vorliegenden Verfahren für treuwidrig gehalten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei der Streit darüber, ob ein Prozessvergleich nichtig sei, grundsätzlich in Fortführung des Ursprungsverfahrens auszutragen. Darüber hinaus habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass grundsätzlich auch der Anspruch auf Rückerstattung der aufgrund des Vergleichs erbrachten Leistungen durch Fortsetzung des Ausgangsverfahrens geltend zu machen sei, weshalb das Rechtsschutzbedürfnis für eine neue Klage zu verneinen sei. Daher habe der im Januar 2006 im vorliegenden Verfahren zugestellten Klage zunächst das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt. Dies gelte nach rechtskräftiger Beendigung des Ausgangsverfahrens zwar nicht mehr. Die prozessuale Situation, bei der nicht mehr auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis abgestellt werden könne, habe der Kläger aber in treuwidriger Weise erlangt. Er habe das vorliegende Verfahren im Hinblick auf das Ausgangsverfahren nach der mündlichen Verhandlung vom 6. Juli 2006 nicht mehr betrieben und erst Ende 2007 – zunächst formal – wieder aufgenommen, um nach der Beendigung jenes Verfahrens die Forderung in dem vorliegenden Rechtsstreit weiterzuverfolgen. Auch die Geltendmachung verfahrensrechtlicher Rechte unterliege den Grundsätzen von Treu und Glauben und könne mit der Folge verwirkt werden, dass die Rechte nicht mehr ausgeübt werden dürften. Die Verwirkung setze einen längeren Zeitraum voraus, wäh-renddessen die Möglichkeit der Einleitung von Verfahrensschritten bestanden habe. Diese Möglichkeit müsse dem Berechtigten bewusst gewesen sein. Da-bei stehe der positiven Kenntnis regelmäßig gleich, wenn die fragliche Streitfra-ge in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit längerem geklärt sei. Das sei hier der Fall gewesen. Zudem sei der Ausgangspunkt der Rechtsprechung in der Senatsentscheidung in dem Abänderungsverfahren nochmals deutlich ge-macht worden. Wenn der Kläger gleichwohl über zumindest zwei Jahre hin nicht die Konsequenzen hieraus gezogen habe, so bleibe die bereits ursprüng-lich wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässige Klage auch wei-terhin aus dem Gesichtspunkt der prozessualen Verwirkung unzulässig.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis nicht stand.
a) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Der Prozessvergleich hat eine Doppelnatur: Er ist einerseits Prozesshandlung, deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Verfahrensrechts bestimmt, und andererseits privates Rechtsgeschäft, für das die Regeln des materiellen Rechts gelten (hM, vgl. etwa BGHZ 142, 253 = NJW 1999, 2903 f. und Senatsurteil vom 24. Oktober 1984 – IV b ZR 35/83 – FamRZ 1985, 166 jeweils mwN). Da die Prozesshandlung nur die “Begleitform” für einen materiell-rechtlichen Vergleich ist, verliert sie ihre Wirksamkeit, wenn der materielle Ver-gleich seinerseits unwirksam ist oder wird; dem Vergleich wird die verfahrensrechtliche Wirkung der Prozessbeendigung entzogen, wenn er aus sachlich-rechtlichen Gründen unwirksam ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Streit darüber, ob ein Prozessvergleich nichtig ist, deshalb in Fortführung des Ursprungsverfahrens auszutragen. Maßgeblich hierfür ist vor allem die Erwägung, dass ein nichtiger Prozessvergleich nicht zur Beendigung des Ursprungsverfahrens geführt hat; einer neuen Klage würde daher, jedenfalls soweit mit ihr das ursprüngliche Prozessziel bei unverändert gebliebenem Streitgegenstand weiterverfolgt werden soll, der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit entgegenstehen (BGHZ 142, 253 = NJW 1999, 2903 f.; BGHZ 87, 227 = NJW 1983, 2034 f. jeweils mwN).
b) Das Berufungsgericht hat ebenfalls richtig gesehen, dass der Bundesgerichtshof in Fortführung dieser Rechtsprechungsgrundsätze das Rechtsschutzbedürfnis auch für eine neue Klage verneint hat, mit der die Leistungen zurückgefordert werden, die aufgrund eines nichtigen Vergleichs erbracht worden sind. Das soll jedenfalls dann gelten, wenn die Leistungen ausschließlich die durch den Vergleich auf eine neue Grundlage gestellte Klageforderung des Ursprungsverfahrens betreffen (BGHZ 142, 253 = NJW 1999, 2903 f.). Zwar sei die Rückforderung der erbrachten Leistungen gegenüber der Ursprungsforderung ein anderer Streitgegenstand. Sie beruhe auf einem anderen Klagegrund, nämlich der behaupteten Unwirksamkeit des Prozessvergleichs. Dies bedeute jedoch, dass die Entscheidung in der Sache in gleicher Weise wie die Weiterverfolgung der ursprünglichen Klageforderung von der Wirksamkeit des Vergleichs abhänge. Deshalb würden die gegen ein Rechtsschutzbedürfnis für eine neue Klage sprechenden Umstände in vollem Umfang auch insoweit gelten.
Die Entscheidung hat teilweise Zustimmung gefunden (Zöller/Stöber ZPO 28. Aufl. § 794 Rn. 15 a; Musielak/Lackmann ZPO 7. Aufl. § 794 Rn. 21; Erman/Terlau BGB 12. Aufl. § 779 Rn. 31; im Ergebnis zustimmend: Becker-Eberhard ZZP 113, 366, 372), teilweise aber auch Kritik erfahren (Münzberg JZ 2000, 422 ff.; Stein/Jonas/Münzberg ZPO 22. Aufl. § 794 Rn. 61, 77; Staudinger/Marburger BGB [2009] § 779 Rn. 116; Wolfsteiner in MünchKomm-ZPO 3. Aufl. § 794 Rn. 74; Grunsky LM ZPO § 794 Abs. 1 Ziff. 11 Nr. 44; Heinrich WuB VII A § 794 ZPO 1.00). Die Gegenansicht stellt im Wesentlichen darauf ab, dass der Rückforderungsklage ein anderer Streitgegenstand zugrun-de liege; der Anspruch könne deshalb auch außerhalb des Vorprozesses ein-geklagt werden.
c) Ob der vorgenannten Entscheidung gleichwohl zu folgen ist, kann – wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat – im vorliegenden Fall dahinstehen. Denn das – fortgeführte – Ausgangsverfahren ist durch Urteil des Berufungsgerichts vom 10. März 2008 rechtskräftig abgeschlossen, eine Rechtsverfolgung in jenem Verfahren mithin nicht mehr möglich. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine neue Klage kann deshalb im Hinblick auf das Ausgangsverfahren nicht mehr verneint werden.
d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger die prozessuale Situation, in der nicht mehr auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis abgestellt werden kann, nicht in treuwidriger Weise erlangt. Er hat insbesondere nicht das Recht, den Rückzahlungsanspruch einzuklagen, verwirkt.
aa) Das Berufungsgericht hat seine gegenteilige Ansicht damit begründet, die Notwendigkeit der Fortsetzung des Ursprungsverfahrens sei in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit längerem geklärt. Zudem sei der Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung in dem Urteil vom 10. März 2008 nochmals deutlich gemacht worden. Wenn der Kläger hieraus gleichwohl über zwei Jahre keine Konsequenzen gezogen habe, so bleibe die ursprünglich wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässige Klage wegen Verwirkung unzulässig.
bb) Diese Erwägungen vermögen die Annahme der Verwirkung indessen nicht zu rechtfertigen. Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre (sogenanntes Zeitmoment) und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (sogenanntes Umstandsmoment; st.Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 12. März 2008 – XII ZR 147/05 – NJW 2008, 2254 Rn. 22 mwN).
Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung betrifft allein das sogenannte Zeitmoment. Dass die Beklagte aus dem zeitweisen Nichtbetreiben des vorliegenden Rechtsstreits berechtigterweise den Schluss ziehen konnte, der Beklagte werde den Rechtsstreit nicht mehr aufnehmen und sein Recht nicht mehr geltend machen, ist deshalb nicht festgestellt. Dafür ist auch sonst nichts ersichtlich. Wie die Revision zu Recht geltend gemacht hat, hat der Kläger das Verfahren, dessen Ruhen in der mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht vom 6. Juli 2006 angeordnet worden war, mit Schriftsatz vom 31. Dezember 2007 wieder aufgenommen und um Anberaumung eines Termins gebeten. Mit Verfügung vom 8. Januar 2008 wurde ihm daraufhin vom Familiengericht der Hinweis erteilt, dass der Ausgang des Rechtstreits bei dem Oberlandesgericht abgewartet werden sollte.
Der Kläger hat zu dem Hinweis mit Schriftsatz vom 15. Januar 2008 Stellung genommen und mitgeteilt, es würden keine Einwendungen erhoben, wenn das Gericht im April terminiere, und für den Fall, dass eine Entscheidung des Oberlandesgerichts in der anderen Sache noch nicht vorliege, dieser Termin wieder aufgehoben und neuer Termin bestimmt werde.
Bei dieser Sachlage durfte die Beklagte sich aber nicht darauf einrichten, der Kläger werde den Klageanspruch nicht weiterverfolgen. Vielmehr musste ihr aufgrund des auch ihr zugegangenen gerichtlichen Hinweises und der Stellungnahme des Klägers hierzu bewusst sein, dass dieser lediglich den Ausgang des Ursprungsverfahrens abwarten würde.
3. Danach kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Der Senat ist nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu entscheiden. Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das nunmehr über die Begründetheit der Klage zu befinden haben wird.
BGH, Versäumnisurteil vom 06.04.2011
XII ZR 79/09
AG Koblenz, Entscheidung vom 18.09.2008
20 F 1/06
OLG Koblenz, Entscheidung vom 25.03.2009
13 UF 623/08