Für die Frage, ob es bei einem bereits vorliegenden Abstammungsgutachten an einer den Anspruch aus § 1598 a BGB ausschließenden ausreichend sicheren naturwissenschaftlichen Klärung fehlt, sind formale Kriterien der Gutachtenserstattung wie etwa die Akkreditierung des Labors nur maßgeblich, wenn ihre Nichterfüllung der Begutachtung die Verlässlichkeit nimmt und daher einer objektiven Gewissheit der Abstammung entgegensteht.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. November 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats Familiensenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 23. Februar 2021 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Wert: 1.000 €
Gründe
I.
Der Antragsteller macht gegen seinen Sohn und dessen Mutter den Anspruch auf Klärung der leiblichen Abstammung nach § 1598 a Abs. 1 Satz 1 BGB geltend.
Der Antragsteller (Beteiligter zu 1) ist deutscher Staatsangehöriger, der im Jahr 1998 geborene Antragsgegner (Beteiligter zu 3) und seine Mutter (Antragsgegnerin; Beteiligte zu 2) haben die ungarische Staatsangehörigkeit und seit der Geburt des Sohnes ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Ungarn. Dort wurde auch ein gerichtliches Verfahren durchgeführt, das die Vaterschaft des Antragstellers und seine Verpflichtung zur Zahlung von Kindesunterhalt zum Gegenstand hatte. Nach Einholung eines Abstammungsgutachtens des gerichtsmedizinischen Instituts Budapest vom 5. Juni 2008, das aufgrund von DNA-Untersuchungen die Vaterschaft des Antragstellers mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9969878 % als praktisch erwiesen angesehen hatte, wurde mit Urteil des ungarischen Gerichts vom 10. Februar 2009 die Vaterschaft des Antragstellers rechtskräftig festgestellt und der Antragsteller zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet.
Im März 2015 hat der Antragsteller beim Amtsgericht beantragt, die Zustimmung der beiden Antragsgegner in eine genetische Abstammungsuntersuchung gerichtlich zu ersetzen und sie zu verpflichten, die Entnahme einer Speichelprobe zu dulden. Zur Begründung hat er vorgetragen, das damalige Sachverständigengutachten weise erhebliche Mängel auf und entspreche weder den damaligen noch den heutigen wissenschaftlichen Standards. Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde der Antragsgegner hat das Oberlandesgericht den amtsgerichtlichen Beschluss abgeändert und den Antrag zurückgewiesen. Diese Entscheidung hat der Senat mit Beschluss vom 10. Juli 2019 (XII ZB 33/18 FamRZ 2019, 1543) aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, das nach Durchführung einer Beweisaufnahme erneut auf Abänderung des amtsgerichtlichen Beschlusses und Antragsabweisung erkannt hat.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der er nach wie vor das Ziel der Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses verfolgt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zwar zulässig und dabei insbesondere nach § 70 Abs. 1 FamFG statthaft, weil der Senat an die vom Oberlandesgericht ausgesprochene Zulassung unabhängig vom Vorliegen eines Zulassungsgrundes gebunden ist. Sie bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg, weil das Oberlandesgericht einen Anspruch des Antragstellers nach § 1598 a BGB zu Recht verneint hat.
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Die vom Antragsteller geltend gemachte Fehlerhaftigkeit des ungarischen Abstammungsgutachtens habe sich nicht bestätigt. Vielmehr sei dieses nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geeignet, dem Antragsteller die ausreichend sichere naturwissenschaftliche Gewissheit und damit Kenntnis der Abstammung des Antragsgegners von ihm zu vermitteln, weil es mit einem Wahrscheinlichkeitswert (W-Wert) von 99,996 % in Bezug auf den Schwellenwert zur Feststellung einer Vaterschaft auch den heute geltenden wissenschaftlichen Standard erfülle, nach dem ein W-Wert von mindestens 99,9 % dem verbalen Prädikat „Vaterschaftshypothese praktisch erwiesen“ entspreche.
Soweit sich der Antragsteller auf formale Mängel des ungarischen Abstammungsgutachtens berufe, könnten diese weder allein noch in der Gesamtschau mit den gerügten Umständen inhaltlicher Art Zweifel an seiner Vaterschaft begründen. Das Gutachten beruhe auf genetischen Daten, die hinsichtlich des Antragstellers im Institut für Immunologie und Serologie der Universität Heidelberg und hinsichtlich der Antragsgegner in Budapest erhoben worden seien. Dabei seien in Heidelberg zehn und in Budapest jeweils 15 STR-Polymorphismen untersucht worden. Nur acht der DNA-Systeme seien miteinander vergleichbar gewesen, so dass unschädlich sei, dass die sieben weiteren in Budapest untersuchten DNA-Systeme in dem Abstammungsgutachten nicht aufgelistet seien. Dass dieses Gutachten nicht alle allgemeinen formalen Anforderungen der am 26. Juli 2012 in Deutschland in Kraft getretenen Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission (GEKO) und des Gendiagnostikgesetzes bzw. der von der Bundesärztekammer veröffentlichten Richtlinie für die Erstattung von Abstammungsgutachten erfülle, führe nicht zu seiner Unbrauchbarkeit. Es bestehe kein Grund, die Ergebnisqualität der durchgeführten Analysen anzuzweifeln.
Die im Gutachten verwendeten acht STR-Systeme hätten nach den Berechnungen des gerichtlichen Sachverständigen eine sog. Allgemeine Vaterschafts-Ausschließungs-Chance (AVACH) von 99,97 % und würden damit nur in einem von 3.333 vergleichbaren Abstammungsfällen den unverwandten Mann nicht ausschließen. Die Auswahl der hier verwendeten acht STR-Systeme habe ausschließlich davon abgehangen, welche Daten von Heidelberg aus für den Antragsteller zur Verfügung gestellt worden seien, so dass es sich um eine zufällige Auswahl ohne Kenntnis der möglichen Ergebnisse handele. Für den Fall, dass der Antragsteller mit dem Antragsgegner nicht verwandt sei, würde man mindestens zwei bis drei Ausschlusskonstellationen erwarten. Auf der Grundlage des im Abstammungsgutachten errechneten W-Werts von 99,996 %, den der gerichtliche Sachverständige mit ihm vorliegenden populationsgenetischen Daten sogar mit 99,998 % berechnet habe, würde ein untersuchter Mann nur in einem von 25.000 gleich gelagerten Fällen noch fälschlich als Vater festgestellt werden. Aus fachwissenschaftlicher Sicht genüge das Ergebnis von 99,996 %, um eine abschließende Entscheidung über die Abstammung des Kindes zu treffen, zumal nach der aktuellen GEKO-Richtlinie bereits bei einem W-Wert von 99,9 % und damit einer Fehlerrate von 1:1.000 eine Vaterschaft als „praktisch erwiesen“ bezeichnet werden könne.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Wie der Senat bereits im Beschluss vom 10. Juli 2019 (XII ZB 33/18 FamRZ 2019, 1543) entschieden hat, ist in vorliegendem Fall die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben, deutsches Recht anwendbar und das Klärungsbegehren nicht deshalb treuwidrig im Sinne des § 242 BGB, weil der Antragsteller die Einwendungen gegen das Abstammungsgutachten nicht bereits in dem ungarischen Verfahren erhoben hat. Gleichwohl steht dem Antragsteller der geltend gemachte Anspruch aus § 1598 a BGB nicht zu, weil die tatgerichtliche Würdigung, dass die Abstammung des Antragsgegners vom Antragsteller bereits durch das ungarische Abstammungsgutachten geklärt ist, keinen Rechtsbedenken begegnet.
a) Nach § 1598 a Abs. 1 Satz 1 BGB können Vater, Mutter und Kind zur Klärung der leiblichen Abstammung des Kindes voneinander verlangen, in eine genetische Abstammungsuntersuchung einzuwilligen und die Entnahme einer für die Untersuchung geeigneten genetischen Probe zu dulden. Gemäß § 1598 a Abs. 2 BGB hat das Familiengericht auf Antrag eines Klärungsberechtigten eine nicht erteilte Einwilligung zu ersetzen und die Duldung einer Probeentnahme anzuordnen.
Nach der Rechtsprechung des Senats setzt der Anspruch aus § 1598 a Abs. 1 Satz 1 BGB voraus, dass die leibliche Abstammung des Kindes nicht bereits durch ein Abstammungsgutachten geklärt ist. Eine solche Klärung liegt regelmäßig dann vor, wenn schon etwa in einem Verfahren auf Bestehen oder Nichtbestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses oder auch als Folge des Anspruchs aus § 1598 a Abs. 1 Satz 1 BGB ein Abstammungsgutachten eingeholt worden ist. Ausnahmsweise kann allerdings auch in diesem Fall ein in die Vortragslast des Anspruchsinhabers fallendes Bedürfnis nach (weiterer) Klärung und damit ein Anspruch gemäß § 1598 a Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben sein. Ein solches Bedürfnis kann sich zum einen daraus ergeben, dass die bereits erfolgte Begutachtung fehlerhaft durchgeführt worden und das vorliegende Abstammungsgutachten daher nicht geeignet ist, dem Anspruchsinhaber die ausreichend sichere naturwissenschaftliche Gewissheit und damit Kenntnis der leiblichen Abstammung zu vermitteln. Zum anderen kann es an einer Klärung im Sinne des § 1598 a Abs. 1 BGB fehlen, wenn das frühere Gutachten lediglich zu einem Grad der Gewissheit geführt hat, der dem nach aktuellen wissenschaftlichen Standards zu erreichenden eindeutig unterlegen ist. Dies wiederum scheidet jedenfalls dann aus, wenn der in dem schon erstellten Gutachten ermittelte Wahrscheinlichkeitsgrad nach wie vor zur höchstmöglichen Wahrscheinlichkeitsstufe („Vaterschaft praktisch erwiesen“) führen würde (Senatsbeschlüsse vom 30. November 2016 XII ZB 173/16 FamRZ 2017, 219 Rn. 14 ff. und vom 10. Juli 2019 XII ZB 33/18 FamRZ 2019, 1543 Rn. 27).
b) Ausgehend hiervon ist das Oberlandesgericht den vom Antragsteller gegen das ungarische Abstammungsgutachten erhobenen Einwänden nachgegangen und sachverständig beraten zu dem Ergebnis gelangt, dass der darin ermittelte Wahrscheinlichkeitsgrad seine wissenschaftliche Aussagekraft nicht durch Fehler in der auch die Entnahme und Analyse der Proben umfassenden Gutachtenserstellung verliert (diese Möglichkeit verkennend Schwonberg FamRZ 2019, 1546, 1547). Das ist auch in Anbetracht der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rügen rechtsfehlerfrei.
aa) Ohne Erfolg verweist die Rechtsbeschwerde darauf, dass das ungarische Abstammungsgutachten nicht alle Anforderungen der am 26. Juli 2012 in Kraft getretenen Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission (Bundesgesundheitsblatt 2013, 169 ff.; im Folgenden: Richtlinie 2012) und des im Wesentlichen am 1. Februar 2010, hinsichtlich der Bestimmung zur Qualitätssicherung genetischer Analysen am 1. Februar 2011 in Kraft getretenen Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen vom 31. Juli 2009 (Gendiagnostikgesetz GenDG; BGBl. I S. 2529) bzw. der von der Bundesärztekammer im Jahr 2002 veröffentlichten Richtlinie für die Erstattung von Abstammungsgutachten (Deutsches Ärzteblatt 2002, A-665 ff.; im Folgenden: Richtlinie 2002) erfülle.
Das ergibt sich nicht nur daraus, dass diese zudem überwiegend nach dem Gutachten datierenden Regelwerke keine Geltung für die ungarische Gutachtenspraxis beanspruchen können. Es folgt vor allem aus der Zielrichtung des § 1598 a BGB, der allein beim Fehlen einer ausreichend sicheren naturwissenschaftlichen Klärung eingreift. Hierfür sind jedoch formale Kriterien wie etwa die von § 5 GenDG normierte und von der Rechtsbeschwerde wiederholt thematisierte Akkreditierung des Labors nur maßgeblich, wenn ihre Nichterfüllung der Begutachtung die Verlässlichkeit nimmt und einer objektiven Gewissheit der Abstammung entgegensteht. Davon, dass eben dies hier nicht der Fall ist, hat sich das Oberlandesgericht aber sachverständig beraten überzeugt.
Entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung wird damit den genannten Regelwerken nicht die Bedeutung für Abstammungsbegutachtungen in Deutschland, um die es vorliegend im Übrigen nicht geht, abgesprochen.
bb) Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch, dass das Oberlandesgericht die ausreichend sichere naturwissenschaftliche Gewissheit bejaht hat, obwohl in dem Abstammungsgutachten lediglich acht statt der in der ohnehin auf die ungarische Begutachtung nicht anwendbaren Richtlinie 2002 (dort 2.4.2.1) geforderten zwölf und der Richtlinie 2012 (dort 7.2.1) 15 STR-Systeme untersucht worden sind. Der gerichtliche Sachverständige hat bestätigt, dass der auf dieser Grundlage im Abstammungsgutachten ermittelte W-Wert von 99,996 % zutreffend und nach seinen eigenen Berechnungen sogar geringfügig zu niedrig sei.
Dem hat die Rechtsbeschwerde nichts Rechtserhebliches entgegenzusetzen. Dass der gerichtliche Sachverständige zur Überprüfung des Abstammungsgutachtens eigene Berechnungen angestellt hat, ist nicht nur unbedenklich, sondern war hier erforderlich, um die Validität des im Abstammungsgutachten ausgewiesenen Werts zu untersuchen. In diesem Zusammenhang hat er auch die AVACH errechnet, die sich aus der Verwendung der acht STR-Systeme ergab. Obwohl diese mit 99,97 % nicht den Wert erreichte, der in den Richtlinien 2002 genannt ist (2.4.2: 99,99 %), hat der Sachverständige den im Abstammungsgutachten ausgewiesenen W-Wert bestätigt, wonach der Antragsteller mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,996 % also bei einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 1:25.000 der Vater des Antragsgegners ist. Diese übersteigt den W-Wert von 99,9 %, der einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 1:1.000 entspricht und ab dem selbst nach der Richtlinie 2012 (dort 9.5) die „Vaterschaft praktisch erwiesen“ ist, um ein Vielfaches. Damit unterliegt keinem Zweifel, dass die Abstammung durch das in Ungarn erstellte Gutachten naturwissenschaftlich ausreichend sicher geklärt ist.
Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird schließlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass die AVACH im Abstammungsgutachten nicht genannt ist. Dabei kann dahinstehen, dass die Rüge der Rechtsbeschwerde, die Angabe sei schon nach der (wiederum: für Ungarn nicht anwendbaren) Richtlinie 2002 verpflichtend gewesen, weder vom Text der Richtlinie 2002 noch dem der Richtlinie 2012 getragen wird, weil diese lediglich das Vorliegen, nicht aber die Nennung eines (Mindest-)Werts verlangen (vgl. Richtlinie 2002 unter 2.4.2. bzw. Richtlinie 2012 unter 6.1 und 9.7). Denn maßgeblich für die Frage der Abstammungsklärung ist der W-Wert und dessen durch den gerichtlichen Sachverständigen bestätigte inhaltliche Richtigkeit. Schon aus diesem Grund geht im Übrigen die auch sachlich unzutreffende Rüge der Rechtsbeschwerde ins Leere, das Oberlandesgericht habe Vorbringen des Antragstellers im Schriftsatz vom 3. Oktober 2020 gehörswidrig übergangen.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
BGH, Beschluss vom 17.11.2021
XII ZB 117/21
AG Mannheim, Entscheidung vom 01.06.2016
2 F 90/15
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 23.02.2021
2 UF 179/16