1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin werden der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Freiburg im Breisgau vom 24.01.2024 in Ziffer 2 des Tenors und das Verfahren insoweit aufgehoben und die Sache an das Familiengericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens – zurückverwiesen.
2. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.703 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Eltern streiten um die Befugnis zur Geltendmachung von Kindesunterhalt.
Die miteinander verheirateten Antragstellerin und Antragsgegner sind die Eltern von vier Kindern, von denen eines noch minderjährig ist. Das Scheidungsverfahren zwischen den Beteiligten ist anhängig (Az. 39 F 2485/23 AG Freiburg). Die minderjährige Tochter xxx xxx xxx xxx, geb. 2011, wird von den Beteiligten im hälftigen Wechselmodell betreut.
Im vorliegenden Verfahren macht die Antragstellerin für sich und in eigenem Namen für die minderjährige Tochter xxx Unterhalt im Wege des Stufenantrags geltend. Sie trägt vor, der Antragsgegner habe auf eine außergerichtliche Aufforderung zur Auskunftserteilung nicht reagiert.
Das Familiengericht ordnete das schriftliche Vorverfahren an. Mit dem angefochtenen Teil-Versäumnisbeschluss und Teil-Endbeschluss vom 24.01.2024 verpflichtete es in Ziffer 1 des Tenors im Wege der Säumnis den Antragsgegner zur Auskunft im Rahmen des Trennungsunterhalts. In Ziffer 2 des Tenors wies es den Stufenantrag auf Auskunft und Zahlung von Kindesunterhalt als unzulässig ab, da die Antragstellerin das minderjährige Kind im paritätischen Wechselmodell nicht vertreten könne. Der Beschluss wurde der Antragstellerin zugestellt am 26.01.2024.
Gegen Ziffer 2 des Tenors des Beschlusses vom 24.01.2024 richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin mit Anwaltsschriftsatz vom 23.02.2024, eingegangen beim Familiengericht am gleichen Tag. Die Antragstellerin sei berechtigt, für das Kind Auskunft und Zahlung zu verlangen. Es werde beantragt, der Beschwerde abzuhelfen und einen entsprechenden Beschluss zu erlassen. Außerdem hat die Antragstellerin die Zurückverweisung an das Familiengericht beantragt.
Der Antragsgegner – nunmehr anwaltlich vertreten – beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen. Der Antrag der Antragstellerin sei unzulässig.
Der Senat hat die Beteiligten auf den Beschluss des Senats vom 15.03.2024 (Az. 5 UF 219/23) hingewiesen und darauf, dass voraussichtlich ohne erneute mündliche Verhandlung entschieden wird.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff., 117 FamFG zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Die Antragstellerin ist in einem eigenen Recht nach § 59 FamFG betroffen, da ihr Antrag abgewiesen wurde.
2. Auf die Beschwerde der Antragstellerin ist das Verfahren unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Amtsgericht – Familiengericht – zurückzuverweisen.
a) Die Entscheidung beruht, nachdem der Antragsgegner sich nunmehr anwaltlich vertreten gegen den Antrag der Antragstellerin verteidigt, nicht mehr auf der Säumnis des Antragsgegners.
b) Die Antragstellerin ist befugt, den Kindesunterhalt für die minderjährige Tochter geltend zu machen.
In der vorliegenden Konstellation eines paritätischen Wechselmodells verheirateter Eltern ist die Vorschrift des § 1629 Abs. 3 BGB (analog) anzuwenden.
aa) Die Vorschrift des § 1629 Abs. 3 BGB ist hier nach herrschender Lehre wohl nicht unmittelbar anwendbar. Obwohl § 1629 Abs. 3 BGB nach seinem Wortlaut nicht voraussetzt, dass der Kindesunterhalt begehrende Elternteil Obhüter ist, ergibt sich nach allgemeiner Ansicht das Tatbestandsmerkmal der Obhut des Elternteils, der Unterhaltsansprüche geltend macht, aus dem systematischen Zusammenhang mit Abs. 2 S. 2 (vgl. etwa Grüneberg/Götz, BGB, 83. Auflage 2024, § 1629 Rn. 28; MünchKomm/Huber, BGB, 9. Auflage 2024, § 1629 Rn. 93; Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Auflage 2020, § 1629 BGB Rn. 17; OLG Brandenburg vom 17.09.2019 – 13 UF 154/19, juris Rn. 7). An einer Obhut eines Elternteils fehlt es hier.
(1) Der Begriff der Obhut knüpft an die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse an. Ein Kind befindet sich in der Obhut desjenigen Elternteils, bei dem der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Betreuung liegt, der mithin die elementaren Lebensbedürfnisse des Kindes nach Pflege, Verköstigung, Kleidung, ordnender Gestaltung des Tagesablaufs und ständig abrufbereiter emotionaler Zuwendung vorrangig befriedigt oder sicherstellt. Wenn die Eltern ihr Kind in der Weise betreuen, dass es in etwa gleich langen Phasen abwechselnd jeweils bei dem einen und dem anderen Elternteil lebt (Wechselmodell), lässt sich ein Schwerpunkt der Betreuung nicht ermitteln. Das hat zur Folge, dass kein Elternteil die Obhut im Sinne von § 1629 Absatz 2 Satz 2 BGB innehat (vgl. BGH vom 12.03.2014 – XII ZB 234/13, juris Rn. 16).
Die Ermittlung der beiderseitigen Betreuungsanteile orientiert sich an den im Voraus vereinbarten Betreuungszeiten (Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger/Bullmann, jurisPK-BGB, 10. Auflage 2023, § 1629 BGB Rn. 60). Denn die Beendigung eines vereinbarten und praktizierten Wechselmodells gegen den Willen des anderen Elternteils kann nicht durch das einseitige Schaffen von Fakten geschehen, sondern müsste durch einen entsprechenden Antrag beim Familiengericht gemäß § 1684 Absatz 1 BGB erfolgen (vgl. OLG Stuttgart vom 01.03.2023 – 11 UF 214/22, juris Rn. 18 und BGH vom 27.11.2019 – XII ZB 512/18, juris), wo die Interessen der Kinder umfassend geprüft und berücksichtigt werden. Hinge die Bewertung allein von den momentanen Fakten ab, bestünde die Gefahr einer erheblichen Rechtsunsicherheit, da die Betreuungssituation der Kinder faktisch jederzeit verändert werden kann und ein stabiler Zustand damit nicht erreicht werden könnte.
(2) Hier haben die Eltern ein paritätisches Wechselmodell vereinbart und bis zum Auszug der Mutter im August 2023 auch so gelebt. Die vereinbarten Betreuungszeiten (Antragsgegner: Montag und Dienstag, Antragstellerin: Mittwoch und Donnerstag, Freitag/Samstag/Sonntag im Wechsel) sind gleichwertig. Soweit von diesen vereinbarten Zeiten abgewichen wird und die Kinder inzwischen mehr Zeit beim Vater verbringen, erfolgte dies, wie die Anhörung der Eltern ergeben hat, nicht einvernehmlich, sondern zum Teil sogar ohne Wissen der Mutter.
(3) Dass der Vater prognostisch ein anderes Modell anstrebt, rechtfertigt noch nicht die Annahme, dass zukünftig ein anderes Modell gelebt wird. Zum einen haben die Kinder gegenüber der Mitarbeiterin des Jugendamtes erklärt, dass das Modell so für sie funktioniere, zudem kann der Vater nicht einseitig ein anderes Modell bestimmen. Erst wenn sich die Eltern, möglicherweise mithilfe Dritter auf ein anderes Modell verständigen können bzw. ein solches angeordnet werden sollte, wäre eine Prognose, dass zukünftig eine veränderte Obhutsituation eintritt, gerechtfertigt.
bb) Sofern man in § 1629 Abs. 3 BGB nicht auf das Tatbestandsmerkmal der Obhut ohnehin verzichtet, ist die Vorschrift des § 1629 Abs. 3 BGB hier analog anzuwenden. Es liegt eine ungewollte Gesetzeslücke vor und die Interessenlagen sind unmittelbar vergleichbar.
(1) Der Gesetzgeber hat mit der Einführung von § 1629 Abs. 2 und 3 BGB die Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen erleichtern wollen, auf deren zügige Durchsetzung es in vielen Fällen ankommen wird, um einen angemessenen Lebensunterhalt überhaupt zu ermöglichen (vgl. BeckOGK/Amend-Traut/Bongartz, BGB, Stand 1.12.2023, § 1629 Rn. 76).
(2) Vor diesem Hintergrund ist es geboten, die Kinder im Wechselmodell nicht schlechter zu stellen als Kinder im Residenzmodell, zumal ein Interessenskonflikt nicht allein daraus abgeleitet werden kann, dass die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs des Kindes nicht nur in dessen Interesse, sondern auch in dem des den Anspruch geltend machenden Elternteils liegt, wenn der andere Elternteil zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet wird, weil er dann einen durch Unterhalt nicht gedeckten Barbedarf des Kindes nicht aus eigenen Mitteln aufbringen muss (vgl. Staudinger/Veit, BGB, Stand 2020, § 1796 Rn. 52).
(3) Mit dieser Lösung einer analogen Anwendung von § 1629 Abs. 3 BGB auf das paritätische Wechselmodell können zumindest für verheiratete Eltern insbesondere die Fälle befriedigend gelöst werden, in denen sich beide Elternteile eines Ausgleichsanspruchs hinsichtlich des Kindesunterhalts berühmen. Die Entscheidung, welcher Elternteil in Anspruch genommen wird und welcher nicht, wird insbesondere nicht dem Gutdünken eines Ergänzungspflegers überlassen, sondern kann unmittelbar gerichtlich geklärt werden, wegen der Möglichkeit eines Widerantrags sogar im selben Verfahren.
Für die Vergleichbarkeit der Interessenlage sprechen auch praktische Bedürfnisse für die mit der Vorschrift angestrebte zügige Durchsetzung von Ansprüchen auf Kinderunterhalt. Der Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal der Obhut in § 1629 Abs. 3 BGB oder die analoge Anwendung der Vorschrift auf das paritätische Wechselmodell erspart das – nur im Fall des paritätischen Wechselmodells gebotene – Vorschalten eines sorgerechtlichen Verfahrens vor einem Kindesunterhaltsverfahren (einschließlich dessen Kosten, Anhörungspflichten, Rechtsmittel etc.) und den damit einhergehenden Zeitverzug. Die Bestellung eines Ergänzungspflegers würde zudem zur Einschaltung einer weiteren Person in das Unterhaltsverhältnis führen, dem die Entscheidung über das Ob und das Wie eines Unterhaltsverfahren, gegebenenfalls nach Einschaltung eines dritten Verfahrensbevollmächtigten, wenn die Verfahrensbevollmächtigten der Eltern wegen eines vermeintlichen Interessengegensatzes an der Vertretung gehindert wären, obliegt. Dabei sieht § 1629 Abs. 3 BGB vor, dass ebendiese Konstellation direkt zwischen den Eltern geklärt werden soll, also dort, wo sie wirtschaftlich auch stattfindet. Die wechselseitige Interessenlage des Kindes und der Eltern ist im Fall eines paritätischen Wechselmodells vollständig vergleichbar mit dem Fall des asymmetrischen Wechselmodells und rechtfertigt – abgesehen von der abweichenden materiellrechtlichen Berechnung der Höhe des Unterhaltsanspruchs – keine unterschiedliche Behandlung (vgl. zum Ganzen bereits Senat vom 15.03.2024 – 5 UF 219/23, NJW 2024, 1890, juris Rn. 26 ff.).
cc) Damit wird gleichzeitig auch eine Vergleichbarkeit des Verfahrens mit der Konstellation hergestellt, dass die Eltern nicht (mehr) verheiratet sind. Sind die Eltern nicht verheiratet, gilt § 1629 Abs. 3 BGB nicht, sondern § 1629 Abs. 2 BGB. Auch bei dieser Vorschrift kommt es im Ergebnis auf das dort sogar ausdrücklich formulierte Tatbestandsmerkmal der Obhut nicht an (vgl. BGH vom 10.04.2024 – XII ZB 459/23, juris Rn. 18; Senat vom 07.06.2024 – 5 WF 51/24, juris Rn. 11; vom 09.04.2024 – 5 WF 157/23, juris Rn. 14; OLG Hamburg vom 12.10.2023 – 12 UF 81/23, juris Rn. 6).
3. Die Zurückverweisung an das Familiengericht beruht auf § 117 Abs. 2 FamFG mit § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO. Diese Regelung geht § 69 Abs. 1 FamFG als spezieller vor (vgl. Musielak/Borth/Frank/Frank, FamFG, 7. Auflage 2022, § 69 Rn. 3 m.w.N.). Die Voraussetzungen liegen vor. Hinsichtlich des Antrags auf Kindesunterhalt hat das Familiengericht lediglich über die Zulässigkeit entschieden, die Antragstellerin hat einen Antrag auf Zurückverweisung gestellt.
III.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Die Verfahrenswertfestsetzung beruht auf §§ 40, 51 Abs. 1 und 2 FamGKG. Im Beschwerdeverfahren war der Antrag auf Zahlung von Kindesunterhalt insgesamt, also einschließlich der noch unbezifferten Zahlungsstufe, gegenständlich. Aus der Begründung des Antrag ergibt sich, dass dieser ab Dezember 2023 geltend gemacht werden soll. Damit ist für den im Dezember 2023 eingegangenen Antrag der Zeitraum von Dezember 2023 bis Dezember 2024 zugrunde zu legen. Bei Ansetzung des Mindestunterhalts für ein 12-jähriges Kind ergeben sich 6.703 €.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2024
5 UF 33/24