BVerfG: Rückführung eines Kindes aus der Pflegefamilie zu den leiblichen Eltern

BVerfG: Rückführung eines Kindes aus der Pflegefamilie zu den leiblichen Eltern

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 7. Oktober 2016 (erlassen am 13. Oktober 2016) – 21 UF 56/16 – verletzt das betroffene Kind in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 1, Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.

Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 12.500 € (in Worten: zwölftausendfünfhundert Euro) festgesetzt.
Gründe:

I.

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die im Fachverfahren bestellte Verfahrensbeiständin gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts, durch die den Kindeseltern das Sorgerecht zurückübertragen und die Rückführung des Kindes aus der Pflegefamilie zu seinen Eltern angeordnet wird.

1. a) Das betroffene Mädchen wurde im November 2014 von seiner Mutter in der 30. Schwangerschaftswoche geboren. Die damals 25 Jahre alte Mutter, deren Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie abgerissen ist, hatte nach eigenen Angaben bis kurz vor der Entbindung nicht bemerkt, dass sie schwanger war. Medikamente zur Behandlung einer bei ihr im Jugendalter festgestellten Epilepsie hatte sie einige Zeit zuvor aus eigenem Entschluss und nach eigenen Angaben aufgrund eines Kinderwunschs abgesetzt. Gemeinsam mit dem Kindesvater und der Tochter lebte sie zunächst bei dessen Eltern, bis sie Anfang März 2015 eine eigene Wohnung bezogen. Der Kindesvater wurde wegen Alkoholmissbrauchs zeitweise mit Fahrverboten belegt. Bei ihm besteht ebenfalls ein Epilepsieverdacht, den er entgegen ärztlicher Empfehlung nicht weiter aufgeklärt hat. Die Kindeseltern heirateten am 8. Mai 2015. Im März 2017 erwarten sie ein weiteres gemeinsames Kind.

Das Mädchen wurde am 18. Dezember 2014 von der Frühgeborenenstation zu seinen Eltern entlassen. Eine durch die Kinderklinik eingesetzte Hebamme entließen die Kindeseltern nach zwei bis drei Besuchen. In der Folge wurde das Kind von den Eltern zweimal in das Kinderkrankenhaus gebracht, weil es häufig schrie und dann auch an Gewicht verlor. Im Krankenhaus wurden bei dem Kind unklare Schreiattacken bei Meteorismus (Blähbauch) und Obstipation (Verstopfung) diagnostiziert. Nach stationärer Untersuchung und Behandlung sowie ausreichender Gewichtszunahme wurde das Kind am 7. Januar 2015 wieder zu seinen Eltern entlassen. Am 28. Januar sowie am 6. und 10. Februar 2015 wurde das Kind von einer Physiotherapeutin behandelt, auf die das Kind freundlich und unauffällig wirkte.

Bei einem Routinetermin zur Gewichtskontrolle am 11. Februar 2015 fielen der Kinderärztin diskrete Hämatome (Einblutungen) an allen Gliedmaßen des Kindes auf. Die Eltern gaben an, diese am Vorabend beim Baden bemerkt zu haben. Die Kinderärztin veranlasste zur Abklärung die erneute stationäre Aufnahme des Kindes im Kinderkrankenhaus. Bei Röntgenaufnahmen des Brustkorbs wurden dort ältere Rippenserienfrakturen auf beiden Seiten (an fünf Rippen links und vier Rippen rechts) festgestellt. Aufgrund des von der Klinik gemeldeten Verdachts einer Kindesmisshandlung erfolgte am 17. Februar 2015 ein Gespräch, anlässlich dessen der anwesende Oberarzt erklärte, dass die Rippenbrüche nicht frisch, sondern einige Wochen alt seien. Derartige Verletzungen könnten nur durch massive Gewalteinwirkung entstehen. Die Kindeseltern hatten ebenso wenig wie die Groß-eltern eine schlüssige Erklärung für die Verletzungen. Das Jugendamt beschloss die Einleitung einer rechtsmedizinischen Untersuchung und kündigte die Inobhutnahme des Kindes an.

b) Das Kind wurde vom Jugendamt nach der dem Familiengericht am 18. Februar 2015 angezeigten Inobhutnahme und Entlassung aus der Klinik am 19. Feb- ruar 2015 in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht. Die Eltern hatten zunächst wöchentlich für eine Stunde begleiteten Umgang mit ihrem Kind.

Das vom Jugendamt in Auftrag gegebene wissenschaftliche Gutachten der Rechtsmedizin vom 6. März 2015 kam zu dem Ergebnis, dass die Entstehung der Hämatome nur durch eine äußere Einwirkung zu erklären sei, da sich Kinder in einem Alter von drei Monaten nicht eigenständig bewegten. Die festgestellten Befunde seien diskret und zum Beispiel mit einem vermehrten Festhalten etwa bei pflegerischen Maßnahmen zu erklären. Die Befunde ließen keine weiteren Schlussfolgerungen zu, auch wenn sie für einen nicht mobilen Säugling auffällig und ungewöhnlich seien. Die Rippenbrüche seien bei Kindern, speziell bei Säuglingen, ausgesprochen ungewöhnlich, da sie üblicherweise nicht einmal bei heftigen Brustkorbverbiegungen (wie z.B. bei erforderlichen Wiederbelebungsmaßnahmen) aufträten. Das Auftreten derart symmetrischer Rippenbrüche sei nur durch eine ganz massive Brustkorbkompression zu erklären. Die Lokalisation seitlich spreche ebenfalls für diesen Kompressionsmechanismus. Die symmetrischen Brüche würden durch Umgreifen des Rumpfs von den Seiten mit je einer Erwachsenenhand und kräftiges Zudrücken beziehungsweise Zusammendrücken des Brustkorbs hervorgerufen. Dies sei eine Verletzung, die eine kräftige Gewalteinwirkung voraussetze. Sie sei nicht mit einem ungeschickten Umgang mit dem Kind oder durch festeres Zufassen zu erklären, etwa wenn das Kind zu entgleiten drohe. Eine genauere zeitliche Einordnung dieser Verletzung sei nicht möglich. Es handele sich jedenfalls um wochenalte Verletzungen, da der Knochenkallus – nur dieser sei röntgenologisch nachweisbar – üblicherweise ab ca. 14 bis 21 Tagen nach Verletzungsentstehung festzustellen sei. Bei Brüchen von Rippen, die durch die ständigen Atembewegungen nicht bewegungslos in ihren Knochenenden blieben, könne sich dieser Zeitraum noch verlängern. Rippenbrüche seien, gerade durch die ständigen Atemexkursionen, schmerzhaft.

c) Unter Vorlage des rechtsmedizinischen Gutachtens stellte das Jugendamt sodann einen Antrag, der zu diesem Zeitpunkt allein sorgeberechtigten Mutter nach §§ 1666, 1666a BGB die elterliche Sorge zu entziehen. Mit Beschluss vom 14. April 2015 entzog das Familiengericht die elterliche Sorge vorläufig und ordnete Vormundschaft durch das Jugendamt an. Nach dem rechtsmedizinischen Gutachten hätten die Rippenbrüche nur durch eine massive Brustkorbkompression hervorgerufen werden können; sie seien für das Kind mit extremen Schmerzen verbunden gewesen. Die Eltern hätten sich im gerichtlichen Verfahren nicht geäußert, hätten sich diese Verletzungen aber nach ihren Angaben gegenüber dem Jugendamt nicht erklären können. Da sie gegenüber dem Jugendamt jedoch gleichzeitig behauptet hätten, das Kind die ganze Zeit selbst beaufsichtigt zu haben, sei eine Gefährdung des Kindes nicht auszuschließen.

d) Im Hauptsacheverfahren bestellte das Amtsgericht zunächst die hiesige Beschwerdeführerin zur Verfahrensbeiständin. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ordnete das Familiengericht eine Beweiserhebung durch Ein-holung eines familienpsychologischen Gutachtens an.

In dem Gutachten vom 2. Oktober 2015 führte die Sachverständige unter anderem aus, dass das Kind aufgrund der Frühgeburt und insbesondere aufgrund der negativen lebensgeschichtlichen Erfahrungen einen deutlich erhöhten emotionalen Bedarf habe. Insoweit sei davon auszugehen, dass der Mutter aufgrund eigener lebensgeschichtlich ungünstiger Erfahrungen beziehungsweise mögli-cherweise fehlender Lernerfahrungen ein intuitiver, feinfühliger Umgang mit dem Kind erschwert sei, weil sie selbst wenig liebevolle und fürsorgliche Betreuungs- und Interaktionserfahrungen habe machen können. Hier sei eine wesentliche Anleitung und Korrektur notwendig. Im Hinblick auf von der Mutter berichtete wiederholte körperliche Grenzverletzungen durch die eigene, impulsiv und aggressiv reagierende Mutter und einen Kontaktabbruch zum alkoholkranken Vater nach Trennung der Eltern werde die Gefahr unsachgemäßer Reaktionen gegenüber dem Kind als erhöht angesehen – insbesondere vor dem Hintergrund des bestehenden Befundes einer schweren Kindesmisshandlung. In diesem Zusammenhang sah die Sachverständige auch den Umstand, dass die Mutter ihre Schwangerschaft nicht bemerkt hatte, als kritischen Aspekt an. Aus psychologischer Sicht könne eine Überforderung der Mutter mit der bestehenden Schwangerschaft vermutet werden, denkbar sei auch eine defizitäre Selbstwahrnehmung oder auch eine Verleugnung, da in der Partnerbeziehung ein Kinderwunsch bislang nicht thematisiert worden sei. Eine Gefahr bestehe auch aufgrund der Epilepsieerkrankung, an der die Mutter seit ihrem 14. Lebensjahr leide. Sie sei nach medikamentöser Einstellung viele Jahre anfallsfrei gewesen. Die Medikamente habe sie zwischenzeitlich abgesetzt. Diesbezügliche Angaben der Mutter hätten kontext-abhängig divergiert. So habe sie gegenüber der Sachverständigen angegeben, nach Rücksprache mit einem Arzt gehandelt zu haben. Im Krankenhaus, wohin sie nach einem neuerlichen Krampfanfall eingeliefert worden sei, habe sie eingeräumt, die Medikamente aufgrund eines Kinderwunschs eigenmächtig abgesetzt zu haben. Erneut seien Medikamente verschrieben worden. Die zuverlässige Einnahme stehe in Frage, woraus Einschränkungen der mütterlichen Erziehungs-fähigkeit resultieren könnten. Ein Gefährdungsrisiko für das Kind könne nicht ausgeschlossen werden, falls es zu einem etwaigen eigenmächtigen Absetzen der Medikamente und in der Folge zu einem Krampfanfall komme.

Auch beim Vater bestünden Defizite in der Emotionalität und Einfühlungs-fähigkeit. Es sei dem Vater, ähnlich wie der Mutter, nicht möglich gewesen, Signale schwerer Schmerzen des Säuglings wahrzunehmen und hierauf unmittelbar zu reagieren. Auch Angaben des Vaters wiesen auf relevante lebensgeschichtliche Belastungen hin. Die Gefahr, dass dieser gegenüber dem Kind unsachgemäß reagiere, werde als erhöht angesehen, zumal sich Hinweise auf einen zumindest in der Vergangenheit kritischen Alkoholkonsum sowie auf eine epileptische Erkrankung ergeben hätten, wobei eine medizinische Abklärung jeweils wünschenswert sei.

Die Prognose hinsichtlich einer gelingenden Zusammenarbeit mit Fachkräften sei schwierig. Zwar sei insoweit von einer grundsätzlichen Bereitschaft der Eltern auszugehen, allerdings hätten beide Eltern auch im Kontext der Begutachtung eine Tendenz gezeigt, verschiedene Aspekte nicht zu thematisieren. Dies sei jedoch eine wesentliche Voraussetzung, um Veränderungen einleiten und etablieren zu können und auch eine unabdingbare Voraussetzung dafür, das Kind vor etwaigen neuerlichen Übergriffen schützen zu können.

Im Ergebnis sei unter der Prämisse der Misshandlung des Kindes durch einen Elternteil von einem wesentlichen Wiederholungsrisiko auszugehen, verbunden mit potentiell weitreichenden Folgen angesichts des entwicklungs- und altersbedingt noch erhöhten Schutz- und Betreuungsbedarfs des Kleinkindes und fehlender Möglichkeit des Kindes zum selbständigen Schutz. Wenn die Eltern die alleinige Verantwortung für das Kind trügen, könnten ihre Überforderung und die Erhöhung eines Misshandlungsrisikos nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere sei eine Gefährdung des Kindes unmittelbar durch die Eltern selbst nicht auszuschließen. Das Risiko lasse sich durch aufsuchende Hilfen nicht ausreichend reduzieren.

e) Nach Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung, bei der die Sachverständige nach weiteren Ausführungen zur Sache erklärte, dass aus psychologischer Sicht eine Rückführung des Kindes zu den Eltern nicht in Betracht komme, entzog das Amtsgericht den inzwischen verheirateten Eltern mit Beschluss vom 23. Februar 2016 die elterliche Sorge für ihr gemeinsames Kind und ordnete Vormundschaft durch das Jugendamt an. Der Sorgerechtsentzug nach §§ 1666, 1666a BGB sei nach Würdigung aller Umstände erforderlich, um eine schwerwiegende Gefahr für das körperliche, geistige und seelische Wohl des minderjährigen Kindes abzuwenden. Bei beiden Eltern seien so erhebliche Defizite in der Erziehungsfähigkeit festzustellen, dass das grundrechtlich verankerte Erziehungsrecht der Eltern hinter den Interessen des Kindes zurücktreten müsse. Das Gericht sei davon überzeugt, dass die Erziehungsfähigkeit beider Eltern nicht in einem für das Kind erforderlichen Maße gegeben sei, so dass es auch ausgeschlossen sei, das Sorgerecht einem Elternteil allein zu übertragen. Bereits das Vermögen, die Versorgung des Kindes sicherzustellen, sei höchstens eingeschränkt gegeben. Auch sei zu bedenken, dass die Eltern zwar angegeben hätten, ihre Tochter mit Ausnahme der Klinikaufenthalte ununterbrochen selbst beaufsichtigt zu haben, dass es in dieser Zeit allerdings höchst wahrscheinlich zu massiven Misshandlungen gekommen sei, welche die Eltern entweder selbst ausgeführt oder jedenfalls nicht verhindert hätten. Die Angabe der Eltern, man habe dem Kind im Krankenhaus die Rippen gebrochen, sei wenig glaubhaft.

Dies sei allerdings nur ein Aspekt, der bei der Feststellung der fehlenden Erziehungsfähigkeit der Eltern und beim Entzug der elterlichen Sorge zu berücksichtigen gewesen sei. Ausschlaggebend sei gewesen, dass beide Eltern gegenüber dem Gericht den Eindruck erweckt hätten, auf emotionaler Ebene ihrem Kind nicht ansatzweise gerecht werden zu können und nicht in der Lage zu sein, die Bedürfnisse ihrer Tochter richtig einzuschätzen. Die Einschätzung, dass es den Eltern an Empathie fehle, werde durch die Einblicke der Sachverständigen in die Eltern-Kind-Beziehung gestützt. Dem entspreche auch der von Seiten des Jugendamts der Sachverständigen übermittelte Eindruck, die Eltern hätten in Anbetracht der Inobhutnahme und bei Konfrontationen mit den erlittenen Verletzungen des Kindes wenig Emotionalität gezeigt. Auch die Verfahrensbeiständin – die hiesige Beschwerdeführerin – habe die Eltern als wenig einfühlend in die verletzungsbedingten Schmerzen eingeschätzt. Gegen die Erziehungseignung der Eltern spreche, dass sie die Schmerzen ihres Kindes durch die Rippenbrüche nicht wahrgenommen hätten. Auch die Übernahme der elterlichen Sorge durch einen Elternteil komme nicht in Betracht. Selbst wenn die Sachverständige bei der Mutter Grundkompetenzen hinsichtlich der Pflege und Versorgung gesehen habe, sei sie nicht in der Lage, auch emotional den Bedürfnissen des Kindes gerecht zu werden. Bedenken bestünden bereits aufgrund ihrer widersprüchlichen Angaben beispielsweise zur Schwangerschaft und der Epilepsie. Mit unsachgemäßen Reaktionen der Mutter könne auch deshalb gerechnet werden, weil diese Gewaltübergriffe durch ihre eigene Mutter in ihrer Jugend erlitten habe. Diesen Einschätzungen schließe sich das Gericht an.

Auch eine Übernahme der elterlichen Sorge durch den Vater scheide aus. Beim Vater seien in der mündlichen Verhandlung durch das Gericht erhebliche Defizite in der Selbstwahrnehmung festzustellen gewesen. Der Vater habe zu verstehen gegeben, dass er die von der Sachverständigen festgestellten Erziehungsdefizite nicht ernst nehme. Ferner habe sich der Vater in der mündlichen Verhandlung in diverse Widersprüche verstrickt. So habe er angegeben, seit 2013 keine Alkoholprobleme mehr zu haben. Dem widerspreche, dass seine Hausärztin der Sachverständigen nach deren Auskunft mitgeteilt habe, ihn bei einer Untersuchung mit einer Alkoholfahne angetroffen zu haben. Gleichzeitig sei der Vater dem Verdacht der Epilepsie in seiner Person nicht nachgegangen, obwohl seine Ärzte hierzu geraten hatten.

Die Anforderungen, die die Sachverständige hier an die Eignung als Bezugsperson stelle, könnten die Eltern nicht erfüllen. Die Eltern hätten sich nach dem übereinstimmenden Eindruck aller Beteiligten in mehreren Situationen überfordert gezeigt.

f) Das Kind befindet sich seit April 2016 in einer Dauerpflegestelle. Seitdem erfolgen Besuchskontakte der Eltern im Zweimonatsabstand für eine Stunde.

g) Gegen den Beschluss des Amtsgerichts legten die Eltern Beschwerde ein. Die Verfahrensbeiständin, die Vertreterin des Jugendamts und die Pflegeeltern waren der Ansicht, die Beschwerde sei zurückzuweisen. Das Oberlandesgericht änderte den amtsgerichtlichen Beschluss nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit angegriffenem Beschluss vom 7. Oktober 2016 (erlassen am 13. Oktober 2016) dahingehend ab, dass die elterliche Sorge für das betroffene Kind unter Aufhebung der Vormundschaft des Jugendamts auf die Eltern zurückübertragen werde. Das Kind sei binnen sechs Wochen zu seinen Eltern zurückzuführen. Den Eltern werde geboten, die ihnen zur Verfügung gestellten Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe – insbesondere Dienste der Erziehungsberatung und der sozialpädagogischen Familienhilfe – über die Zeit der Rückführung des Kindes hinaus in Anspruch zu nehmen.

Es sei zwar nicht zu beanstanden, dass das Kind vom Jugendamt in Obhut genommen und nach Widerspruch der Eltern eine familiengerichtliche Entscheidung über Maßnahmen zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr für das Kindeswohl herbeigeführt worden sei. Eine Fortdauer der aus damaliger Sicht veranlassten Herausnahme des drei Monate alten Säuglings aus seiner Herkunftsfamilie erscheine inzwischen aber nach Abwägung aller Umstände nicht mehr erforderlich und verhältnismäßig. Es sei zu erwarten, dass dies die Lage des Kindes nicht verbessern werde und seiner Gefährdung mit milderen Maßnahmen als der dauernden Trennung von seinen leiblichen Eltern begegnet werden könne.

Die am 11. Februar 2015 im Kinderkrankenhaus festgestellte Brustkorbverletzung deute auf eine erhebliche körperliche Schädigung des Säuglings durch seine Eltern oder ihnen nahestehende Personen in der häuslichen Sphäre hin. Ausweislich des rechtsmedizinischen Gutachtens seien die Rippenserienfrakturen die Folge einer massiven, nicht auf bloße Ungeschicklichkeit zurückzuführenden Gewalteinwirkung. Weder der das Kind behandelnden Physiotherapeutin noch dem Krankenhauspersonal könne ein derart grobes Fehlverhalten ernsthaft angelastet werden. Nach Überzeugung des Senats, die sich mit der wohl begründeten Entscheidung des Familiengerichts decke, seien die Eltern, die das Kind mit Ausnahme der Klinikaufenthalte durchgängig beaufsichtigt haben wollen, für die zu den Rippenbrüchen führende massive Kompression des kindlichen Brustkorbs durch einen Erwachsenen zumindest mitverantwortlich – sei es, dass einer von ihnen selbst Täter gewesen sei, sei es, dass beide die schmerzhafte Verletzung des Kindes durch einen Dritten zugelassen und im Nachhinein vertuscht hätten.

Obgleich die Verletzung des Kindes danach durch ein nicht zu entschuldigendes Fehlverhalten der Eltern mindestens mitverursacht worden sei, deuteten die übrigen Umstände eher auf ein Augenblicksversagen als auf wiederholte, in vergleichbarer Weise auch künftig zu erwartende Misshandlungen hin. Die von der Kinderärztin am 11. Februar 2015 bemerkten Hämatome an Oberschenkeln und Ellenbogen ließen nach dem rechtsmedizinischen Gutachten keine diesbezüglichen Schlüsse zu. Die Eltern hätten zwar in der Weihnachtszeit 2014 die Dienste der Familienhebamme nicht mehr in Anspruch genommen, wegen unklarer Schreiattacken des Kindes aber zweimal die Ambulanz des Kinderkrankenhauses aufgesucht und seiner erneuten stationären Aufnahme zugestimmt. Aus der Häufigkeit der Krankenhausbesuche ließen sich Hinweise auf eine Vernachlässigung oder häufige Misshandlung im häuslichen Bereich nicht ableiten. Kinderarzt- und Physiotherapietermine seien von den Eltern regelmäßig wahrgenommen worden.

Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit der Eltern ergäben sich zwar daraus, dass sie im Laufe des Verfahrens die wünschenswerte Offenheit in Bezug auf die tatsächlichen näheren Umstände der Körperverletzung und in Bezug auf kritische und belastende Aspekte ihrer Biografien und ihres Gesundheitszustands hätten vermissen lassen. Wie die Sachverständige näher ausgeführt und im Beschwerdeverfahren insbesondere die Verfahrensbeiständin des Kindes betont habe, müsse deshalb von Störungen ihrer Selbstwahrnehmung und einer bei beiden bislang nur unzureichend ausgeprägten Bereitschaft ausgegangen werden, eigenes Fehlverhalten einzugestehen, Negativerlebnisse aufzuarbeiten und defizitäre Fähigkeiten auszugleichen.

Bei Bewertung dieser problematischen Umstände sei allerdings in Rechnung zu stellen, dass die eingeschränkte Offenheit der Eltern auch nach Einschätzung der Sachverständigen nicht zuletzt situativ bedingt sei. Sie gehe auf den Versuch zurück, im vorliegenden Verfahren negative Umstände eher zu verschweigen oder zu verdrängen als durch ein Eingeständnis die eigene Verteidigungsposition vermeintlich zu schwächen. Dieses Motiv der Selbstrechtfertigung entfalle mit der vorliegenden Entscheidung. Den Eltern müsse klar sein, dass ihnen die Zurückübertragung der sorgerechtlichen Verantwortung für ihr Kind letztlich mehr Ehrlichkeit mit sich selbst und Einsicht in eigene Fehler und Unzulänglichkeiten abverlange. In diesem Sinne an sich zu arbeiten und fachkundige Hilfe anzunehmen, solle ihnen ermöglicht werden.

Soweit die psychologische Sachverständige und die beteiligten pädagogischen Fachkräfte daneben Einschränkungen der elterlichen Erziehungsfähigkeit vor allem im Bereich der Emotionalität, Feinfühligkeit und Empathie ausgemacht hätten, halte es auch der Senat nicht für ausgeschlossen, dass die Eltern in dieser Hinsicht längerfristiger Anleitung, aufsuchender Hilfe und Korrektur bedürfen könnten. Nach den vorliegenden Berichten, die durch den persönlichen Eindruck von beiden Eltern bei ihrer Anhörung vor dem Senat bestätigt würden, verfügten diese aber auch über beachtliche emotionale Ressourcen, die es zu verstärken gelte. Ihre von den Fachleuten beobachtete Unsicherheit bei den seit langem auf nur wenige Stunden beschränkten Interaktionen mit dem Kind dürfe in diesem Zusammenhang nicht überbewertet werden.

Konkrete Anhaltspunkte für wiederholt drohende elterliche Gewalt gegen das älter gewordene Kind wegen fehlender emotionaler Sperren des Vaters oder der Mutter vermöge der Senat weder dem Sachverständigengutachten noch dem übrigen Inhalt der familiengerichtlichen, staatsanwaltschaftlichen oder jugendamtlichen Akten zu entnehmen.

Eine Verbleibensanordnung (§ 1632 Abs. 4 BGB), die als milderes Mittel gegenüber einer dauerhaften Sorgerechtsentziehung in Betracht zu ziehen sei, scheide im vorliegenden Fall aus. Zwar lebe das Mädchen inzwischen seit einem halben Jahr als jüngstes Kind in seiner derzeitigen Pflegefamilie, nachdem es zuvor über ein Jahr lang im Wege der familiären Bereitschaftsbetreuung untergebracht gewesen sei. Nach den Angaben insbesondere der jetzigen Pflegeeltern im Anhörungstermin müsse indessen davon ausgegangen werden, dass das Mädchen während dieser Zeit noch keine Bindungen zu ihnen oder der Bereitschaftspflegemutter entwickelt habe, deren Abbruch oder erhebliche Lockerung sein Wohl gefährden würde. Das als auffällige Distanzlosigkeit beschriebene Bindungsdefizit des Kindes sei zwar seinerseits als potentiell schädlich für dessen seelische Entwicklung anzusehen, könne jedoch nach Lage der Dinge den leiblichen Eltern nicht zur Last gelegt und nicht als Argument gegen eine Rückführung in deren Obhut angeführt werden.

Die Eltern übernähmen mit der Pflege und Erziehung ihres bald zweijährigen Kindes keine leichte Aufgabe, weshalb ihnen professionelle Unterstützung bei der Rückführung und dem Aufbau einer sicheren Bindung des Kindes zu geben sei. Eine dauerhafte Fremdunterbringung des Mädchens bilde bei dieser Sachlage aber erst recht keine vertretbare Alternative.

Nach umfassender Abwägung der für und gegen einen fortdauernden Sorgerechtsentzug sprechenden Gesichtspunkte hege der Senat die Erwartung, dass die Eltern trotz eigener lebensgeschichtlicher Belastungen und daraus abzuleitender Gefährdungen zu einer gewaltfreien Erziehung und Sorge für ihr Kind willens und in der Lage seien. Werde ihre ihm Kern vorhandene Pflege- und Erziehungskompetenz mit Hilfe geeigneter Maßnahmen (§§ 27 ff. SGB VIII) gestärkt, erscheine deshalb aus heutiger Sicht die Trennung des Kindes von seiner Herkunftsfamilie nicht mehr gerechtfertigt, sondern seine behutsame Rückführung geboten.

2. Mit der Verfassungsbeschwerde macht die Verfahrensbeiständin als Beschwerdeführerin eine Verletzung der Grundrechte des betroffenen Kindes aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG geltend. Das Oberlandesgericht habe die Grundrechtspositionen des Kindes verkannt. Die angegriffene Entscheidung weise sowohl Fehler auf, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte des Kindes beruhten, als auch Auslegungsfehler. Durch die Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die leiblichen Eltern und die Anordnung der Rückführung werde das Kind Gefährdungen ausgesetzt, welche ihm nicht zuzumuten seien. Hierdurch werde das Gericht seinem Auftrag im Rahmen des staatlichen Wächteramts und der Pflicht, die Grundrechtspositionen des Kindes zu schützen, nicht gerecht.

Konkrete, insbesondere von der psychologischen Sachverständigen im erstinstanzlichen Verfahren genannte physische wie psychische Gefährdungsrisiken für das Kind durch die Eltern infolge der Defizite ihrer Erziehungsfähigkeit habe das Oberlandesgericht unberücksichtigt gelassen. Nicht nachvollziehbar sei, dass es der Akte keine konkreten Anhaltspunkte dafür entnehmen könne, dass erneut elterliche Gewalt drohen könnte. Bedenken werfe die Entscheidung auch hinsichtlich der Einschätzung zur Abwendung der Gefährdung des Kindes durch unterstützende Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe auf. Da die Eltern keine Misshandlung und auch keine Defizite einräumten, könne kaum bestimmt werden, mit welchen Maßnahmen geholfen werden könne. Weiterhin habe das Oberlandesgericht keine aktuelle sachverständige Prüfung der Gefährdungssituation herbeigeführt. Es habe eine den Empfehlungen sämtlicher Fachkräfte grundlegend widersprechende Einschätzung der Erziehungsfähigkeit der Eltern und der Möglichkeit der Inanspruchnahme öffentlicher Hilfe vorgenommen, ohne seine eigene Sachkunde darzulegen.

Die Entscheidungsgründe des angegriffenen Beschlusses ließen ferner nicht erkennen, dass das Oberlandesgericht in erforderlichem Maße der Frage nachgegangen sei, ob die leiblichen Eltern in der Lage seien, die nachteiligen Folgen einer eventuellen Traumatisierung des Kindes nach dem Wechsel in ihren Haushalt so gering wie möglich zu halten. Zudem seien auch die Ausführungen des Gerichts hinsichtlich der Folgen der Trennung des knapp zweijährigen Kindes von seinen derzeitigen Bezugspersonen bedenklich. Das Oberlandesgericht habe insoweit den Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt. Es bleibe offen, wie und warum die Rückkehr des Kindes binnen sechs Wochen erfolgen solle. Die Umgangskontakte zu den leiblichen Eltern erfolgten zurzeit im Zweimonatsabstand für eine Stunde. Des Weiteren gehe das Oberlandesgericht zwar davon aus, dass der Zeitraum, in dem das Kind bei der Pflegefamilie lebe, aus kindlicher Sicht lang sei, erkläre aber gleichzeitig, dass das Kind „noch keine Bindungen zu ihnen (…) entwickelt habe, deren Abbruch oder Lockerung dessen Wohl gefährden würde“. Das Oberlandesgericht habe „blind“ – ohne das Kind je gesehen zu haben – festgestellt, dass es keine Bindungen zu den Pflegeeltern habe. Als Begründung nenne das Gericht lediglich „Angaben der Pflegeeltern“, die weder im Protokoll der mündlichen Verhandlung noch im Beschluss selbst näher beschrieben seien. Die Entscheidungsgrundlage werde so nicht nachvollziehbar.

3. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 5. Dezember 2016 im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollstreckung des angegriffenen Beschlusses ausgesetzt.

4. Das Bundesverfassungsgericht hat der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, dem Jugendamt (zugleich in seiner Stellung als Amtsvormund), den Pflegeeltern und den leiblichen Eltern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens nebst Beiakten haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des betroffenen Kindes aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und gibt ihr statt. Die Entscheidung kann von der Kammer getroffen werden, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Bestellung als Verfahrensbeiständin befugt, Verfassungsbeschwerde einzulegen und mit dieser – ausnahmsweise – fremde Rechte in eigenem Namen geltend zu machen (so zur Position des Verfahrenspflegers im Betreuungsverfahren bei ähnlicher Interessenlage und gesetzlicher Ausgestaltung BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2013 – 1 BvR 372/13 -, juris, Rn. 4 ff.; ebenso Engelhardt, in: Keidel, FamFG*, 18. Auflage 2014, § 158 Rn. 44a).

2. Die angegriffene Entscheidung verletzt das betroffene Kind in seinen Grundrechten.

a) Das Kind hat nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG einen Anspruch auf den Schutz des Staates (aa). Mit den materiell- und verfahrensrechtlichen Maßgaben von Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG korrespondieren Anforderungen an die Begründung der gerichtlichen Entscheidung (bb). Lehnt das Fachgericht eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ab, obwohl Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass eine nachhaltige Gefahr für das Wohl des Kindes besteht, unterliegt dies strenger verfassungsgerichtlicher Kontrolle (cc).

aa) Das Kind hat nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG einen Anspruch auf den Schutz des Staates, wenn seine Eltern ihm nicht den Schutz und die Hilfe bieten, die es benötigt, um gesund aufzuwachsen und sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit zu entwickeln (1). Diese Schutzpflicht kann dem Staat gebieten, das Kind von seinen Eltern zu trennen oder eine Trennung aufrechtzuerhalten, wenn das Kind in der Obhut seiner Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (2). Die Entscheidung, ob eine Trennung des Kindes von den Eltern geboten ist, verlangt dem Gericht eine Prognose ab und unterliegt darum besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens (3).

(1) Das Kind hat nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG einen Anspruch auf den Schutz des Staates, wenn die Eltern ihrer Pflege- und Erziehungsverantwortung (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht gerecht werden oder wenn sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe aus anderen Gründen nicht bieten können.

Das Kind, dem die Grundrechte, insbesondere das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) als eigene Rechte zukommen, steht unter dem besonderen Schutz des Staates (vgl. BVerfGE 24, 119, <144>; 55, 171 <179>; 57, 361 <382>; 133, 59 <73 Rn. 42>). Kinder bedürfen des Schutzes und der Hilfe, um sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln und gesund aufwachsen zu können (vgl. BVerfGE 107, 104 <117>; 121, 69 <92 f.>; 133, 59 <73 Rn. 42>). Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit verpflichten den Staat, Lebensbedingungen des Kindes zu sichern, die für seine Entwicklung und sein gesundes Aufwachsen erforderlich sind (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 57, 361 <383>; 133, 59 <73 f. Rn. 42>). Diese Schutzverantwortung für das Kind teilt das Grundgesetz zwischen Eltern und Staat auf. In erster Linie ist sie den Eltern zugewiesen; nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind Pflege und Erziehung die zuvörderst den Eltern obliegende Pflicht. Dem Staat verbleibt jedoch eine Kontroll- und Sicherungsverantwortung dafür, dass sich ein Kind in der Obhut seiner Eltern tatsächlich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit entwickeln und gesund aufwachsen kann (vgl. BVerfGE 133, 59 <74 Rn. 42>).

Werden Eltern der ihnen durch die Verfassung zugewiesenen Verantwortung nicht gerecht, weil sie nicht bereit oder in der Lage sind, ihre Erziehungsaufgabe wahrzunehmen oder können sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe aus anderen Gründen nicht bieten, kommt das „Wächteramt des Staates“ nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zum Tragen. Ist das Kindeswohl gefährdet, ist der Staat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen; das Kind hat insoweit einen grundrechtlichen Anspruch auf den Schutz des Staates (vgl. BVerfGE 24, 119 <144>; 60, 79 <88>; 72, 122 <134>; 107, 104 <117>).

(2) Diese Schutzpflicht gebietet dem Staat im äußersten Fall, das Kind von seinen Eltern zu trennen oder eine bereits erfolgte Trennung aufrechtzuerhalten.

Ob der Staat zum Schutz des Kindes tätig werden muss und darf und welche Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind, bestimmt sich nach Art und Ausmaß der Gefahr für das Kind. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit verpflichtet und berechtigt den Staat, die Eltern von der Pflege und Erziehung auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen; vielmehr ist stets dem grundsätzlichen Vorrang der Eltern vor dem Staat Rechnung zu tragen. Die Eltern haben ein Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), die Kinder haben ein gegen den Staat gerichtetes Recht auf elterliche Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), beide sind gemäß Art. 6 Abs. 3 GG besonders dagegen geschützt, voneinander getrennt zu werden (vgl. BVerfGE 136, 382 <391 Rn. 29>). Der Staat darf und muss daher zunächst versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der natürlichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen. Darauf ist er jedoch nicht beschränkt, sondern er darf und muss, wenn solche Maßnahmen nicht genügen, den Eltern die Erziehungs- und Pflegerechte vorübergehend, gegebenenfalls sogar dauernd entziehen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; stRspr).

Der Staat kann verfassungsrechtlich berechtigt (Art. 6 Abs. 3 GG) und verpflichtet (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) sein, zur Wahrung des Kindeswohls die räumliche Trennung des Kindes von den Eltern zu veranlassen oder aufrechtzuerhalten. Das ist dann der Fall, wenn das Kind bei einem Verbleib in der Familie oder bei einer Rückkehr dorthin in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 72, 122 <140>; 136, 382 <391 Rn. 28>; stRspr). Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 – 1 BvR 1178/14 -, Rn. 23, m.w.N.; s. auch BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 – XII ZB 166/03 -, FamRZ 2005, S. 344 <345>).

Ist ein Kind, wie hier, seit längerer Zeit bei einer anderen Pflegeperson untergebracht, kann die Gefahr für das Kind gerade aus der Rückführung resultieren. In einem solchen Fall ist es verfassungsrechtlich geboten, bei der Kindeswohlprüfung die Tragweite einer Trennung des Kindes von seiner Pflegeperson einzubeziehen und die Erziehungsfähigkeit der Ursprungsfamilie auch im Hinblick auf ihre Eignung zu berücksichtigen, die negativen Folgen einer durch diese Trennung womöglich verursachten Traumatisierung des Kindes gering zu halten (vgl. BVerfGK 17, 212 <221>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2000 – 1 BvR 2006/98 -, juris, Rn. 13; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 – 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 31). Das Kindeswohl gebietet es, die neuen gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen zu berücksichtigen und das Kind aus seiner Pflegefamilie nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von seinen bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes hinnehmbar sind (vgl. BVerfGE 68, 176 <187 ff.>; 72, 122 <140>; 75, 201 <217 ff.>; 79, 51 <64>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 – 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 31).

(3) Ob eine Trennung des Kindes verfassungsrechtlich zulässig und zum Schutz der Grundrechte des Kindes verfassungsrechtlich geboten ist, hängt danach regelmäßig von einer Gefahrenprognose ab. Dem muss die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens Rechnung tragen. Das gerichtliche Verfahren muss geeignet und angemessen sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für die vom Gericht anzustellende Prognose über die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu erlangen. Ob etwa Psychologen als Sachverständige hinzuziehen sind, um die für die Prognose notwendigen Erkenntnisse zu erlangen, muss das erkennende Gericht im Lichte seiner grundrechtlichen Schutzpflicht nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>).

bb) Mit diesen materiell- und verfahrensrechtlichen Maßgaben des Grundgesetzes korrespondieren Anforderungen an die Begründung der gerichtlichen Entscheidung.

Hält das Gericht eine Trennung des Kindes von den Eltern nicht für erforderlich, obwohl Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie oder bei einer Rückkehr dorthin in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist, hält die Entscheidung verfassungsgerichtlicher Kontrolle am Maßstab des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nur dann stand, wenn das Gericht in Auseinandersetzung mit den für eine nachhaltige Gefahr sprechenden Anhaltspunkten nachvollziehbar begründet, warum eine solche Gefahr für das Wohl des Kindes nicht vorliegt (vgl. BVerfGE 136, 382 <391 Rn. 28>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 – 1 BvR 3190/13 -, juris, Rn. 25 f.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Mai 2014 – 1 BvR 2882/13 -, juris, Rn. 48 ff.; jeweils zu Art. 6 Abs. 3 GG).

Einer näheren Begründung bedarf es regelmäßig insbesondere dann, wenn das Gericht der Einschätzung der Sachverständigen nicht folgt, es liege eine die Trennung von Kind und Eltern gebietende Kindeswohlgefährdung vor. Zwar schließt die Verfassung nicht aus, dass das Fachgericht im Einzelfall von den fachkundigen Feststellungen und Wertungen gerichtlich bestellter Sachverständiger abweicht. Insbesondere ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht zu einer abweichenden Einschätzung und Bewertung von Art und Ausmaß einer Kindeswohlgefährdung gelangt. Es muss dann aber eine anderweitige verlässliche Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung haben und diese offenlegen. Ein Abweichen von den gegenläufigen Einschätzungen der Sachverständigen bedarf hier eingehender Begründung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Juni 1999 – 1 BvR 1689/96 -, juris, Rn. 16; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. August 2014 – 1 BvR 1822/14 -, juris, Rn. 34). Weicht das Gericht von den Feststellungen und Wertungen weiterer beteiligter Fachkräfte ab (insbesondere Verfahrensbeistand, Jugendamt, Familienhilfe, Vormund), gilt im Grundsatz das Gleiche (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 – 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 44 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. August 2014 – 1 BvR 1822/14 -, juris, Rn. 37; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Januar 2016 – 1 BvR 2742/15 -, juris; jeweils zu Art. 6 Abs. 3 GG).

cc) Lehnt das Fachgericht eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ab, obwohl Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass eine nachhaltige Gefahr für das Wohl des Kindes vorliegt, unterliegt dies strenger verfassungsgerichtlicher Kontrolle.

Grundsätzlich ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>; 42, 143 <147 ff.>; 49, 304 <314>). Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeit des Bundesverfassungsgerichts aber nicht starr und gleichbleibend ziehen. Sie hängen namentlich von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab (vgl. BVerfGE 42, 163 <168>; 79, 51 <63>).

Stellt sich wie hier die Frage der Trennung des Kindes von seinen Eltern zur Abwendung einer nachhaltigen Kindeswohlgefährdung, besteht wegen des sachlichen Gewichts der teils parallelen, teils gegenläufigen Grundrechte der Beteiligten Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen, zumal die Entscheidung über eine Trennung für alle Beteiligten von existenzieller Bedeutung sein kann (vgl. BVerfGE 60, 79 <90 f.>; 68, 176 <190>; 72, 122 <138 f.>; 75, 201 <221>; 79, 51 <63>; 136, 382 <391 Rn. 28>). Dies gilt auch, wenn das Bundesverfassungsgericht wie hier zu überprüfen hat, ob die Ablehnung einer Trennung des Kindes von seinen Eltern mit der Pflicht des Staates zum Schutz des Kindes vereinbar ist. Bei dieser Sachlage können neben der Frage, ob die angefochtene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen, auch einzelne Auslegungsfehler nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 42, 163 <169>; 60, 79 <91>; 68, 176 <190 f.>; 75, 201 <222>; 79, 51 <63>). Die verfassungsgerichtliche Kontrolle erstreckt sich ausnahmsweise auch auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts (vgl. BVerfGE 136, 382 <391 Rn. 28>).

b) Die angegriffene Entscheidung genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Es bestehen mehrere Anhaltspunkte dafür, dass eine nachhaltige Gefahr für das Kind vorliegt, sodass das Gericht mit Rücksicht auf die Art und Schwere der dem Kind drohenden Gefahr bezüglich seiner gegenläufigen Einschätzung besonders hohen Begründungsanforderungen unterliegt (aa). Diese hat es nicht erfüllt. Es weicht ohne hinreichende Begründung und anderweitige verlässliche Grundlage von der Einschätzung der Sachverständigen und anderer am Verfahren Beteiligter ab (bb). Dessen ungeachtet ist die Würdigung des Oberlandesgerichts auch für sich genommen nicht hinreichend nachvollziehbar (cc).

aa) Die Anforderungen an die Begründung einer Rückführung sind hier besonders hoch, weil es – vom Oberlandesgericht näher zu klärende und zu bewertende – Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Kind bei einer Rückkehr in die elterliche Obhut schwerste körperliche Misshandlungen erleiden könnte. In der Vergangenheit ist es bereits zu einer solchen Misshandlung gekommen (neunfacher Rippenbruch, der eine kräftige Gewalteinwirkung voraussetzt), deren Umstände nicht aufgeklärt sind, für die die Eltern indessen auf die ein oder andere Art für verantwortlich gehalten werden. Das Risiko einer neuerlichen schweren körperlichen Misshandlung realisiert sich, wenn es denn eintritt, nicht in einer prozesshaften Entwicklung, die beobachtet und nachträglich aufgehalten werden könnte; der Schadenseintritt ist vielmehr unumkehrbar. Eine Rückführung verlangt unter diesen Umständen ein hohes Maß an Prognosesicherheit, dass dieser Schaden nicht eintreten wird, was sich in hohen Begründungsanforderungen niederschlägt.

bb) Das Oberlandesgericht weicht mit der Verneinung einer nachhaltigen Kindeswohlgefahr von der – von anderen Beteiligten (insbesondere Verfahrensbeiständin und Jugendamt) im Wesentlichen geteilten – Einschätzung der Sachverständigen (1) ab, ohne dies hinreichend zu begründen (2) und insbesondere ohne darzulegen, inwiefern es anderweitig über eine verlässliche Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung verfügt (3).

(1) Die Sachverständige legt im Befund ihres Gutachtens ausführlich dar, wie sie aufgrund der in der Begutachtung gewonnenen Daten die Entwicklung und Erziehungsbedarfe des Kindes, die Bindungs- und Beziehungsstrukturen sowie die Erziehungsfähigkeit der Eltern einschätzt. Zusammenfassend sieht sie ein Risiko einer erneuten Misshandlung des Kindes und bezweifelt, dass die aus ihrer Sicht eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Eltern ausreicht, dem nach ihrer Einschätzung erhöhten erzieherischen Bedarf des Kindes gerecht zu werden:

„… prognostisch besteht … ein erhöhter erzieherischer Bedarf und eine dauerhaft erhöhte Fragilität durch die Frühgeburtlichkeit und die erfahrene Beeinträchtigung (wiederholte Klinikaufenthalte, wechselnde Betreuungspersonen und Umgebungsbedingungen, Frakturen mit einhergehenden erheblichen Schmerzen, bei welchen am ehesten von Misshandlungen durch eine Betreuungsperson ausgegangen werden kann).“
 
„Unter der Prämisse einer Misshandlung des Kindes durch einen Elternteil ist von einem wesentlichen Wiederholungsrisiko auszugehen, hier mit potentiell weitreichenden Folgen angesichts des entwicklungs- und altersbedingt noch erhöhten Schutz- und Betreuungsbedarfs bzw. fehlender Möglichkeit zum selbständigen Schutz des Kleinkindes. Neben den Anforderungen an elterliche, insbesondere … mütterliche Belastbarkeit durch eine ganztätige Betreuung des Kindes kämen weitere Belastungen auf die Mutter durch die zu erwartende Unruhe des Kindes aufgrund des Bezugspersonen- und Umgebungswechsels zu, was die Kapazitäten der Familie noch zusätzlich beanspruchen würde. Elterliche Überforderungen mit nochmaliger Erhöhung eines etwaigen Misshandlungsrisikos können in der Gesamtschau nicht ausgeschlossen werden, wenn die Eltern die alleinige Verantwortung für das Mädchen trügen.
 
Bei beiden Eltern ergaben sich Hinweise auf Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit. Eine von einem Elternteil ausgehende unmittelbare Gefährdung des Kindes ist nicht auszuschließen. Das Risiko lässt sich durch aufsuchende Hilfen nicht ausreichend kompensieren.“
 
„Sachverständigerseits werden in der Gesamtschau bei den Eltern wesentliche Risikofaktoren gesehen, welche besonders vor dem Hintergrund des bestehenden Missbrauchsbefundes durch die Rechtsmedizin ernst zu nehmen sind. Für den Fall einer Misshandlung des Kindes durch einen Elternteil, beispielsweise als Ausdruck der Reinszenierung eigener traumatischer Kindheitserfahrungen, ist das Risiko neuerlicher Übergriffe deutlich erhöht. Insbesondere ist die Gefahr impulsiver plötzlicher Übergriffigkeit in Erwägung zu ziehen, besonders in Überforderungssituationen wie bei anhaltendem Weinen des Kindes, Trotzreaktionen bei zunehmendem Alter, ausgeprägten Explorationswünschen etc.
 
Angesichts der, wenn auch sicherlich situativ mitbedingten, eingeschränkten Offenheit der Eltern, der, soweit beurteilbar bestehenden Zurückhaltung, eigene Schwierigkeiten, Sorgen und Ängste oder Überforderungen offen zu machen, sowie der besonders bei der Mutter bedenklichen Selbstwahrnehmung erscheint prognostisch unsicher, ob und inwieweit die Eltern, beispielsweise in einem stationären Setting, zu einer ausreichend offenen Haltung, eigenständigem Benennen von Unsicherheiten und Überforderung und auch dem Einfordern von Unterstützung finden könnten.“
 
„Aus fachlicher Sicht ist derzeit nur eingeschränkt beurteilbar, ob und inwieweit die Eltern unter Alltagsanforderungen und insbesondere schwierigen Situationen reagieren würden. … Aus fachlicher Sicht ist es angesichts der auszumachenden erhöhten Risikosituation … empfehlenswert, dass sich die Eltern zunächst gemeinsam mit L. einer stationären Diagnostik unterziehen. … Prognostisch kann sich erst im Zuge eines begleiteten diagnostischen Settings zeigen, inwieweit unter Alltagsbelastung Hinweise auf wesentliche Überforderung und einhergehend konkret gefährdende Situationen auftreten bzw. ob und inwieweit die Eltern tatsächlich längerfristig zur Reflexion und Annahme von Hilfen bzw. Korrektur bereit sind. Es sollte ein stationäres Setting gefunden werden, welches dem Kind aber auch den Eltern durch engmaschige Begleitung Schutz, Anleitung und Korrektur bietet.“

Ausweislich des Protokolls des Amtsgerichts äußerte die Sachverständige in der zweiten mündlichen Verhandlung, „dass sie in jedem Fall eine 24-Stunden-Betreuung für erforderlich halte; auch nachts.”

(2) Mit dieser Einschätzung der Sachverständigen und den von der Sachverständigen zugrunde gelegten Befunden setzt sich das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung nicht hinreichend auseinander und legt auch nicht dar, weshalb es der Einschätzung der psychologischen Sachverständigen nicht folgt. Das Gericht beschränkt sich vielmehr auf die Aussage, es vermöge „konkrete Anhaltspunkte für wiederholt drohende elterliche Gewalt … weder dem Sachverständigengutachten noch dem übrigen Inhalt der familiengerichtlichen staatsanwaltlichen oder jugendamtlichen Akten zu entnehmen“. Die Sachverständige hat indessen zu einer Reihe von Faktoren nähere Ausführungen gemacht, die nach ihrer Einschätzung auf Risiken aufgrund der Biografie und der Persönlichkeit beider Eltern hindeuten: etwa die unbemerkte oder verleugnete Schwangerschaft, massive Gewalterfahrungen der Kindesmutter durch ihre eigene Mutter, die nicht durchgehend behandelte Epilepsieerkrankung der Kindesmutter, die fragliche Epilepsieerkrankung und die ebenfalls nicht weiter aufgeklärte Alkoholproblematik des Vaters, Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit insbesondere im Bereich emotionaler Schwingungsfähigkeit und Feinfühligkeit, fehlende Offenheit auch gegenüber „eigenen lebensgeschichtlichen Lerndefiziten und eigenen potentiell traumatisierenden Erfahrungen“, insbesondere die geringe Aufklärungsbereitschaft gegenüber physischen, psychischen Defiziten sowie Anzeichen für eine Überlastungs-reaktion und in diesem Zusammenhang die Gefahr weiterer „impulsiver unkontrollierter Reaktionen gegenüber dem Kind“. Auf die hierzu und zu weiteren Aspekten von der Sachverständigen in der Begutachtung gewonnenen Einschätzungen, die sie ihrem ausführlich mitgeteilten Befund – nicht offensichtlich unplausibel – zugrunde legt, geht das Gericht nicht näher ein. So ist nicht erkennbar, warum das Gericht die von der Sachverständigen herangezogenen Daten und den Befund nicht als „konkrete Anhaltspunkte“ für die von der Sachverständigen bejahte Wiederholungsgefahr gelten lässt.

(3) Es ist nicht ersichtlich, dass das Gericht über eine anderweitige verlässliche Grundlage für seine Einschätzung verfügt. Insbesondere hat es nicht selbst ein Sachverständigengutachten eingeholt, auf das es seine gegenläufige Einschätzung stützen könnte. Demgegenüber hatte die Sachverständige ausführlich dargelegt, dass es weiterer Aufklärung bedürfe, um die Alltagsbelastbarkeit der Eltern und deren Reaktionsmöglichkeiten unter höherer Belastung zu erfassen und um die sich aus ihrer Sicht häufenden unklaren Gesichtspunkte insbesondere hinsichtlich des Vaters wie den Hinweis auf Absencen, den Verdacht auf Epilepsie und den Alkoholkonsum aufzuklären.

Das Gericht gibt an, auch aufgrund des Eindrucks, den es von beiden Eltern bei ihrer Anhörung gewonnen hat, zu der Auffassung gelangt zu sein, den Eltern könne zugetraut werden, für das Kind in ausreichender Weise Verantwortung zu übernehmen. Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen, dass das Gericht aufgrund der mündlichen Verhandlung zu einem solchen Eindruck kommt und auf dieser Grundlage zu einer optimistischeren Risikobewertung gelangt als die anderen Beteiligten. Das Gericht hätte hierfür jedoch konkret benennen müssen, welche Umstände, insbesondere welche Aussagen und welches Verhalten der Eltern in der mündlichen Verhandlung seiner abweichenden Einschätzung zugrunde liegen und weshalb diese geeignet sind, die von der Sachverständigen benannten Risikofaktoren zu entkräften. Das ist hier nicht geschehen. Das Gericht hat den Inhalt der mündlichen Verhandlung nicht näher dargelegt und auch kein aussagekräftiges Protokoll gefertigt, aus dem sich Gründe für die optimistischere Bewertung erschließen könnten.

cc) Ungeachtet der entgegenstehenden Einschätzung der Sachverständigen, der Verfahrensbeiständin und des Jugendamts ist die eigene Würdigung der Gefährdungsaspekte durch das Oberlandesgericht auch für sich genommen nicht hinreichend nachvollziehbar. Das Oberlandesgericht hat die hier zutage getretenen Gefährdungsaspekte, insbesondere im Hinblick auf etwaig drohende weitere Misshandlungen (1) sowie in Bezug auf die spezifisch mit der Rückführung verbundenen Belastungen des Kindes (2) weder im Einzelnen noch in ihrem Zusammenwirken hinreichend nachvollziehbar gewürdigt. Das gilt auch für die Einschätzung, die Gefährdung könne hier durch öffentliche Hilfen abgewendet werden (3).

(1) Die Einschätzung des Oberlandesgerichts, es drohe keine erneute Misshandlung, ist nicht plausibel begründet.

(a) Nach Ansicht des Oberlandesgerichts „deuten die übrigen Umstände eher auf ein Augenblicksversagen als auf wiederholte, in vergleichbarer Weise auch künftig zu erwartende Misshandlungen hin“. Dafür findet sich jedoch keine nachvollziehbare Begründung. Insbesondere bleibt offen, welche „übrigen Umstände“ das Gericht hier meint.

(b) Die Einschätzung des Gerichts, es drohe keine erneute Misshandlung, ist nicht frei von Widersprüchen. Das Gericht nimmt einerseits an, dass die Eltern für die massiven Rippenbrüche des Kindes jedenfalls mitverantwortlich sind und hält die ursprüngliche Inobhutnahme des Kindes zur Abwendung der Gefährdungslage für erforderlich. Aus der Entscheidung geht andererseits nicht hervor, inwiefern sich die Gefahrenlage verbessert haben soll. Es ist nicht dargelegt, was sich in der Zeit der Fremdunterbringung auf Seiten der Eltern im Vergleich zur damaligen Familiensituation, in der es zu dem Übergriff kam, in der Weise verändert haben soll, dass eine Abweichung von der vorangegangenen Risikobewertung angezeigt erschiene. Zudem steht nun die Geburt eines weiteren Kindes bevor, so dass es bei der Betreuung beider Kinder vermehrt zu Stresssituationen kommen kann. Hierzu wären nähere Prüfungen und Ausführungen erforderlich gewesen (vgl. BVerfGK 17, 212 <219>).

(2) Es bestehen auch Anhaltspunkte dafür, dass eine nachhaltige Kindeswohlgefahr aus den rückführungsspezifischen Belastungen resultieren könnte, weil die leiblichen Eltern den hierdurch gesteigerten Anforderungen an die Erziehungsfähigkeit nicht gerecht werden könnten. Insoweit hat es das Gericht bereits an der gebotenen Sachverhaltsaufklärung fehlen lassen.

Das Oberlandesgericht hat sich nicht ausreichend mit der Frage befasst, ob und in welchem Maße zu den jetzigen Pflegeeltern Bindungen entstanden sind und eine abermalige Herausnahme aus dem sozialen Umfeld eine nicht hinnehmbare Schädigung des Kindes nach sich ziehen kann. Die Annahme, dass das seit April 2016 bei der Dauerpflegefamilie lebende Kind noch keine beachtlichen Bindungen zu der jetzigen Pflegefamilie entwickelt habe, stützt das Gericht allein auf eine nicht näher wiedergegebene Angabe der Pflegeeltern, die auch nicht aussagekräftig protokolliert ist.

Mögliche aus der Rückführung erwachsende weitere Belastungen für das ohnehin schon erheblich vorbelastete Kind sind nicht näher untersucht worden. Die Gründe des angegriffenen Beschlusses lassen demgemäß auch nicht erkennen, dass das Oberlandesgericht der Frage nachgegangen ist, ob die leiblichen Eltern in der Lage sind, die mit der Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie verbundenen nachteiligen Folgen so gering wie möglich zu halten. Auch insoweit hätten die im elterlichen Umfeld erfolgte und nicht aufgearbeitete Misshandlung des Kindes sowie die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Eltern in Bezug auf Emotionalität, Feinfühligkeit und Empathie Anlass für eine eingehende Prüfung – gegebenenfalls unter Zuhilfenahme sachverständiger Unterstützung – gegeben.

Schließlich hat das Oberlandesgericht für die Rückführung des Kindes in den elterlichen Haushalt lediglich eine Befristung von sechs Wochen vorgesehen, ohne zu prüfen, auf welche Weise der Wechsel des Kindes so vorbereitet werden könnte, dass er das betroffene Kind von seinen bisherigen Bezugspersonen nicht zu abrupt und ohne einen Aufbau von Beziehungen zu seinen Eltern trennt. Hier wäre in Erwägung zu ziehen gewesen, ob durch eine sich intensivierende Umgangsregelung ein allmählicher Bindungsaufbau zu den noch fremden leiblichen Eltern erreicht werden könnte (vgl. BVerfGK 2, 144 <147>; 17, 212 <222>). Zur Ausgestaltung eines behutsamen Übergangs des Kindes von der Pflegefamilie zu den Eltern bestand in gesteigertem Maße Anlass angesichts der besonders belastenden Vorgeschichte des Kindes, der Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Eltern und des Umstandes, dass seit mehreren Monaten Umgangskontakte der leiblichen Eltern mit ihrem Kind nur alle zwei Monate für eine Stunde stattfinden.

(3) Die Einschätzung des Oberlandesgerichts, die – in der Entscheidung nicht näher spezifizierte – Gefährdung für das Kind in elterlicher Obhut könne durch öffentliche Hilfen abgewendet werden, ist angesichts des Ausmaßes der hier in Rede stehenden Gefahren nicht ausreichend begründet. Das Gericht versäumt insoweit, Möglichkeiten und Grenzen öffentlicher Hilfen im konkreten Fall aufzuklären und darzulegen. Welche Hilfen im Einzelnen welche Gefährdungsrisiken kompensieren sollen, wird weder im Tenor noch in den Gründen der Entscheidung nachvollziehbar ausgeführt. Mit den Bedenken der Sachverständigen auch in diesem Zusammenhang (fehlende Reflexion der Eltern und fehlendes Vermögen, relevante Aspekte offen anzusprechen, so dass die Hilfe möglicherweise ins Leere läuft) setzt sich das Oberlandesgericht nicht auseinander. Inwieweit in Anbetracht der auch vom Gericht angenommenen markanten Schwierigkeit der Eltern, einen Unterstützungsbedarf zu erkennen, das Ziel, das Kind vor Schädigungen zu schützen, prognostisch erreicht werden kann, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. Die Sachverständige hat dargelegt, dass insoweit ein Bedarf weiterer Aufklärung im Rahmen stationärer Diagnostik besteht. Dies wird ebenso wenig verarbeitet wie die Einschätzung der Sachverständigen, dass ambulante Hilfen zur Vermeidung einer Gefährdungslage nicht genügten und letztlich nur eine – nicht realisierbare – 24-Stunden-Betreuung ausreichenden Schutz des Kindes sicherstellen könne.

3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 7. Oktober 2016 (erlassen am 13. Oktober 2016) wird gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

4. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

BVerfG, Beschluss vom 03.02.2017
1 BvR 2569/16

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