Zur Befristung des nachehelichen Krankheitsunterhalts im Fall der Klage des Sozialhilfeträgers auf rückständigen und laufenden Unterhalt aus übergegangenem Recht.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. April 2010 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, den Richter Prof. Dr. Wagenitz, die Richterin Dr. Vézina und die Richter Dose und Dr. Klinkhammer
für Recht erkannt:
Die Revisionen gegen das Urteil des 7. Familiensenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. August 2008 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin macht gegen den Beklagten aus übergegangenem Recht nach § 94 SGB XII Krankheitsunterhalt seiner geschiedenen Ehefrau (im Folgenden: Ehefrau) geltend. Die Klägerin gewährt der Ehefrau Sozialhilfe.
Die Ehe wurde 1984 geschlossen. Im Jahr 1986 wurde der gemeinsame Sohn geboren. Im November 1992 trennten sich die Eheleute. Die Ehe wurde auf den im November 1993 zugestellten Scheidungsantrag geschieden. Die Scheidung ist seit April 1995 rechtskräftig.
Die 1955 geborene Ehefrau ist seit Jahrzehnten psychisch krank und leidet an Depressionen. Sie erhielt schon während des Scheidungsverfahrens Sozialhilfeleistungen. Der 1960 geborene Beklagte erzielt Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit.
Nachdem die Parteien sich hinsichtlich früherer Unterhaltszeiträume auf Zahlungen des Beklagten geeinigt hatten, verlangt die Klägerin im vorliegenden Verfahren Unterhalt ab November 2005. Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß zu rückständigem und laufendem Unterhalt verurteilt. Das Berufungsgericht hat den Unterhalt bis Dezember 2008 befristet und das Urteil im Übrigen bestätigt. Dagegen richten sich die Revisionen beider Parteien.
Entscheidungsgründe:
Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Unterhalt nach § 1572 BGB in der geltend gemachten Höhe zugesprochen. Der Einwand des Beklagten, die Ehefrau habe sich nicht um die Wiederherstellung ihrer Erwerbsfähigkeit bemüht, sei nicht dargetan.
Der Unterhalt sei nach § 1578 b BGB auf die Dauer von einem Jahr ab Januar 2008 zu befristen. Der Ehefrau seien durch ihre Krankheit keine ehebedingten Nachteile entstanden. Sie sei bei Zustellung des Scheidungsantrags 38 Jahre alt gewesen. Die Ehedauer habe bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags rund 9 ½ Jahre betragen. Der Ehefrau sei es zumutbar, sich mit dem Wegfall des Unterhalts abzufinden. Daraus werde auch keine unangemessene Benachteiligung der öffentlichen Hand bewirkt. Eine Befristung sei auch möglich, wenn der Unterhaltsanspruch auf die öffentliche Hand übergegangen sei.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
1. Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt eine weitergehende Begrenzung des Unterhalts nach § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. nicht in Betracht. Zwar hat das Berufungsgericht eine Herabsetzung des Unterhalts auf den angemessenen Lebensbedarf ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils nicht erwogen, obwohl diese schon nach der bis 2007 geltenden Rechtslage auch für den Krankheitsunterhalt möglich gewesen wäre. Eine Herabsetzung auf den angemessenen Lebensbedarf kam hier aber schon deswegen nicht in Betracht, weil der auf die Klägerin übergangene Unterhalt ohnehin nicht über dem angemessenen Unterhaltsbedarf lag.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist der angemessene Unterhaltsbedarf im Sinne von § 1578 b Abs. 1 BGB, § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. zumindest mit dem Existenzminimum zu bemessen (Senatsurteile vom 14. Oktober 2009 – XII ZR 146/08 – FamRZ 2009, 1990 Tz. 14 und vom 17. Februar 2010 – XII ZR 140/08 – FamRZ 2010, 629 Tz. 32). Da die Ehefrau Sozialhilfe erhielt und ein Unterhaltsanspruch nach § 94 SGB XII ohnehin nur begrenzt durch die geleistete Sozialhilfe auf die Klägerin übergegangen sein kann, erhielt sie im Zweifel keine über die Sicherung des Existenzminimums hinausgehenden Leistungen. Für eine Herabsetzung des Unterhaltsbedarfs nach § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. wie auch nach § 1578 b Abs. 1 BGB besteht demnach kein Raum.
2. Die vom Berufungsgericht angenommene Befristung des Unterhalts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
a) Der Beklagte kann der Klägerin, die nach § 94 SGB XII neue Gläubigerin des Unterhaltsanspruchs geworden ist, gemäß §§ 412, 404 BGB den Befristungseinwand entgegenhalten (vgl. Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis* 7. Aufl. § 8 Rdn. 79). Das muss auch gelten, wenn der Unterhaltspflichtige – wie im vorliegenden Fall – vom Sozialhilfeträger nach § 94 Abs. 4 Satz 2 SGB XII auf künftigen Unterhalt in Anspruch genommen wird und die Befristung erst in der Zukunft eingreift (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2005, 1756). Anderenfalls würde sich die Rechtsstellung des Unterhaltspflichtigen durch den gesetzlichen Anspruchsübergang ohne sachlichen Grund verschlechtern. Der am Prozess nicht beteiligte Unterhaltsberechtigte erleidet, wenn etwa die Voraussetzungen des § 94 Abs. 4 Satz 2 SGB XII entfallen, dadurch keinen Nachteil, weil die Entscheidung über die Befristung für ihn keine Rechtskraftwirkung entfaltet.
b) Auf die Befristung ist das seit dem 1. Januar 2008 geltende Unterhaltsrecht anzuwenden (Art. 4 Unterhaltsrechtsänderungsgesetz; vgl. auch § 36 Nr. 7 EGZPO und Senatsurteil BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 – Tz. 27 f.). Die vom Berufungsgericht vorgenommene Befristung ist demnach seit 1. Januar 2008 gemäß § 1578 b Abs. 2 BGB auch für den nachehelichen Krankheitsunterhalt nach § 1572 BGB zulässig.
Der Unterhalt ist vom Familiengericht zu befristen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie aus der Dauer der Ehe ergeben (§ 1578 b Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 BGB).
aa) Ein ehebedingter Nachteil liegt hier nicht vor (zur Darlegungs- und Beweislast s. Senatsurteil vom 24. März 2010 – XII ZR 175/08 – zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt). Die Krankheit des Unterhaltsberechtigten ist regelmäßig kein ehebedingter Nachteil, denn sie wird allenfalls in Ausnahmefällen auf der Rollenverteilung in der Ehe oder sonstigen mit der Ehe zusammenhängenden Tatsachen beruhen (vgl. Senatsurteile BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 – Tz. 33; vom 27. Mai 2009 – XII ZR 111/08 – FamRZ 2009, 1207 Tz. 37 und vom 14. April 2010 – XII ZR 89/08 – zur Veröffentlichung bestimmt). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Die Krankheit der Ehefrau besteht seit mehreren Jahrzehnten und ist der Grund ihrer Unterhaltsbedürftigkeit.
Ein ehebedingter Nachteil kann sich allenfalls daraus ergeben, dass ein Unterhaltsberechtigter aufgrund der Rollenverteilung in der Ehe nicht ausreichend für den Fall der krankheitsbedingten Erwerbsminderung vorgesorgt hat und seine Erwerbsunfähigkeitsrente infolge der Ehe und Kindererziehung geringer ist, als sie ohne die Ehe wäre (Senatsurteil BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 – Tz. 34). Dann ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Ausgleich unterschiedlicher Vorsorgebeiträge vornehmlich Aufgabe des Versorgungsausgleichs ist, durch den die Interessen des Unterhaltsberechtigten regelmäßig ausreichend gewahrt werden (Senatsurteile vom 16. April 2008 – XII ZR 107/06 – FamRZ 2008, 1325 Tz. 42 und vom 25. Juni 2008 – XII ZR 109/07 – FamRZ 2008, 1508 Tz. 25).
bb) Das Fehlen ehebedingter Nachteile führt indessen nicht ohne weiteres dazu, dass der Krankheitsunterhalt zwangsläufig zu befristen wäre (Senatsurteile BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 – Tz. 36; vom 27. Mai 2009 – XII ZR 111/08 – FamRZ 2009, 1207 Tz. 37 und vom 14. April 2010 – XII ZR 89/08 zur Veröffentlichung bestimmt). Auch wenn keine ehebedingten Nachteile vorliegen, ist die Befristung als gesetzliche Ausnahme nur bei Unbilligkeit eines weitergehenden Unterhaltsanspruchs begründet. Bei der hier anzustellenden Billigkeitsabwägung hat das Familiengericht das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen, wobei vor allem die in § 1578 b Abs. 1 BGB aufgeführten Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Auch in solchen Fällen, in denen die fortwirkende eheliche Solidarität den wesentlichen Billigkeitsmaßstab bildet, fällt den in § 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB genannten Umständen besondere Bedeutung zu (BT-Drucks. 16/1830, S. 19). Auf deren Grundlage, insbesondere der Dauer der Pflege oder Erziehung gemeinschaftlicher Kinder, der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie der Dauer der Ehe ist auch der Umfang einer geschuldeten nachehelichen Solidarität zu bemessen (Senatsurteil vom 27. Mai 2009 – XII ZR 111/08 – FamRZ 2009, 1207 Tz. 39).
Eine im Fall einer Unterhaltsversagung eintretende oder – wie im vorliegenden Fall – erweiterte Sozialleistungsbedürftigkeit schließt eine Befristung nach § 1578 b Abs. 2 BGB nicht notwendig aus. Vielmehr nimmt das Gesetz durch die Möglichkeit der Befristung des Krankheitsunterhalts in Kauf, dass der Unterhaltsberechtigte infolge der Unterhaltsbefristung sozialleistungsbedürftig wird und somit die Unterhaltsverantwortung des geschiedenen Ehegatten durch eine staatliche Verantwortung ersetzt wird (vgl. auch Senatsurteil BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 – Tz. 37).
cc) Das Berufungsgericht hat insoweit neben dem Fehlen ehebedingter Nachteile auf die Dauer der Ehe und das Alter der Ehefrau zum Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags abgestellt.
Dass sich nach der Begründung des Berufungsgerichts zudem wegen des geringen Unterhalts und der auch ohne Befristung “erforderlichen Sozialhilfebedürftigkeit in der Versorgungslage der Ehefrau” keine Nachteile ergeben, ist hingegen kein sachlicher Grund für eine Befristung. Zwar findet die Frage, welche Belastungen mit einer Fortschreibung oder aber Befristung des Unterhalts für die Beteiligten verbunden sind, in der Billigkeitsabwägung durchaus einen Platz (vgl. Senatsurteil BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 – Tz. 39). Auf einen Vergleich mit der Versorgungslage des Unterhaltsberechtigten unter Einbeziehung von Sozialleistungen darf hierbei aber nicht abgestellt werden. Denn diese Betrachtungsweise liefe darauf hinaus, dass ein Unterhaltsanspruch eher zu befristen wäre, wenn er das Sozialhilfeniveau nicht erreicht. Das widerspräche aber der gesetzlichen Grundentscheidung, dass die Sozialhilfe gegenüber dem Unterhalt nachrangig ist (§§ 2, 94 SGB XII).
Gleichwohl ist die Abwägung des Berufungsgerichts im Ergebnis aber nicht zu beanstanden. Es handelt sich ersichtlich um eine Hilfserwägung, die schon vom Berufungsgericht offensichtlich nicht als tragender Grund für die Befristung angesehen worden und die auch von der Revision der Klägerin nicht aufgegriffen worden ist.
Die Ehedauer betrug rund 9 ½ Jahre. Für die Ehedauer ist – entgegen der Ansicht der Klägerin – auf die Zeit von der Eheschließung bis zur Zustellung des Scheidungsantrags abzustellen (ständige Senatsrechtsprechung, Senatsurteile BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 – Tz. 35 und vom 9. Juli 1986 – IVb ZR 39/85 – FamRZ 1986, 886, 888).
Allerdings ergibt sich allein aus der Ehedauer von 9 ½ Jahren und dem Alter der Ehefrau von 38 Jahren bei Zustellung des Scheidungsantrags noch nicht zwangsläufig, dass der nacheheliche Unterhalt zu befristen wäre. Vielmehr ist eine umfassende Würdigung notwendig und sind – wie ausgeführt – insbesondere auch die Gestaltung der Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit sowie die Erziehung der Kinder einzubeziehen. Dabei ist im vorliegenden Fall aber zu berücksichtigen, dass die Ehefrau schon in den ersten Ehejahren und seitdem fortwährend erkrankt war. Dem Beklagten oblag der Familienunterhalt. Zusätzlich wurde er dadurch belastet, dass ihm im Zuge der Ehescheidung das Sorgerecht für den seinerzeit achtjährigen gemeinsamen Sohn übertragen wurde und er jedenfalls in der Folgezeit sowohl für die Betreuung des Kindes als für dessen Barunterhalt verantwortlich war. Auch wenn der Beklagte seit der Ehescheidung – zum Teil aufgrund von Schulden, die von der Klägerin akzeptiert wurden – nur in eingeschränktem Umfang Unterhalt leisten musste, ist demnach die vom Berufungsgericht ausgesprochene Befristung des Unterhalts auf einen Zeitraum von rund vierzehn Jahren nach der Scheidung und einem Jahr nach Inkrafttreten der gesetzlichen Befristungsmöglichkeit im Ergebnis nicht zu beanstanden.
BGH, Urteil vom 28.04.2010
XII ZR 141/08
AG Neuss, Entscheidung vom 31.10.2007
46 F 347/07
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 07.08.2008
II-7 UF 268/07