BGH: Zur Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle eines notariellen Ehevertrags

BGH: Zur Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle eines notariellen Ehevertrags

Zur Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle eines notariellen Ehevertrags, der neben der Vereinbarung der Gütertrennung und des Ausschlusses des Versorgungsausgleichs auch Regelungen über den nachehelichen Ehegattenunterhalt, die Übertragung eines Hausanteils auf den Ehemann und eine Ausgleichszahlung des Ehemannes an die Ehefrau enthält (Fortführung des Senatsurteils vom 11. Februar 2004 – XII ZR 265/02FamRZ 2004, 601; vgl. auch Senatsbeschluß vom 6. Oktober 2004 – XII ZB 57/03 – zur Veröffentlichung bestimmt).

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Oktober 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz und Dose

beschlossen:

Auf die weitere Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluß des 4. Zivilsenats – zugleich Familiensenat – des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg, vom 15. Juni 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 511 €

Gründe:

I.

Die am 16. Dezember 1977 geschlossene Ehe der Parteien, aus der zwei – am 22. Mai 1978 und am 1. Juli 1980 geborene – Kinder hervorgegangen sind, wurde auf den der Ehefrau (Antragsgegnerin, geboren am 31. Mai 1959) am 10. Oktober 1997 zugestellten Antrag des Ehemannes (Antragsteller, geboren am 15. August 1957) durch Verbundurteil des Amtsgerichts – Familiengericht – vom 30. April 1998 geschieden (insoweit rechtskräftig seit dem 11. August 1998). Die Parteien streiten über die Durchführung des Versorgungsausgleichs.

Mit Ehevertrag vom 24. November 1986 hatten die Parteien Gütertrennung vereinbart und den Versorgungsausgleich ausgeschlossen. Für den Fall der Scheidung erklärte sich der Ehemann bereit, der Ehefrau, solange sie keine eigenen Einkünfte habe, als Unterhalt “auf der heutigen Basis” einen monatlichen Betrag von 300 DM und, falls die Ehefrau halbtags arbeite, von 150 DM zu zahlen, soweit er hierzu unter Berücksichtigung seiner Aufwendungen für das gemeinsame Hausgrundstück und den Unterhalt der Kinder in der Lage sei. Die Ehefrau verpflichtete sich für den Fall der Scheidung, ihre Hälfte an dem gemeinsamen Hausgrundstück auf den Ehemann zu übertragen. Der Ehemann seinerseits verpflichtete sich, für den Fall der Scheidung und nach Übertragung des hälftigen Miteigentums an dem Hausgrundstück der Ehefrau in bestimmten Raten einen Betrag von insgesamt 50.000 DM “als freiwillige Entschädigung für die Tätigkeit im Haushalt und die Erziehung der Kinder” zu zahlen.

Das Amtsgericht hat die von der Ehefrau beantragte Durchführung des Versorgungsausgleichs – unter Hinweis auf dessen ehevertraglichen Ausschluß – abgelehnt. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde der Ehefrau, mit der diese ihren Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs weiterverfolgt hat, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die – vom Oberlandesgericht zugelassene – weitere Beschwerde der Ehefrau.

II.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist der von den Parteien vereinbarte Ausschluß des Versorgungsausgleichs wirksam. Für die Frage der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts komme es auf die Umstände im Zeitpunkt seiner Vornahme an; deshalb seien allein die Folgen des Ausschlusses, hier die fehlende Altersversorgung, nicht entscheidend. Anhaltspunkte dafür, daß die Vereinbarung lediglich zu Lasten des Sozialhilfeträgers geschlossen worden sei, lägen nicht vor; auf die Ausnutzung einer psychischen Zwangslage komme es nicht entscheidend an. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage liege nicht vor. Dazu bedürfe es konkreter Vorstellungen und Erwartungen, die bei Vertragsschluß vorgelegen hätten und zwischenzeitlich entfallen seien; solche Vorstellungen oder Erwartungen seien hier nicht dargetan. Auch hinderten Treu und Glauben (§ 242 BGB) den Ehemann nicht – auch nicht teilweise für die Zeit der Kindererziehung – sich auf den Ausschluß des Versorgungsausgleichs zu berufen. Eine solche Ausübungskontrolle werde zwar in der Literatur befürwortet; sie widerspreche aber der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Zudem liege im vorliegenden Fall die Besonderheit vor, daß der Ehemann sich verpflichtet habe, der Ehefrau nach erfolgter Übertragung ihrer Anteile am gemeinsamen Grundstück 50.000 DM als freiwillige Entschädigung für ihre “Tätigkeit im Haushalt und für die Erziehung der Kinder” zu zahlen.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Wie der Senat in seinem – nach Erlaß der hier angefochtenen Entscheidung – ergangenen Urteil vom 11. Februar 2004 (XII ZR 265/02FamRZ 2004, 601, für BGHZ 158, 81 vorgesehen) dargelegt hat, darf die grundsätzliche Disponibilität der Scheidungsfolgen nicht dazu führen, daß der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen werden kann. Das wäre der Fall, wenn dadurch eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten – bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede – bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Die Belastungen des einen Ehegatten werden dabei um so schwerer wiegen und die Belange des anderen Ehegatten um so genauerer Prüfung bedürfen, je unmittelbarer die Vereinbarung der Ehegatten über die Abbedingung gesetzlicher Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.

Bei der Ausrichtung am Kernbereich der Scheidungsfolgen wird man für deren Disponibilität eine Rangabstufung vornehmen können, die sich in erster Linie danach bemißt, welche Bedeutung die einzelnen Scheidungsfolgenregelungen für den Berechtigten in seiner jeweiligen Lage haben. Der Versorgungsausgleich ist – als gleichberechtigte Teilhabe beider Ehegatten am beiderseits erworbenen Versorgungsvermögen – einerseits dem Zugewinnausgleich verwandt und wie dieser ehevertraglicher Disposition grundsätzlich zugänglich (§ 1408 Abs. 2, § 1587 o BGB). Er ist jedoch andererseits als vorweggenommener Altersunterhalt zu verstehen; von daher steht er einer vertraglichen Abbedingung nicht schrankenlos offen. Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich müssen deshalb nach denselben Kriterien geprüft werden wie ein vollständiger oder teilweiser Unterhaltsverzicht (Senatsurteil aaO 605). Der Unterhalt wegen Alters gehört, wie der Senat dargelegt hat, zum Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts; das Gesetz mißt ihm als Ausdruck ehelicher Solidarität besondere Bedeutung zu – was freilich einen Verzicht nicht generell ausschließt, etwa wenn die Ehe erst im Alter geschlossen wird (Senatsurteil aaO). Nichts anderes gilt für den Versorgungsausgleich. Ein vereinbarter Ausschluß des Versorgungsausgleichs ist deshalb einer Inhaltskontrolle am Maßstab des § 138 (Wirksamkeitskontrolle) sowie des § 242 BGB (Ausübungskontrolle) zu unterziehen; maßgebendes Kriterium ist für beide Kontrollschritte die Frage, ob und inwieweit der Ausschluß des Versorgungsausgleichs mit dem Gebot ehelicher Solidarität vereinbar erscheint.

a) In Anwendung dieser Grundsätze hat der Tatrichter zunächst – im Rahmen einer Wirksamkeitskontrolle – zu prüfen, ob die Vereinbarung über den Ausschluß des Versorgungsausgleichs, allein oder im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen des Ehevertrags, schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, daß ihr – und zwar losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse – wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen ist, daß an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 Abs. 1 BGB). Erforderlich ist dabei eine Gesamtwürdigung, die auf die individuellen Verhältnisse beim Vertragsschluß abstellt, insbesondere also auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt der Ehe sowie auf die Auswirkungen auf die Ehegatten und auf die Kinder. Subjektiv sind die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen, die den begünstigten Ehegatten zu seinem Verlangen nach der ehevertraglichen Gestaltung veranlaßt und den benachteiligten Ehegatten bewogen haben, diesem Verlangen zu entsprechen. Ergibt die umfassende Würdigung dieser Gesichtspunkte, daß die durch den vereinbarten Ausschluß des Versorgungsausgleichs bewirkte Versorgungssituation sich bereits im Zeitpunkt der Vereinbarung als eine gravierende Verletzung des dem Versorgungsausgleich zugrundeliegenden Gedankens ehelicher Solidarität darstellt, so hat diese Vereinbarung nach § 138 Abs. 1 BGB keinen Bestand. Das kann namentlich dann der Fall sein, wenn ein Ehegatte sich einvernehmlich der Betreuung der gemeinsamen Kinder widmet und deshalb auf eine versorgungsbegründende Erwerbstätigkeit in der Ehe verzichtet. Das in diesem Verzicht liegende Risiko verdichtet sich zu einem Nachteil, den der Versorgungsausgleich gerade auf beide Ehegatten gleichmäßig verteilen will und der jedenfalls nicht ohne Kompensation einem Ehegatten allein angelastet werden kann, wenn die Ehe scheitert.

Eine solche umfassende Gesamtwürdigung hat das Oberlandesgericht nicht vorgenommen. Eine derartige Würdigung würde Feststellungen über Art und Umfang der von den Ehegatten in der Ehe erworbenen Versorgungsanrechte sowie über ihre Vermögenssituation im Zeitpunkt des Vertragsschlusses erfordern; sie müßte auch berücksichtigen, in welchem Umfang die Ehefrau, die nach ihrem Vortrag bereits seit ihrer Eheschließung an einer ihre Erwerbsfähigkeit mindernden Rückenerkrankung leidet, im Scheidungsfall ihre eigene Altersversorgung durch künftige versicherungspflichtige Tätigkeit voraussichtlich weiter ausbauen kann. Soweit der Ehefrau im Ehevertrag für den Scheidungsfall eine Entschädigung zugesagt ist, wäre der Frage nachzugehen, ob diese Entschädigung als Gegenleistung für die von der Ehefrau für den Scheidungsfall zugesagte Übertragung ihres Miteigentums am gemeinsamen Hausgrundstück auf den Ehemann anzusehen oder als (teilweiser) Ausgleich für ihren Verzicht auf eine eigene versorgungsbegründende Erwerbstätigkeit während der Ehe zu verstehen ist; im zweiten Falle wäre zu untersuchen, in welchem Umfang die Ehefrau mit dem Entschädigungsbetrag eigene Versorgungsanrechte erwerben könnte. Zu den genannten Gesichtspunkten fehlen die erforderlichen tatrichterlichen Feststellungen. Das gilt auch für die Frage, welche subjektiven Aspekte die Ehefrau veranlaßt haben, sich – mehrere Jahre nach ihrer Eheschließung und der Geburt ihrer Kinder – auf den Ehevertrag und insbesondere auf den darin vorgesehenen Ausschluß des Versorgungsausgleichs einzulassen. Die vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils sind hierzu nicht eindeutig: So soll die Ehefrau einerseits – nach dem Tatbestand des Urteils – vorgetragen haben, der Ehemann habe sie “zu dem Zweck, sie zum Notar zu schleppen,” geschlagen; andererseits soll ihrem Vortrag – nach den Urteilsgründen – nicht zu entnehmen sein, daß sie “zum Notar geschleppt oder unlauter gezwungen” worden sei.

b) Soweit sich der Ausschluß des Versorgungsausgleichs – bei der gebotenen Gesamtwürdigung – nicht schon als sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB) darstellt, muß der Richter – im Rahmen der Ausübungskontrolle – prüfen, ob und inwieweit ein Ehegatte die ihm durch den Vertrag eingeräumte Rechtsmacht mißbraucht, wenn er sich im Scheidungsfall gegenüber der vom anderen Ehegatten begehrten Durchführung des Versorgungsausgleichs darauf beruft, daß dieser durch den Vertrag wirksam abbedungen sei (§ 242 BGB). Dafür sind nicht nur die Verhältnisse im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgebend. Entscheidend ist vielmehr, ob sich nunmehr – im Zeitpunkt des Scheiterns der Lebensgemeinschaft – aus dem vereinbarten Ausschluß des Versorgungsausgleichs, allein oder im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen des Ehevertrags, eine im dargelegten Sinn (vgl. II. 2. vor a)) unzumutbare Lastenverteilung ergibt. Dabei wird ein wirksam vereinbarter – völliger oder teilweiser – Ausschluß des Versorgungsausgleichs einer Ausübungskontrolle am Maßstab des § 242 BGB vielfach dann nicht standhalten, wenn er dazu führt, daß ein Ehegatte aufgrund einer grundlegenden Veränderung der gemeinsamen Lebensumstände über keine hinreichende Altersversorgung verfügt und dieses Ergebnis mit dem Gebot ehelicher Solidarität schlechthin unvereinbar erscheint (zu Fällen, in denen Ehegatten ihre eheliche und berufliche Lebenssituation – namentlich im Hinblick auf die Betreuung gemeinsamer Kinder – einvernehmlich ändern: vgl. Senatsbeschluß vom heutigen Tag – XII ZB 57/03 – zur Veröffentlichung bestimmt).

Eine solche Ausübungskontrolle hat das Oberlandesgericht – nach der neuen Rechtsprechung des Senats (Senatsbeschluß vom 11. Februar 2004 aaO) zu Unrecht – für nicht veranlaßt erachtet. Folgerichtig hat es auch keine Feststellungen zu den hierfür maßgebenden Umständen – also namentlich zur früheren und zur aktuellen Lebens-, Versorgungs- und Vermögenssituation der Ehegatten sowie zu den Motiven – getroffen, die die Ehegatten zum Ausschluß des Versorgungsausgleichs bestimmt haben.

3. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben. Der Senat vermag auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht bislang getroffenen Feststellungen in der Sache nicht abschließend zu entscheiden. Die Sache war daher an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

BGH, Urteil vom 06.10.2004
XII ZB 110/99

Schreibe einen Kommentar