BVerfG: Erbausschlagung einer 4-jährigen und Bestellung Ergänzungspfleger

BVerfG: Erbausschlagung einer 4-jährigen und Bestellung Ergänzungspfleger

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

der Minderjährigen (…), vertreten durch die allein sorgeberechtigte Mutter (…), diese wiederum gesetzlich betreut durch (…), – Bevollmächtigte: (…) –

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 17. März 2021 – II-5 UF 172/20 -,

b) den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. Februar 2021 – II-5 UF 172/20 -,

c) den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. Januar 2021 – II-5 UF 172/20 -,

d) den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30. Dezember 2020 – II-5 UF 172/20 –

und

Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Britz und die Richter Christ, Radtke

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 4. Januar 2023 einstimmig  beschlossen:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1. Die 4-jährige Beschwerdeführerin, vertreten durch ihre allein sorgeberechtigte Mutter, wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen mehrere Entscheidungen des Oberlandesgerichts im Zusammenhang mit der von ihr begehrten Bestellung eines Ergänzungspflegers zur Entgegennahme eines familiengerichtlichen Genehmigungsbeschlusses über die Erbausschlagung sowie die Ausübung der diesbezüglichen Beschwerderechte.

Dem lag zugrunde, dass für die Beschwerdeführerin aufgrund der wirksamen Erbausschlagung ihres nicht sorgeberechtigten Vaters eine offenbar überschuldete Erbschaft angefallen war. Die Mutter der Beschwerdeführerin, für die schon damals eine rechtliche Betreuung unter anderem für den Aufgabenkreis der Vermögensangelegenheiten bestand, versäumte es im Anschluss an die Zustellung des nicht angegriffenen Genehmigungsbeschlusses vom 3. Dezember 2019 an sie trotz gerichtlichen Hinweises, diesen Beschluss innerhalb der gesetzlichen Ausschlagungsfrist an das zuständige Nachlassgericht zu übersenden. Die Beschwerdeführerin beantragte daraufhin beim zuständigen Familiengericht die Bestellung eines Ergänzungspflegers mit dem Ziel, dass der Genehmigungsbeschluss nochmals an den Ergänzungspfleger mit der Möglichkeit des Rechtsmittels zugestellt werden müsse und so dessen Übermittlung an das Nachlassgericht wieder innerhalb der Ausschlagungsfrist möglich wäre.

2. In der angegriffenen Beschwerdeentscheidung vom 17. März 2021, gegen die sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde hauptsächlich wendet, lehnte das Oberlandesgericht ‒ ebenso wie zuvor das Amtsgericht ‒ die Bestellung eines Ergänzungspflegers für die Beschwerdeführerin ab. Dazu führte es unter anderem aus, dass in Verfahren auf Genehmigung einer Erbausschlagung für ein minderjähriges Kind diesem zur Entgegennahme des Genehmigungsbeschlusses im Sinne des § 41 Abs. 3 FamFG nicht stets ein Ergänzungspfleger zu bestellen sei, sondern nur dann, wenn die Voraussetzungen für eine Entziehung der Vertretungsmacht gemäß § 1796 BGB festgestellt seien. Insoweit bezogen sich die Fachgerichte in ihren Begründungen auf Beschlüsse des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 3. April 2019 – XII ZB 359/17 -, Rn. 7 ff.; BGH, Beschluss vom 12. Februar 2014 – XII ZB 592/12 -, Rn. 13 ff.). Einen demgemäß erforderlichen und von der Beschwerdeführerin hilfsweise geltend gemachten Interessengegensatz zwischen ihr und ihrer Mutter vermochte das Oberlandesgericht im Ergebnis nicht festzustellen.

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG durch die angegriffenen Entscheidungen. Sie beanstandet in erster Linie die der angegriffenen Entscheidung vom 17. März 2021 zugrundeliegende Auslegung und Anwendung der einfachrechtlichen Verfahrensvorschrift in § 41 Abs. 3 FamFG durch das Oberlandesgericht, soweit die Bekanntgabe des Genehmigungsbeschlusses gegenüber der Mutter der Beschwerdeführerin nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn ein konkreter Interessenkonflikt vergleichbar zum Maßstab des § 1796 Abs. 2 BGB besteht. Zur Begründung verweist sie auf den Wortlaut der Verfahrensvorschrift sowie den dahinterstehenden gesetzgeberischen Willen und trägt ergänzend vor, dass ‒ unter Zugrundelegung der angegriffenen fachgerichtlichen Auffassung ‒ ein Interessengegensatz jedenfalls mit Blick auf den durch die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung belegten Unterstützungsbedarf der Mutter im Vermögensbereich hätte festgestellt werden müssen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde war nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig ist und damit keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

1. a) Ob die Beschwerdeführerin als unter 14-jähriges Kind im verfassungsgerichtlichen Verfahren wirksam durch ihre Mutter vertreten werden kann, braucht wegen der Erfolglosigkeit der Verfassungsbeschwerde aus anderen Gründen nicht entschieden zu werden. Zwar ist die Mutter als allein Sorgeberechtigte grundsätzlich zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde für die Beschwerdeführerin berechtigt. Allerdings kann ein Interessenwiderstreit, der einer Vertretung durch sie entgegenstehen würde (vgl. BVerfGE 72, 122 <133>; 79, 51 <58>; BVerfG, Beschluss vom 7. Februar 2022 – 1 BvR 1655/21 -, Rn. 14; stRspr), unter Berücksichtigung ihres gerade darauf gerichteten Vortrags im Fachgerichtsverfahren auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

b) Die Verfassungsbeschwerde ist insgesamt unzulässig, weil sie die aus § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG folgenden Darlegungsanforderungen nicht erfüllt. Die Begründung der vorgetragenen Grundrechtsverletzung bezieht sich in der Verfassungsbeschwerde überhaupt nur auf die angegriffene Entscheidung vom 17. März 2021. Hinsichtlich der weiteren angegriffenen Beschlüsse ergibt sich die Möglichkeit eines Verfassungsverstoßes somit von vorneherein nicht aus dem Beschwerdevorbringen.

Aber auch soweit die Entscheidung vom 17. März 2021 angegriffen wird, bleibt das Vorbringen der Beschwerdeführerin ohne hinreichende Substanz. Ihre Ausführungen beschränken sich im Wesentlichen auf die Nennung der grundrechtsgleichen Rechte, ohne sich mit deren Schutzbereich oder diesbezüglich bereits ergangener Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend auseinanderzusetzen und darzulegen, warum die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung diese Rechte verletzt (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>; 130, 1 <21>; stRspr).

2. Wegen der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob die angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts und insbesondere der Beschluss vom 17. März 2021, die einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben für den staatlichen Schutz der Grundrechte der minderjährigen Beschwerdeführerin ausreichend beachtet hat.

a) Die Beschwerdeführerin macht mit ihrer Verfassungsbeschwerde in erster Linie geltend, das Oberlandesgericht habe mit der Ablehnung der Bestellung eines Ergänzungspflegers für die Entgegennahme des Beschlusses im familiengerichtlichen Genehmigungsverfahren der Erbausschlagung gegen die Grundsätze eines rechtsstaatlichen fairen Verfahrens verstoßen (vgl. Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG).

aa) Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 103 Abs. 1 GG, der nicht auf Verfahren vor dem Rechtspfleger anwendbar ist, darf der Einzelne nicht zum bloßen Objekt staatlicher Entscheidung werden; ihm muss insbesondere die Möglichkeit gegeben werden, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 9, 89 <95>; 65, 171 <174 f.>). Dies setzt voraus, dass der Betroffene von dem Sachverhalt und dem Verfahren, in dem dieser verwertet werden soll, überhaupt Kenntnis erhält (vgl. BVerfGE 101, 397 <405>).

bb) Das Oberlandesgericht hat in seiner angegriffenen Entscheidung angenommen, ein Ergänzungspfleger für die Entgegennahme des Genehmigungsbeschlusses im Ausgangsverfahren sei nur dann zu bestellen, wenn die Voraussetzungen für eine Entziehung der Vertretungsmacht der Mutter festgestellt seien (§ 1796 BGB), und einen demgemäß erforderlichen konkreten Interessengegensatz zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter auch mit Blick auf die im maßgeblichen Zeitpunkt bestehende rechtliche Betreuung der Mutter im Bereich der eigenen Vermögensangelegenheiten verneint.

Ob diese Annahmen die Beschwerdeführerin im Ergebnis in ihrem durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren verletzen, kann wegen der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde dahinstehen.

b) Ungeachtet dessen darf bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen einfachrechtlichen Vorschriften ‒ hier der § 41 Abs. 3 FamFG und § 1796 BGB ‒ nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Grundrechtspositionen der Beschwerdeführerin durch die angegriffene Entscheidung auch betroffen sind, soweit es infolge der Ablehnung der beantragten Ergänzungspflegerbestellung bei der Erbenstellung der Beschwerdeführerin für einen offenbar überschuldeten Nachlass verbleibt. Aus diesem Grunde haben die Fachgerichte jedenfalls auch in den Blick zu nehmen, inwieweit sich die mit der Erbschaft eintretende Haftung für Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 BGB) nachteilig auf die verfassungsrechtlich geschützten Vermögensinteressen des betroffenen Kindes auswirken kann (vgl. BVerfGE 72, 155 <172 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. August 1998 – 1 BvL 25/96 -, Rn. 20). Einzubeziehen sind insoweit auch die Möglichkeiten im materiellen Fachrecht, minderjährige Erben vor verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren finanziellen Verpflichtungen zu schützen, und insbesondere die geltenden Regelungen zur Beschränkung der Erbenhaftung (§§ 1975 ff. BGB) und zur Beschränkung der Minderjährigenhaftung (§ 1629a Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 Alt. 3 BGB).

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Britz, Christ, Radtke

BVerfG, Beschluss vom 04.01.2023
1 BvR 758/21

Schreibe einen Kommentar