BVerfG: Sind beide Eltern gleich, geht das ABR zur Mutter

BVerfG: Sind beide Eltern gleich, geht das ABR zur Mutter

gegen

  1. den Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 21. Oktober 2013 – 7 UF 152/13 -,
  2. den Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17. September 2013 – 7 UF 152/13 -,
  3. den Beschluss des Amtsgerichts Bad Kissingen vom 31. Mai 2013 – 001 F 83/12 –

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Eichberger
und die Richterin Britz
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 16. April 2014 einstimmig beschlossen:
 
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Regelung der elterlichen Sorge für ein Kind nach der Trennung der Eltern.

1. Der Beschwerdeführer ist der Vater eines im November 2006 geborenen Jungen, mit dessen Mutter er bis Juli 2007 zusammenlebte, ohne mit ihr verheiratet zu sein. Nach der Trennung zog die Mutter mit dem Sohn aus der gemeinsamen Wohnung aus und wohnte fortan etwa 300 km vom Beschwerdeführer entfernt. Dieser pflegte regelmäßig Umgang mit dem Kind, für das beide Eltern seit Mitte 2011 gemeinsam sorgeberechtigt waren. In einer Vereinbarung verständigten sie sich zunächst darauf, dass das Kind seinen Lebensmittelpunkt bei der Mutter behalten sollte. Nachdem es in der Folge jedoch zu Streit über den Aufenthalt des Kindes gekommen war, beantragten beide Elternteile jeweils die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich.

a) Das Amtsgericht holte ein psychologisches Sachverständigengutachten ein, das zu dem Ergebnis gelangte, dass, sollten sich die Eltern nicht auf ein gemeinsames Aufenthaltsmodell verständigen können, aufgrund von Kontinuitätsgesichtspunkten und mit Rücksicht auf den Kindeswillen ein weiterer Aufenthalt bei der Mutter zu empfehlen sei. Nachdem der Junge später angab, etwas mehr Zeit mit dem Beschwerdeführer verbringen zu wollen als mit der Mutter, gab der Sachverständige hinsichtlich des künftigen Aufenthalts keine Empfehlung mehr ab. Das Amtsgericht übertrug das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Mutter. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, ein Betreuungs-Wechselmodell könne hier nicht angeordnet werden. Nach Abwägung der Gesamtumstände entspreche die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter am besten dem Kindeswohl. Das Gericht schließe sich der Auffassung des Sachverständigen an, wonach die Eltern über eine gleichwertige Erziehungsfähigkeit verfügten und eine gleichwertige Bindung zum Kind hätten. Unter Berücksichtigung dessen und des im Wesentlichen indifferenten Willens des Kindes seien letztlich insbesondere die bewährte Betreuungssituation bei der Mutter sowie der Umstand entscheidend, dass der Sohn dort fest verwurzelt sei und sein gewohntes Umfeld habe.

b) Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Oberlandesgericht zurück. Das Amtsgericht habe das Aufenthaltsbestimmungsrecht unter Ausschöpfung aller verfahrensrechtlichen Möglichkeiten überprüft und, den Empfehlungen von Jugendamt und Verfahrensbeistand folgend, eine abgewogene und nachvollziehbare Entscheidung getroffen. Auch der Senat halte aufgrund der Feststellungen des Erstgerichts unter Berücksichtigung der gesamten Lebensumstände des Kindes und seines von ihm zuletzt geäußerten Willens die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter für geboten. Mit der auch ohne ausdrückliche Empfehlung des Sachverständigen zu treffenden Entscheidung lasse sich nach dem Scheitern eines Wechselmodells der Wille des Kindes, sich annähernd gleichlang bei der Mutter wie beim Beschwerdeführer aufzuhalten, objektiv nicht vollständig realisieren. Der Senat habe ohne erneute mündliche Verhandlung entscheiden können, weil das Amtsgericht die gesetzlich vorgeschriebenen Anhörungen durchgeführt habe und von einer erneuten Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien. Auch wenn sich der Wille des Kindes im Laufe des Verfahrens dahingehend entwickelt habe, dass es eine leichte Präferenz zugunsten des Beschwerdeführers erkennen lasse, bestehe doch der Wunsch nach einer annähernd gleich starken Nähe zu beiden Elternteilen im Wesentlichen unverändert fort, weshalb eine erneute Anhörung des Kindes nicht geboten gewesen sei (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG).

2. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Das Oberlandesgericht habe sich mit dem maßgeblichen Inhalt und der Begründung des von dem Kind geäußerten Willens und mit den Ausführungen des Beschwerdeführers, dass Kinder häufig einen Wunsch nach Gleichbehandlung der Eltern äußerten, weil sie nicht einem Elternteil wehtun wollten, nicht ausreichend auseinandergesetzt. Da dem Kind die vom Oberlandesgericht zugrunde gelegte Nichtrealisierbarkeit des geäußerten Willens nicht bekannt gewesen sei, sich sein Wille im Laufe des Verfahrens verändert beziehungsweise präzisiert habe und seit der letzten Anhörung sechs Monate vergangen seien, habe das Oberlandesgericht nicht von einer erneuten Kindesanhörung absehen dürfen. Ferner habe es den eindeutigen Vorrang der Bindungsbeziehung vor der Kontinuität zum Wohnort und der sozialen Kontinuität nicht beachtet. Das Oberlandesgericht habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt.

II.

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Weder kommt ihr grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Elternrecht.

1. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts sind grundsätzlich Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr).

Bei gerichtlichen Entscheidungen, mit denen Eltern zum Zweck der Trennung des Kindes von den Eltern (Art. 6 Abs. 3 GG) das Sorgerecht oder Teilbereiche hiervon entzogen werden, ist es hingegen wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Grundrechte von Eltern und Kindern angezeigt, über diesen Prüfungsumfang hinauszugehen (vgl. BVerfGE 55, 171 <181>; 72, 122 <138>; 75, 201 <221 f.>). Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen der besonderen Eingriffsintensität ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 75, 201 <222>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken. Hingegen legt das Bundesverfassungsgericht einen vergleichbar strengen Prüfungsmaßstab nicht auch in solchen Fällen an, in denen die Fachgerichte nach der Trennung der Eltern auf Antrag eines Elternteils über die künftige Wahrnehmung der elterlichen Sorge zu entscheiden haben. Fehlt es an einem diesbezüglichen Einvernehmen der Eltern (vgl. auch § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB), bleibt es in erster Linie den Familiengerichten vorbehalten zu beurteilen, inwieweit die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht (§ 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB). Die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich hier grundsätzlich darauf zu prüfen, ob die Fachgerichte eine auf das Wohl des Kindes ausgerichtete Entscheidung getroffen (vgl. BVerfGE 55, 171 <179>) und dabei die Tragweite der Grundrechte aller Beteiligten nicht grundlegend verkannt haben. In diesem – im Verhältnis zur Konstellation des Art. 6 Abs. 3 GG zurückgenommenen – Prüfungsmaßstab spiegelt sich wider, dass der Staat bei der Entscheidung darüber, wie die elterliche Sorge nach der Trennung der Eltern zwischen ihnen zu regeln ist, überhaupt nur auf Veranlassung mindestens eines Elternteils und lediglich vermittelnd zwischen den Eltern, nicht jedoch wie bei der Entziehung des Sorgerechts wegen einer Kindeswohlgefährdung von Amts wegen und von außen eingreifend, tätig wird (vgl. für Umgangsregelungen BVerfGE 31, 194 <210 f.>). Der in der vollständigen oder teilweisen Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge auf der Grundlage von § 1671 BGB liegende Eingriff in das Elternrecht des einen Elternteils ist letztlich nur die Kehrseite davon, dass die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl nicht gleichermaßen entspräche und dass es sich deswegen nicht vermeiden lässt, dass nicht beide Elternteile einen gleichen Kontakt und eine gleiche Zuwendung zu den Kindern entfalten können (vgl. BVerfGE 99, 145 <164>).

2. Diesen Kontrollmaßstab zugrunde gelegt, begegnen die angegriffenen Entscheidungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

BVerfG, Beschluss vom 16.04.2014
1 BvR 3360/13

Schreibe einen Kommentar