BVerfG: Teilentzug des Sorgerechts

BVerfG: Teilentzug des Sorgerechts

Die Wirksamkeit der Beschlüsse des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 18. Familiensenat in Freiburg – vom 24. Oktober 2008 – 18 UF 174/08 – und des Amtsgerichts Konstanz vom 23. Juni 2008 – 2 F 125/06 – wird einstweilen bis zur Entscheidung der Hauptsache, längstens für sechs Monate ausgesetzt.

Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe:

I

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner im eigenen und im Namen seiner im Juni 2000 geborenen Tochter eingelegten Verfassungsbeschwerde gegen die teilweise Entziehung des elterlichen Sorgerechts.

1. Der Beschwerdeführer ist Vater einer aus der nichtehelichen Beziehung zur Kindesmutter hervorgegangenen Tochter. Im Juli 2002 gaben die Kindeseltern eine gemeinsame Sorgeerklärung ab. Nachdem die Tochter nach der Trennung der Eltern im September 2002 zunächst bei der Kindesmutter gelebt hatte, übertrug das Amtsgericht das alleinige elterliche Sorgerecht im Juni 2004 auf den Beschwerdeführer. In der Folge praktizierten die Eltern eine Umgangsvereinbarung, nach der sich das Kind von Donnerstag nach Kindergarten- oder Schulschluss bis Dienstagmorgen bei der Mutter und anschließend bis zum darauffolgenden Donnerstag beim Beschwerdeführer aufhielt. In der ersten Jahreshälfte 2006 reduzierte der Beschwerdeführer den Umgang des Kindes mit der Mutter eigenmächtig, in den Monaten März bis Juni 2006 fanden keinerlei Umgangskontakte statt. Seither wird der Umgang entsprechend der Vereinbarung wieder umgesetzt. Die Unterbrechung veranlasste die Kindesmutter zur Einleitung eines Sorgerechtsverfahrens mit dem Antrag, die elterliche Sorge auf sie zu übertragen.

a) Durch Beschluss vom 23. Juni 2008 wies das Amtsgericht nach Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens den Antrag der Kindesmutter zurück, entzog dem Beschwerdeführer das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Regelung des Umgangs sowie das Recht der Gesundheitssorge, ordnete in diesem Umfang Ergänzungspflegschaft an und bestellte das Jugendamt als Ergänzungspfleger. Das Gericht begründete die auf § 1696 Abs. 1 BGB gestützte Teilentziehung der elterlichen Sorge im Wesentlichen mit der eingeschränkten Bindungstoleranz und der Kooperationsverweigerung des Beschwerdeführers, die dem Kindeswohl schadeten. Es sei zu befürchten, dass der Beschwerdeführer aufgrund vom Kind über die Kindesmutter erhaltener Informationen den Umgang willkürlich einschränken werde. Durch Einschaltung eines Ergänzungspflegers könne das Kind entlastet werden, da die Eltern die besonders strittigen Fragen unter dessen Moderation lösen müssten.

b) Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers schränkte das Oberlandesgericht die Entscheidung des Amtsgerichts mit Beschluss vom 24. Oktober 2008 dahingehend ein, dass dem Beschwerdeführer das Recht der Gesundheitssorge lediglich entzogen werde, soweit es um die Aufnahme einer psychotherapeutischen Behandlung beziehungsweise Zuführung des Kindes zu einer Trennungs- oder Scheidungskindergruppe gehe. Im Übrigen wies es die Beschwerde zurück.

Im Hinblick auf den Entzug des Rechts zur Aufenthaltsbestimmung und zur Umgangsregelung sei die Abänderungsentscheidung des Amtsgerichts aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt. Der Beschwerdeführer versuche, die Mutter, der gegenüber er eine feindselige Haltung einnehme, aus dem Leben des Kindes zu verdrängen. Aufgrund der ständigen Vorschläge des Beschwerdeführers, den Umgang zu beschneiden, der mangelnden Kommunikation der Eltern und der fehlenden Gesprächsbereitschaft des Beschwerdeführers, derentwegen eine einvernehmliche Lösung mithilfe einer Beratungsstelle nicht zu erzielen sei, sei die Entziehung des Rechts der Umgangsregelung die einzige Lösung. Damit könne auch verhindert werden, dass das Kind in die Entscheidungsfindung der Eltern einbezogen werde. Aufgrund der Übertragung des Umgangsregelungsrechts auf den Ergänzungspfleger sei es folgerichtig, diesem auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen. Nur dies ermögliche dem Ergänzungspfleger, etwaige von den Vorstellungen und Wünschen des Beschwerdeführers abweichende Umgangskontakte bei dessen Weigerung schlimmstenfalls mithilfe von Gerichtsvollzieher oder Polizei durchzusetzen und die Herausgabe des Kindes zu erzwingen. Zudem habe der Beschwerdeführer gegenüber der Sachverständigen als Mittel der Entspannung einen Umzug mit dem Kind aus dem Einzugsbereich der Mutter heraus angekündigt. Die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts sei die einzige Möglichkeit, eine willkürliche Sofortentscheidung zum Wohle des Kindes zu verhindern. Schließlich sei diese Maßnahme auch deshalb erforderlich, weil ein weiterer Verbleib des Kindes beim Beschwerdeführer unter Umständen in absehbarer Zeit nicht mehr mit seinem Wohl vereinbar und aus diesem Grund ein Obhutswechsel unerlässlich sein könne. Angesichts des Verhaltens des Beschwerdeführers, dessen Lebensinhalt lediglich noch das Kind (beziehungsweise der Kampf gegen die Mutter) sei und der weder Fehler bei sich noch beim Kind akzeptieren könne, sondern die Schuld allein auf Dritte schiebe, könne von einem gedeihlichen Heranwachsen des Kindes in der Obhut des Beschwerdeführers wohl nicht mehr lange ausgegangen werden.

Ausreichend, aber aus triftigen Kindeswohlgründen geboten, sei die Teilentziehung der Gesundheitssorge. Die Sachverständige habe die Entziehung der Gesundheitssorge nur deshalb vorgeschlagen, weil sie dies als einzige Möglichkeit gesehen habe, das Kind angesichts der von ihr konstatierten psychosomatischen Erkrankung einer psychotherapeutischen Behandlung zuführen zu lassen. Das Kind solle angesichts seines ständigen Bemühens um Loyalität unbedingt die Möglichkeit bekommen, mit einer neutralen dritten Person über die Probleme mit seinen Eltern zu sprechen.

Von einer persönlichen Anhörung, die mit einer erheblichen Belastung für das Kind verbunden gewesen wäre, sei mangels weiteren Erkenntnisgewinns abgesehen worden. Ferner habe die Verfahrenspflegerin im Beschwerdeverfahren mit dem Kind gesprochen und Bericht erstattet. Schließlich hätten die Kindesmutter und unter – hier aber nicht relevanter – Einschränkung auch der Beschwerdeführer auf eine Anhörung verzichtet.

2. Der Beschwerdeführer, der mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtlichen Entscheidungen eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 1, Art. 2, Art. 3, Art. 4, Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 11, Art. 19, Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG rügt, beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

 

 

II.

 

Der Antrag des Beschwerdeführers ist, soweit er in eigenem Namen gestellt ist, zulässig und begründet. Soweit sich der Beschwerdeführer allerdings in Vertretung auf die Grundrechte seines Kindes beruft, scheitert die Zulässigkeit des Antrages an einem nicht auszuschließenden Widerstreit zwischen dessen – wohlverstandenen – Interessen und jenen des Beschwerdeführers. Denn die Fachgerichte haben dem Beschwerdeführer aus Gründen des Kindeswohls wesentliche Teile des elterlichen Sorgerechts entzogen. Die Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Verfassungsbeschwerdeverfahren hat der Beschwerdeführer ersichtlich nicht betrieben (vgl. BVerfGE 72, 122 <133 ff.>).

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren, hier also die Verfassungsbeschwerde, erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 88, 185 <186>; 103, 41 <42>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 185 <186>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 <111>; stRspr). Im Zuge der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gebotenen Folgenabwägung legt das Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde (vgl. BVerfGE 34, 211 <216>; 36, 37 <40>).

In Sorgerechtsstreitigkeiten ist auch zu berücksichtigen, dass die Abwägung nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. November 2005 – 1 BvR 2349/05 -, nicht veröffentlicht; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. Mai 2007 – 1 BvR 945/07 und 1 BvR 1174/07 -, nicht veröffentlicht).

2. Die Folgenabwägung führt – nachdem die Verfassungsbeschwerde zulässig und nicht offensichtlich unbegründet ist – zum Erlass der einstweiligen Anordnung.

Erginge die einstweilige Anordnung nicht, so hätte das Jugendamt die Möglichkeit, das Kind gegen seinen Willen und ohne nochmalige richterliche Kontrolle von seinem derzeit hauptsächlich betreuenden Elternteil zu trennen und in ein ihm nur durch Umgangskontakte bekanntes Umfeld bei der Mutter oder eine ihm gänzlich unbekannte Umgebung zu verbringen. Erwiese sich die Verfassungsbeschwerde nachfolgend als begründet, wäre ein nochmaliger Wechsel zurück zum Beschwerdeführer zu erwarten. Die Gefahr der mehrfachen Wechsel des Ortes und der unmittelbaren Bezugsperson beeinträchtigten das Kindeswohl in erheblichem Maße. Ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung könnte das Jugendamt die Teilnahme des Kindes an einer Therapie oder einer Trennungs- und Scheidungskindergruppe veranlassen. Damit würde dem Beschwerdeführer im Falle der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde zu Unrecht die elterliche Entscheidungsbefugnis in einem Kernbereich der Gesundheitssorge genommen.

Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, so wäre bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens gewährleistet, dass der Beschwerdeführer weiterhin das elterliche Sorgerecht in vollem Umfang ausüben könnte. Insbesondere wäre vorerst der künftige Aufenthalt des Kindes beim Beschwerdeführer, zu dem eine enge Bindung besteht, sichergestellt. Dies entspräche dem Willen des Kindes. Erwiese sich die Verfassungsbeschwerde nachfolgend als unbegründet, wäre dem Jugendamt nur vorübergehend die Möglichkeit genommen, unter Berufung auf Aufenthaltsbestimmungs- und Umgangsregelungsrecht einen Obhutswechsel zu veranlassen und eine neue Umgangsbestimmung zu treffen. Darüber hinaus verzögerte sich die Teilnahme des Kindes an einer Therapie oder einer Trennungs- und Scheidungskindergruppe zeitlich um einen allerdings überschaubaren Zeitraum.

Wägt man daher die Folgen gegeneinander ab, so wiegen die Nachteile, die im Falle des Erlasses der einstweiligen Anordnung drohen, weniger schwer als die Nachteile, die für das Kind und den Beschwerdeführer im Falle der Versagung des Erlasses der einstweiligen Anordnung entstehen könnten.

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG

BVerfG, Beschluss vom 14.04.2009
1 BvR 467/09

OLG Koblenz, Beschluss vom 24.10.2008
18 UF 174/08

AG Koblenz, Beschluss vom 23.06.2008
2 F 125/06

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