Erklärungsversuche eines schlampigen Richters
Der Fall schockierte Frankreich. Sechs Franzosen saßen jahrelang unschuldig in Haft, weil ein Richter schlampig ermittelt und sie des Kindesmissbrauchs für schuldig befunden hatte. Die Anschuldigungen zerstörten Leben: Einer der Verdächtigten beging im Gefängnis Selbstmord. Andere verloren das Sorgerecht über ihre Kinder. Nun muss der Richter sich vor einem Untersuchungsausschuss verantworten - und das ganze Land schaut zu.
Von Angela Ulrich, SR-Hörfunkstudio Paris
[Bildunterschrift: Großer Andrang vor der Assemblee Nationale in Paris: Nicht nur Journalisten warteten auf die Aussagen von Fabrice Burgaud.]
Es herrschen schärfste Sicherheitsvorkehrungen rund um die Assemblée Nationale in Paris - und maximale Aufmerksamkeit für das Verfahren, das ganz Frankreich erschüttert hat. Gleich sechs Fernsehstationen, darunter die beiden großen landesweiten Sender TF1 und France 2 übertragen die Anhörung live: die Fragen des parlamentarischen Untersuchungs-Ausschusses an den Untersuchungsrichter, dem die Hauptschuld gegeben wird am Justiz-Skandal von Outreau.
Alain Marecaux sagt, er müsse ihn sehen, ihn hören, "und ich habe die Hoffnung, dass er einfach sagen kann: Ich habe mich geirrt!". Marecaux ist einer von denen, die unschuldig jahrelang im Gefängnis saßen, fälschlich wegen Pädophilie verurteilt. Marecaux hat mehrere Selbstmordversuche unternommen. Er und weitere sieben Leidensgenossen sind bei der Anhörung in Paris dabei.
Ein Verbrechen als Chance
[Bildunterschrift: Muss erklären, was kaum zu erklären ist: Fabrice Burgaud (Mitte)]
Was war geschehen? Im Jahr 2001 witterte Fabrice Burgaud, ein junger, ambitionierter Untersuchungsrichter, seinen großen Fall. Erst sechs Monate im Amt übernahm der damals 30-Jährige die Ermittlungen um Kinderprostitution im nordfranzösischen Outreau.
An einem sozialen Brennpunkt hatten Kinder ausgesagt, missbraucht worden zu sein. Schnell hatte Burgaud einen kompletten Wohnblock im Visier. Der Richter ließ insgesamt 17 Menschen festnehmen, sie kamen in Haft, viele von ihnen wurden verurteilt. Während im benachbarten Belgien im Fall Dutroux keine Ergebnisse zustande kamen, wurde Burgaud als erfolgreicher Ermittler gegen Kindesmissbrauch gefeiert.
Zu früh, denn drei Jahre später stellte sich heraus: Burgaud hatte oberflächlich ermittelt. Nur zwei Paare hatten die Taten begangen, die 13 anderen Frauen und Männer waren unschuldig und wurden im vergangenen Dezember rehabilitiert. Präsident Jacques Chirac selbst hat sich für diesen Justizirrtum entschuldigt, sofort wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt.
Späte Empfindsamkeit
[Bildunterschrift: Auf allen Kanälen: Die Anhörung Burgauds wurde landesweit übertragen]
Vor dieser steht Burgaud nun Rede und Antwort. Ein schmächtiger Mann, kurze schwarze Haare, dunkle Ringe unter den Augen, er ist nervös, ringt nach Worten: "Sie können sich vorstellen, wie bewegt ich bin", sagt er, "weil die Freigesprochenen hier im Saal sind. Ich kann ihr Leiden nachempfinden, ihre Trennung von ihren Kindern vor allem."
Immer wieder versagt Burgaud die Stimme. Ausführlich legt er dar, wie er die Untersuchung geführt hat. Sich auf die Befragungen der Kinder gestützt hat. Nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet hat. Er sei nicht die gefühllose Person, als die ihn viele darstellten. "Deshalb fühle ich mich auch voll verantwortlich für die Ermittlungen, die ich geführt habe."
Acht der Rehabilitierten von Outreau hören dem Richter im Saal zu. Sie werden nicht gezeigt von den Kameras, sie dürfen ihn auch nicht selbst fragen. Das hatte manche bewogen, gar nicht erst zu erscheinen. Karine Duchochois aber ist da. Auch sie ist auch unschuldig verurteilt worden. Sie erhofft sich von der Anhörung des Richters Burgaud, alles über den Fall zu erfahren - und über die Arbeitsweise der Justiz. Jeder habe das Recht zu versuchen, diese zu ändern. Und deshalb ist sie hier: "Weil wir es ändern wollen!"
Quelle: http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5220976_TYP6_THE_NAV_REF1_BAB,00.html
Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge zu ertragen, die ich nicht Ändern kann, den Mut, Dinge zu Ändern, die ich Ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.