Hallo an alle,
zunächst vielen Dank für die Aufnahme.
Zu meiner Geschichte:
ich bin Anfang 50, verheiratet und Vater einer 19-jährigen Tochter.
Obwohl meine Ehe von Beginn an nie unkompliziert war, lief doch alles gut, bis meine Frau mir vor 14 Jahren etwas unschönes antat (was es genau war, möchte ich (noch?) nicht sagen und hat auch keine Relevanz für das hier).
Jedenfalls habe ich gemerkt, dass meine Gefühle für sie von da an nach und nach erloschen sind.
Ich habe mich allerdings nicht getrennt, weil mir meine Tochter sehr wichtig ist und ich wollte, dass sie in einem relativ intakten Elternhaus aufwächst (bin selbst Scheidungskind). Meine Frau weiß nichts von meinem nicht mehr vorhandenen Gefühlen, Ich habe es all die Jahre irgendwie hinbekommen, diese Fassade aufrecht zu erhalten (nehme ich zumindest an).
Nun hat meine Tochter ihr Abi gemacht, will noch ein Jahr bei uns wohnen und dann mit dem Studium beginnen. Wo genau und ob sie dabei noch bei uns wohnen will, ist noch nicht raus.
Mein Problem ist nun folgendes: ich hatte all die Jahre über ein gutes und enges Verhältnis zu meiner Tochter und habe sie immer bei allem unterstützt. Jetzt ist sie aber mit der Schule fertig und es scheint mir, als würden uns Gemeinsamkeiten abhanden kommen (ich hatte ihr da immer viel geholfen). Sie sucht jetzt weniger meine Nähe, sondern die ihrer Mutter.
Die vergangenen Jahre waren nicht gerade leicht für mich, da mir das Fassade-aufrecht-erhalten immer schwerer fiel. Um meine erkalteten Gefühle zu meiner Frau zu kompensieren, unterstützte ich sie im Haushalt, war immer zur Stelle in Sachen Hilfsbereitschaft und kümmerte mich um unsere Tochter. Einen Freundeskreis habe ich nicht mehr.
Aber jetzt merke ich, ich bin ausgebrannt. Ich merke, dass ich eifersüchtig bin, wenn meine Tochter mehr meiner Frau zugewandt ist und habe Angst, sie zu verlieren.
Ich weiß, dass ich sehr wahrscheinlich total irrational reagiere. Glaubt mir bitte auch, dass ich jetzt auf keinen Fall will, dass sich meine Tochter mir wieder aus Dankbarkeit - sie weiß ja nichts von allem - mehr zuwendet. Ich bin auch nie eifersüchtig, wenn sich meine Tochter mit Freundinnen trifft etc. und bin auch 100% sicher, dass ich kein Problem damit habe, wenn sie mal einen Partner hat. Das ganze betrifft nur meine Frau.
Sobald meine Tochter ihr eigenes Leben (incl. eigener Wohnung hat), möchte ich mich auch von meiner Frau endlich trennen (ich hatte in den Jahren nichts nebenbei laufen).
Die Sache ist aber auch, dass ich mich momentan total lebensunfähig fühle: ich habe keinen Freundeskreis, empfinde nichts mehr für meine Frau, habe Angst meine Tochter zu verlieren und habe zudem Angst vor der Zukunft, wenn ich ausziehe (keine Freunde etc.)... ich weiß, ich klinge vermutlich ziemlich wie ein unreifer Teenager.
Mir ist bewusst, dass es vielen von euch viel schlimmer geht. Ich will auch kein Mitleid für meine Lebens-Entscheidungen haben, dafür bin ich ganz allein verantwortlich.
Aber ich wollte das alles einfach mal loswerden... und vielleicht habt ihr ja einen Rat für mich.
Danke fürs Zuhören, alles Gute für euch und bleibt gesund,
Nordisch
Hallo lieber Nordisch,
das stelle ich mir hart vor, so eine lange Zeit eine Fassade aufrecht zu erhalten. Wenn du deinen Ausstieg planst, hätte ich folgende Vorschläge:
- Einen Therapeuten suchen, um das Vergangene aufzuarbeiten und Zukunftsperspektiven zu entwickeln
- außer Haus Hobby suchen, bei dem man Menschen kennenlernt (Sportclub, Fitness oder so?)
- viel raus gehen, was für die Seele tun.
Mit 19 war ich meiner Mutter auch näher. Frauenthemen, Männer, etc., hätte ich nie mit meinem Vater besprochen. Ich kann dir nicht erklären warum, es war einfach so. Aber vielleicht kannst du deiner Tochter irgendwas anbieten, was ihr mal zu zweit machen könnt? Wochenende in Rom, Radtour in Amsterdam, Kinoabende... je nachdem was sie mag?
LG LBM
"Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern es ist die Entscheidung,
dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst."
Hallo,
natürlich ist das eine nicht gerade einfache Situation für Dich. Aber ich glaube, dass Dein Grundproblem Verlustangst ist. Du hast erlebt wie sich Deine Eltern haben scheiden lassen und das war für Dich eine traumatische Erfahrung. Deshalb hast Du Dich nicht von Deiner Frau getrennt und jetzt hast Du Angst Deine Tochter zu verlieren.
Wenn Dich das alles so belastet, dann wäre es in der Tat das Beste, wenn Du Dir einen Therapeuten suchen würdest.
Ansonsten ist wirst Du Deine Tochter eher durch Deine Angst und Deinem Klammern verlieren als dadurch, dass sie sich eben auch ihrer Mutter zuwendet. Bei der Schule hat Deine Tochter Deine Kompetenz geschätzt, nachdem die Schule aber vorbei ist, ist diese Kompetenz erst einmal nicht mehr so gefragt. Wenn Deine Tochter das Studium beginnt wird sich für sie eine neue Welt öffnen und Du wirst das Haus mit Sicherheit als "leer" empfinden. Das tut weh, ist aber auch völlig normal.
LBM hat schon geschrieben, wie Du selbst neue Bekannte und Freunde finden kannst.
VG Susi
Hallo Nordisch,
es mag jetzt vielleicht unpopulär klingen, aber ich halte es für wichtig, dass Deine Tochter einbezogen wird, wenn Du Dich von Deiner Frau trennst, also dass der Tochter die Trennung erklärt wird im Beisein beider Elternteile.
Dies wäre ein Vertrauensbeweis der Tochter gegenüber.
Die Trennung scheint mir in Anbetracht der Schilderung von Dir unausweichlich.
Ich betrachte es durchaus als Vorteil, dass Du bis zum Auszug der Tochter wartest bzw. gewartet hast.
Irgendwo las ich, dass es einem nach einer Trennung irgendwann deutlich besser geht. Daran glaube ich. Die Trennung von meiner Frau ging von ihr aus, es war im ersten Moment solch ein Schock, dass ich eine behandlungsbedürftige Anpassungsstörung entwickelte, aber schon nach einigen Monaten war ich deutlich besser dran als in der Ehe.
Alles Gute, lg, DiBa
Hallo Nordisch,
in Ergänzung zu diesem hier:
es mag jetzt vielleicht unpopulär klingen, aber ich halte es für wichtig, dass Deine Tochter einbezogen wird, wenn Du Dich von Deiner Frau trennst, also dass der Tochter die Trennung erklärt wird im Beisein beider Elternteile
Wundere dich nicht all zu sehr, falls ihr von eurer Tochter sozusagen nur ein lakonisches "wurde aber auch Zeit" zu hören bekommt.
Jugendliche und junge Erwachsene sind ja nicht blöd, die merken es meist ziemlich schnell, wenn es in der Ehe ihrer Eltern kriselt.
Viele liebe Grüße,
Malachit
Wenn ein Staat die Leistungsgerechtigkeit zugunsten der Verteilungsgerechtigkeit aufgibt, dann kommt man bald an den Punkt, wo es mangels Leistung nichts mehr zu verteilen gibt.
Hallo und ganz herzlichen Dank an euch alle für eure schnellen und differenzierten Antworten,
Ich denke, ihr habt durchaus recht mit euren Vermutungen, was Verlustangst etc. angeht und werde mir deshalb einen Therapeuten suchen... zu blöd, dass alle immer so überfüllt sind 😉
LBM: danke, ich werde versuchen, neue Leute kennenzulernen, wie du schriebst.... bin dabei nur etwas aus der Übung ;-D
Ich werde auch das mit den "Angeboten" versuchen.
Susi64: ja, verstandesmäßig bin ich mir bewusst, dass Klammern her kontraproduktiv ist. Ich hoffe, ich werde nicht so verzweifelt werden, dass ich trotzdem diesen Fehler machen werde.
Was das "aus dem Haus" angeht: das ist mir klar und davor habe ich erstaunlicherweise auch keine Angst. Ich habe nur Probleme damit, dass sie meine Frau lieber mögen könnte als mich... was Freunde, potentielle Partner etc. angeht, macht mir das nichts.
Außerdem ist es dann auch der perfekte Zeitpunkt für mich, endlich auszuziehen. Denn natürlich ist die Vorstellung nicht ganz leicht für mich, allein zu leben. Aber ich bleib nicht aus Verlustangst bei meiner Frau.
DiBaDu: ich gebe dir recht, auf jeden Fall will ich meine Tochter bei der Trennung mit einbeziehen.
" dass ich eine behandlungsbedürftige Anpassungsstörung entwickelte, aber schon nach einigen Monaten war ich deutlich besser dran als in der Ehe."
Danke, dass beruhigt mich ziemlich!
Malachit: ja, das könnte durchaus sein. Ich hoffe, dass es trotzdem all die Jahre so für sie besser war als wenn wir uns früher getrennt hätten. Aber so etwas ist wohl ohnehin individuell.
Erstmal nochmals ganz herzlichen Dank,
Nordisch