Moin,
ich habe mal eine verfahrensrechtliche Frage, die nicht direkt mit Familienrecht zu tun hat, aber mit VKH und der Verwendbarkeit von Beweismitteln.
Der Fall: Die 15-jährige Tochter einer guten Freundin war wegen einer eigentlich harmlosen Blinddarm-OP im lokalen Krankenhaus. Zunächst alles ok; 4 Wochen später wurde sie ins gleiche KKH noteingeliefert und notoperiert wegen Bauchfellentzündung durch Abszess am Eierstock. Dabei wurde ein Stück Plastik im Bauch entdeckt, das die Blinddarmnarbe verschliessen sollte und in den Bauch gerutscht war. Der behandelnde Arzt versicherte jedoch sofort, das hätte mit dem aktuellen Krankheitsbild nichts zu tun. Der Abszess wurde operativ entfernt.
Nach einer Woche auf der Intensivstation wurde das Mädel mit noch immer erhöhten Entzündungswerten entlassen. Nach einer weiteren Woche gab es eine ambulante Nachkontrolle, weil sie über Bauchschmerzen klagte. Laut KKH kein Grund zur Sorge, obwohl die Entzündungswerte noch höher waren.
Inzwischen ist das Kind wegen neuerlicher Schmerzen in der Uni-Klinik. Beim Ultraschall wurde ein weiterer Abszess und eine Zyste festgestellt. Neuerliche Not-OP (die dritte OP seit November 2010). Durch die (mutige) Indiskretion einer Krankenschwester im ersten Krankenhaus bekam die Mutter des Kindes inzwischen eine Kopie der Krankenakte, in der unter anderem von einer MRSA-Infektion (multiresistenter Krankenhaus-Erreger) die Rede ist. Dies wurde der Mutter jedoch nie mitgeteilt.
Das Ganze ist eine Riesensauerei. Aktuell geht es natürlich erst einmal darum, dass das Mädel wieder gesund wird. Danach wird sich jedoch die Frage der Arzthaftung stellen. Die geschiedenen Eltern haben beide keine Reichtümer und fürchten die Kosten eines Kunstfehler-/Arzthaftungsverfahrens. Eine Rechtsschutzversicherung haben sie nicht. Für VKH verdienen sie aber evtl. zuviel. Meine Fragen daher:
1.) In einem solchen Verfahren ist ja eigentlich das Kind der Kläger, nur vertreten durch seine Erziehungsberechtigten. Müsste (und würde) dafür VKH gewährt werden?
2.) Dass eine durch eine Krankenschwester angefertigte Fotokopie der Krankenakte kein Beweismittel ist bzw. als "illegal erlangtes Beweismittel" nicht zugelassen würde, ist recht wahrscheinlich. Wie sieht es aus, wenn die Mutter eine solche Kopie anonym und ohne Absender in einem braunen Umschlag in ihrem Briefkasten "findet"?
Herzlichen Dank im Voraus für kompetente Antworten der "Prozessordnungs-Cracks"
Martin
When a mosquito lands on your testicles you realize that there is always a way to solve problems without using violence.
Moin Martin,
1. Ich bin zwar kein Prozessordnungs-Crack aber an eigenständige VKH glaube ich nicht, da unterhaltseinklagende Kinder auch nur VKH erhalten wenn, die Mutter einen Anspruch darauf hat.
Bestenfalls ist wohl mit Wohlwollen des Richters zu rechnen.
2. Im Falle von unerlaubten Tonaufzeichnungen hat mir mal ein RA empfohlen, doch ein exaktes "Gedächtnisprotokoll" anzufertigen und wenn jemand nachfragt, warum man denn so sicher sei, dass es genau so war, soll man sagen, dass man Aufzeichnung habe.
Dann ist nicht das Dokument Beweisstück, sondern die eigene Aussage, die man auf Wunsch auch belegen könne. 😉
Ein Mann, der seine Frau verlässt, ist ein Schuft.
Ein Mann, der von seiner Frau verlassen wird, ist auch ein Schuft, denn sonst hätte sie ihn ja nicht verlassen müssen.
Hi Martin,
1) ganz einfach: ja (natürlich bei Erfolgsaussicht, entsprechenden Einkommensverhältnissen des Kindes usw.)
2) Die originale Krankenakte ist das Beweismittel, Urkundsbeweis. Da sich die Krankenakte im Besitz des Krankenhauses befindet, muss sie auf Antrag von dort herausgegeben werden http://dejure.org/gesetze/ZPO/421.html . Natürlich kann man schon mal eine Kopie vorab einreichen. Woher die kommt, geht keinen was an. Das Original interessiert dann sowieso nur noch im Bestreitensfall.
Gruss von der Insel
Hi Beppo,
da unterhaltseinklagende Kinder auch nur VKH erhalten wenn, die Mutter einen Anspruch darauf hat.
Vorsicht. Beim Kindesunterhalt gibt es den Sonderfall, dass Prozessstandschaft vorgeschrieben ist, so lange die Eltern noch verheiratet sind. Das minderjährige Kind darf dann nicht in eigenem Namen klagen, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Wenn die Mutter den Anspruch des Kindes aber in ihrem Namen einklagt, muss sie auch selbst VKH bewilligt bekommen.
Gruss von der Insel
Hallo brille007,
die Frage wäre ja nun auch weswegen wollen sie klagen?
Die MRSA Infektion ist sicherlich nicht sehr erfolgbringend, das Krankenhaus macht für gewöhnlich einen Abstrich der dann eine gewisse Zeit im Labor braucht, sprich sie werden sagen das hat sie mitgebracht einen Gegenbeweis ist praktisch unmöglich da zuvor niemals ein Abstrich gemacht worden ist.
Es ist sowieso schon seltsam das ein Abstrich gemacht wurde, da sie ja noch recht jung ist.
Es wäre ja quasi zu beweisen das die Klinik (den Arzt kann man hierfür gar nicht belangen) mit irgendwas das Mädchen infiziert hat und da liegt der Beweis bei demjenigen der klagt.
Gerade Prozesse gegen Ärzte und Kliniken sind ja sehr schwerfällig und werden oftmals aussergerichtlich über die Versicherungen geklärt.
Gerade die Infektion mit MRSA ist eine der häufigsten in den Kliniken und kaum bekämpfbar, wichtig ist vor allem das sie jetzt dagegen korrekt behandelt wird bevor sich das auch noch negativ auf ihren Gesundheitszustand legt.
Gruss Kruemel2
Moin kruemel,
die Frage wäre ja nun auch weswegen wollen sie klagen?
Die MRSA Infektion ist sicherlich nicht sehr erfolgbringend, das Krankenhaus macht für gewöhnlich einen Abstrich der dann eine gewisse Zeit im Labor braucht, sprich sie werden sagen das hat sie mitgebracht einen Gegenbeweis ist praktisch unmöglich da zuvor niemals ein Abstrich gemacht worden ist.
ich kenne (noch) nicht alle Details. Aber es geht nicht darum, dass Fehler gemacht wurden; eine Infektion kann immer passieren. Es geht darum, dass das KKH die wirklichen Gründe kennt und in der Akte vermerkt hat, aber der Mutter unterschlägt. Offenbar um den Preis, dass die richtige Behandlung erst einmal unterblieb und erst jetzt in einer Uni-Klinik begonnen hat.
Der (vermutete) Hintergrund: MRSA ist meldepflichtig und löst einen Rattenschwanz weiterer Massnahmen aus; allen voran kostenträchtiger Desinfektionsmassnahmen. Überdies ist MRSA alles andere als gute PR für das betroffene Krankenhaus. Ein Krankenhausträger hat also eine Menge guter Gründe, solche Vorfälle unter den Teppich zu kehren.
Wir reden nicht von einem Schnupfen und auch nicht von einem Eiterzahn. Ein befreundeter Arzt fasste es zusammen mit "Kranker als dieses Kind kann man nicht mehr sein."
Gerade Prozesse gegen Ärzte und Kliniken sind ja sehr schwerfällig und werden oftmals aussergerichtlich über die Versicherungen geklärt.
ja - und sie enthalten meist eine Verschwiegenheitsvereinbarung. Bedeutet: Der Betroffene kriegt irgendeine Form von Schadenersatz; an den Ursachen ändert sich nicht wirklich etwas, und dann beisst eben der nächste ins Gras. Hauptsache, es bleibt alles fein unterm Teppich. Zum Beispiel, dass die Hygiene im Krankenhaus heute in vielen Bereichen von externen Gebäudereinigungsfirmen mit preiswerten Zeitarbeitern "erledigt" wird.
Grüssles
Martin
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Moin Inselreif,
1) ganz einfach: ja (natürlich bei Erfolgsaussicht, entsprechenden Einkommensverhältnissen des Kindes usw.)
naja, das Kind ist 15 und besucht die 9. Klasse einer Realschule; da gips noch nicht viel Einkommen.
2) Die originale Krankenakte ist das Beweismittel, Urkundsbeweis. Da sich die Krankenakte im Besitz des Krankenhauses befindet, muss sie auf Antrag von dort herausgegeben werden http://dejure.org/gesetze/ZPO/421.html .
das ist klar; die Kopie ist vor allem ein Beweis für die Vollständigkeit und die Inhalte der Originalakte - für den Fall, dass irgendwer vorhat, in der Originalakte nachträglich noch Dinge hinzuzufügen oder wegzulassen.
Natürlich kann man schon mal eine Kopie vorab einreichen. Woher die kommt, geht keinen was an.
da bin ich eben im Zweifel. Und wenn ein gewiefter Versicherungs-/KKH-Anwalt die Klage gleich wegen eines Formfehlers namens "unzulässiges Beweismittel" abschmettern lassen könnte, hätte man natürlich mit Zitronen gehandelt.
Grüssles
Martin
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Moin Brille,
mein Rat wäre es, sich an die Patienberatungsstelle der Ärztkammer zu wenden. Diese leitet den Patienten an die sog. Schiedsstelle der Ärztekammer weiter. Dieser Weg ist für den Betroffenen kostenfrei. Die Schiedsstelle kann keine Urteile fällen, nur Empfehlungen aussprechen. Diese Empfehlung trifft ein Ausschuß aus Ärzten mit Gutachterstatus und einem Juristen mit Richterzulassung.
Sollte das Gremium meinen, eine Verletzung des medizinischen Standards läge vor und die Gegenseite negiert dies, bekommt der Patient ein gerichtsfestes Gutachten für den (falls gewollt) folgenden Prozess und eine fast 99% Chance daß das Gericht in dieser Weise urteilen wird.
Hier aus dem Norden weiss ich, dass die Schiedsstelle weitaus Patientenfreundlicher entscheidet als es vergleichsweise die Gerichte tun. Die Leute dort wissen, daß im Prozessfalle ein äusserst versierter Fachanwalt der Berufshaftpflichtversicherung das Krankenhaus vertreten wird. Dieser Anwalt hat Zugriff auf die interne juristische Datenbank aller Versicherungen und kann schnell aktuelle und vergleichbare Fälle herausfinden. Auch die Fälle, die in zweiter Instanz mit einem Vergleich abgekauft wurden, aber somit das erstinstanzliche Urteil stärken.....
Umgekehrt, meint die Schiedsstelle, alles ist so i.O., sind die Erfolgsaussichten einer juristischen Auseinandersetzung m.E. sehr gering.
Diese Alternative hat den Vorteil einer kostenfreien Vorpfüfung des Falles. Verpflichtend wird es erst, wenn man die Schlichtung akzeptiert. Der Klageweg steht zu jeder Zeit offen.
LG und schönen Sonntag, Cappi
Hi Martin,
das ist klar; die Kopie ist vor allem ein Beweis für die Vollständigkeit und die Inhalte der Originalakte
aus meiner Sicht wäre die Kopie dann immer noch kein Beweismittel. Eher ein Indiz für die Veränderung der Akte, die dann aber eher nicht im Zivilprozess geklärt würde.
Und wenn ein gewiefter Versicherungs-/KKH-Anwalt die Klage gleich wegen eines Formfehlers namens "unzulässiges Beweismittel" abschmettern lassen könnte,
Unzulässig (bzw. ungeeignet) als Beweismittel ist die Aktenkopie wahrscheinlich schon. Beweismittel ist aber die Originalakte. Die Klägerin behauptet, infiziert worden zu sein - und im Bestreitensfall wird Beweis durch Vorlage der Originalakte durch das Krankenhaus angetreten. Die Kopie wird ja nur vorab eingereicht, auf dass die Gegenseite erst gar nicht auf die Idee kommt, etwas zu bestreiten. Kann ja auch sein, dass man sich auf eine andere Spitzfindigkeit konzentriert. Zum Beispiel, dass es ohne Belang war, ob man die Patientin informiert hätte. Oder man hätte ihr das Ergebnis mündlich eröffnet...
Ich sehe übrigens auch keine Probleme, dass die Kopie im Besitz der Klägerin ist. Ein Recht auf Akteneinsicht sollte sich schon aus dem Behandlungsvertrag und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ergeben. Aber spätestens bei Vorbereitung dieses Prozesses: http://dejure.org/gesetze/BGB/810.html
Gruss von der Insel
Hi brille,
zu 1.) vermute ich dass zwar das Kind Kläger ist aber die gesetzlichen Vertreter wie bei der Unterhaltspflicht auch die Pflicht haben, entsprechend ihres Einkommens die Prozesskosten abzudecken.
zu 2.)
vielleicht hilft hier auch die Krankenkasse des Kindes, denn es gibt Unterstützungsleistungen bei (vermuteten) Behandlungsfehlern.
Bei uns ist das in der Satzung geregelt, und sicher bei den meisten KK. Erstens kann die Krankenkasse über den Medizinischen Dienst die Behandlungsunterlagen einsehen lassen und dann auch zur Verfügung stellen, zweitens sind auch Gutachten möglich. Somit ist es ein offizieller Weg etwas medizinisch begründetes herauszufinden.
Natürlich ist die KK selbst auch daran interessiert, denn sie kann sich - sollte es sich als Behandlungsfehler herausstellen - ja auch noch Geld für die dadurch verursachten zusätzlichen Kosten zurückholen.
Also mal bei der KK beraten lassen (Regressabteilung), die wissen dann auch aus Erfahrungsfällen wie man am besten vorgehen sollte.
So wie es cappi schreibt, klingt es gut.
Zum MRSA Keim, da in dt. KH meistens keine Eingangsuntersuchung gemacht wird, wird hier sicher die Beweislage, dass sie sich den Keim im KH geholt hat, schwierig, denn es gibt Keimträger, die man nicht kennt. Dazu - wie die KH damit umgehen - kann ich dir empfehlen, die Qualitätsberichte zu lesen, die das KH veröffentlicht.
ligr ginnie
Durch Nachsicht setzt man der Gewalt kein Ende: damit bestärkt man die Gegner nur in der Gewissheit, sie hätten es mit einem Schwächling zu tun, der leicht zu bezwingen ist
Servus,
Die MRSA Infektion ist sicherlich nicht sehr erfolgbringend, das Krankenhaus macht für gewöhnlich einen Abstrich der dann eine gewisse Zeit im Labor braucht, sprich sie werden sagen das hat sie mitgebracht einen Gegenbeweis ist praktisch unmöglich da zuvor niemals ein Abstrich gemacht worden ist.
Die Frage ist, ob das Krankenhaus nicht beweisen muss, dass das Kind nicht bei ihnen von den MRSA-Keimen besiedelt worden ist (Beweislastumkehr)?
Ansonsten würde ich mich in diesem Fall auch an meine Krankenkasse wenden.
diese haben längst gelernt, mögliche Mehrkosten wegen Behandlungsfehlern etc. wieder an den Verursacher zurückzugeben.
In diesem Verfahren würde dann die Schuldfrage geklärt.
Mit Einwilligung der betroffenen Personen kann die Kasse auch jederzeit die erfoderloichen Unterlagen aus der Klinik anfordern.
Im Anschluss könnte auf dem Weg der Zivilklage Schmerzensgeld gefordert werden.
Gruß, Michael
sol lucet omnibus - die Sonne scheint für alle