Hallo,
soweit mir bekannt ist, verjähren familienrechtliche, regelmäßige Zahlungen nach drei Jahren, § 195 BGB. Somit konnte zwar aus einem Titel gefordert werden, ist diese Forderung aber älter als 3 Jahre, kann sich der Schuldner auf die Einrede der Verjährung berufen.
Nun besagt § 207 BGB:
1) Die Verjährung von Ansprüchen zwischen Ehegatten ist gehemmt, solange die Ehe besteht. Das Gleiche gilt für Ansprüche zwischen
1.
Lebenspartnern, solange die Lebenspartnerschaft besteht,
2.
dem Kind und
a)
seinen Eltern oder
b)
dem Ehegatten oder Lebenspartner eines Elternteils
bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Kindes,
Was heißt das nun konkret:
a) die (bspw.) Mutter als Vertreterin des Kindes kann über drei Jahre hinaus (bis zur Volljährigkeit??) vollstrecken
b) die (bspw.) Mutter als Vertreterin des Kindes kann nur bis zu drei Jahren vollstrecken, aber das Kind hat die Möglichkeit ab Erreichen der Volljährigkeit bis zum vollendeten 21. Lebensjahr die noch rückständigen Zahlungen einzutreiben.
c) die Hemmung der Verjährung tritt nur bei nicht titulierten Forderungen in Kraft
d) die Hemmung der Verjährung greift unabhängig davon, ob die Forderung tituliert ist oder nicht.
Wer kann mich aufklären, wann, wie unter welchen Umständen eine Hemmung der Verjährung eintritt? Gibt es Urteile?
LG LBM
"Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern es ist die Entscheidung,
dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst."
Hallo,
in den von mir ergoogelten Urteilen wird immer auf
"Rückständiger Unterhalt kann grundsätzlich der Verwirkung unterliegen, wenn sich seine Geltendmachung unter dem Gesichtspunkt illoyal verspäteter Rechtsausübung als unzulässig darstellt. Die Verwirkung ist insoweit ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens. Sie setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre (sog. Zeitmoment) und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (sog. Umstandsmoment). Insofern gilt für Unterhaltsrückstände nichts anderes als für andere in der Vergangenheit fällig gewordene Ansprüche (vgl. BGH, Urteil vom 23.10.2002 - XII ZR 266/99 - FamRZ 2002, 1698). Vielmehr spricht gerade bei derartigen Ansprüchen vieles dafür, an das sog. Zeitmoment der Verwirkung keine strengen Anforderungen zu stellen seien."
verwiesen. Also Unterhalt muss eingefordert werden, geschieht das nicht, dann kann auch nicht beliebig sondern nur zeitnah für die Vergangenheit gefordert werden.
SIehe auch <a href="https://openjur.de/u/637732.html>hier</a>" und <a href="http://lexetius.com/2002,2275>hier</a>" sowie das <a href="https://www.dijuf.de/tl_files/downloads/2014/DIJuF-Themengutachten_Verwirkung_von_Kindesunterhalt_v._08.04.2014.pdf>Themengutachten</a>."
VG Susi
Somit konnte zwar aus einem Titel gefordert werden, ist diese Forderung aber älter als 3 Jahre, kann sich der Schuldner auf die Einrede der Verjährung berufen.
Titulierte Ansprüche unterliegen grundsätzlich der 30-jährigen Verjährungsfrist des § 197 I BGB. Ausser - es ist Unterhalt für die Zukunft tituliert, dann greift (wie auch bei Zinsen und anderen titulierten wiederkehrenden Leistungen) wieder die regelmässige Verjährung §§ 197 II, 195 BGB.
a) die (bspw.) Mutter als Vertreterin des Kindes kann über drei Jahre hinaus (bis zur Volljährigkeit??) vollstrecken
b) die (bspw.) Mutter als Vertreterin des Kindes kann nur bis zu drei Jahren vollstrecken, aber das Kind hat die Möglichkeit ab Erreichen der Volljährigkeit bis zum vollendeten 21. Lebensjahr die noch rückständigen Zahlungen einzutreiben.
Nein, da die Mutter das Kind nicht mehr vertreten kann.
d) die Hemmung der Verjährung greift unabhängig davon, ob die Forderung tituliert ist oder nicht.
So ist es, wenn die sonstigen Voraussetzungen gegeben sind (Prüfschema: Forderung entstanden? -> erloschen? -> einredebehaftet?). Die Verjährungsfrist endet dann (taggenau) drei Jahre nach dem 21. Geburtstag des Kindes.
Achtung ! Diese Vorschrift gibt es erst seit 2010, es ist fraglich, ob veröffentlichte Rechtsprechung dazu existiert. Allerdings sehe ich den § 207 BGB eh als nicht wirklich praxisrelevant an weil bei solchen Zeitspannen eh die Einrede der Verwirkung (siehe Susi) greift.
Gruss von der Insel
Achtung ! Diese Vorschrift gibt es erst seit 2010,
Die Hemmung der Verjährung zwischen Eltern und Kindern gibt es schon viel länger, allerdings vorher nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres.
es ist fraglich, ob veröffentlichte Rechtsprechung dazu existiert.
85 allein dort: http://dejure.org/dienste/lex/BGB/207/1.html
Allerdings sehe ich den § 207 BGB eh als nicht wirklich praxisrelevant an weil bei solchen Zeitspannen eh die Einrede der Verwirkung (siehe Susi) greift.
Leider hat sich diese Meinung in Foren wohl verfestigt. Es ist keineswegs so, dass die Verwirkung grundsätzlich greift. Jeder Fall muss gerichtlich entschieden werden. Und nicht selten scheidet die Verwirkung aus, siehe z.B. AG Nordhorn, Beschluss vom 23.05.2012, 11 F 799/11 UK. Es gibt zu dieser Thematik auch OLG-Entscheidungen, ich habe aber momentan keine Lust, weiter zu suchen.
85 allein dort
Der ganz überwiegende Teil dieser 85 Entscheidungen ist alt bis uralt. Einschliesslich Entscheidungen des Reichsgerichts von 1920.
Ansonsten halte ich die Anhebung von 18 auf 21 Jahre durchaus für praxisrelevant.
Es ist keineswegs so, dass die Verwirkung grundsätzlich greift. Jeder Fall muss gerichtlich entschieden werden.
Es wird wohl gerne vergessen, dass das Zeitmoment nicht auf ein Jahr fixiert ist und auch das Umstandsmoment wird gerne zu schnell unter den Tisch gekehrt. Aber ansonsten kann man sich über Verwirkung im Einzelfall genauso streiten wie über Verjährungshemmung und -unterbrechung.
Gruss von der Insel
Jetzt noch mal für geburtsblonde Moderatorinnen im Klartext:
Unterhalt für die Zukunft ist tituliert. Vater zahlt im Jahr 2010 nicht, weil arbeitslos. Mutter vollstreckt nicht und fordert nichts ein, weil sie die Arbeitslosigkeit als Grund akzeptiert. Im Jahr 2016 wird Kind 18 Jahre alt und will den Unterhalt aus 2010 haben und will aus dem Titel vollstrecken. Kann sich der Vater auf Verjährung berufen?
LG LBM (die da wirklich einen schwarzen Fleck hat und immer dachte, das geht nicht.)
"Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern es ist die Entscheidung,
dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst."
Kann sich der Vater auf Verjährung berufen?
Nein. Kind kann wegen Hemmung der Verjährung bis kurz vor dem 21. Geburtstag Vollstreckung anleiern, ohne dass Papa Einrede der Verjährung geltend machen kann. Aber er könnte dann Vollstreckungsabwehrmaßnahmen ergreifen und sich auf Verwirkung berufen. Dann entscheidet ein Gericht.
Um sicher einer möglichen Verwirkung vorzubeugen, sollten regelmäßige Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden. 1x im Jahr wird empfohlen. Das ist in dem obigen Fall aber längst überschritten.
Wir sprechen doch die ganze Zeit von regelmäßig wiederkehrenden Leistungen (also laufender unterhalt), die der Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 195 BGB) unterliegen? Etwas anderes ergibt sich bei der 30jährigen Verjährungsfrist (197 BGB), aber darum geht es hier ja wohl nicht.
Mutter vollstreckt nicht und fordert nichts ein, weil sie die Arbeitslosigkeit als Grund akzeptiert. Im Jahr 2016 wird Kind 18 Jahre alt und will den Unterhalt aus 2010 haben und will aus dem Titel vollstrecken.
Aber das sieht starkt nach Verwirkung aus. Das Gericht könnte entscheiden, dass Papa darauf vertrauen konnte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.
Kind könnte es ab 18 versuchen, ist ein kleines Pokerspiel: Erfolgt der Vollstreckungsversuch innerhalb der Hemmung und Vater unternimmt dagegen nichts, hat er die A-Karte gezogen.
Ja und dieses Standardbeispiel ging es mir.
Das heißt dann also, dass für die Mutter des Kindes nach wie vor die üblichen Verjährungsfristen gelten und lediglich dem Kind gegenüber noch die Verjährung gehemmt ist. Die Mutter kann also nicht nach 4 oder 5 Jahren (vor Volljährigkeit) weiter vollstrecken bzw. da kann sich der Vater dann schon auf die Einrede der Verjährung berufen.
LG LBM
"Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern es ist die Entscheidung,
dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst."
Doch, die Mutter kann jetzt noch (versuchen zu) vollstrecken, weil auch hier die Hemmung gilt. Sie ist doch gesetzliche Vertreterin des Kindes, oder? Risiko ist halt die mögliche Verwirkung...
Mal ne Beistandschaft gehabt?
Hallo,
ich sehe es auch so wie egalo. Verjährung tritt nicht ein, der Anspruch kann aber verwirkt sein, je nach den Umständen kann dann ein Gericht so oder so entscheiden.
VG Susi
@egalo: Nee hatte ich nicht. Mein Sohn hat auch keinen Titel, Unterhalt, etc.
Mir geht es rein um die Rechtslage. Und wie Verjährung und Verwirkung zusammen spielen. Ich habe da derzeit einen Knoten im Kopf.
LG LBM
"Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern es ist die Entscheidung,
dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst."
Häää? Sohn hat auch keinen Titel? Oben steht doch was von "Unterhalt für die Zukunft tituliert, Mutter vollstreckt nicht". Wat nu, Titel oder nicht? Ohne Titel keine Vollstreckung!
Das ist ein ganz fiktives Beispiel, das mit mir oder meiner Geschichte nichts zu tun hat. Meine Klarstellung bezog sich auf Deine Frage, ob ich eine Beistandschaft hatte.
Es geht mir hier ausschließlich um die Rechtslage.
LG LBM
"Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern es ist die Entscheidung,
dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst."
Oh Mann, als ich las "kein Titel" hörte ich auf, weiter zu lesen und zu denken. Sorry.
Ich brauche dringend Urlaub. 😉
No Problem 😉 Geht mir auch so, nur ist meiner leider heute Abend vorbei. :phantom:
LG LBM
"Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern es ist die Entscheidung,
dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst."
Es geht mir hier ausschließlich um die Rechtslage.
Hier wird das gut erklärt:
http://www.familienrecht-allgaeu.de/de/verjaehrung-unterhalt.html
http://www.familienrecht-allgaeu.de/de/verjaehrung-verwirkung-unterhalt.html
Egalo, ich danke Dir. 💡
Jetzt ist bei mir auch der Groschen gefallen.
1. Rechtsprechung -> Verwirkung (Zeitmoment/Umstandsmoment), Kind muss sich Untätigkeit der Mutter zurechnen lassen
2. Gesetz -> Verjährung
D. h., wenn der Unterhalt bereits verwirkt ist, dann hat man kaum noch Möglichkeiten, selbst wenn er noch nicht verjährt ist.
So wird es rund. 🙂
DANKE!
LBM
"Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern es ist die Entscheidung,
dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst."
D. h., wenn der Unterhalt bereits verwirkt ist, dann hat man kaum noch Möglichkeiten, selbst wenn er noch nicht verjährt ist.
So ist es.
Zu beachten ist, dass gegen einen Vollstreckungsversuch sofort Abwehrklage wegen Verwirkung erhoben werden muss. Verwirkung tritt nicht von allein ein, sondern erst durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung.
Wenn wir mal bitte genau sein wollen, tritt die Verwirkung genauso wie die Verjährung durch die Erhebung einer entsprechenden Einrede gegenüber dem Forderungsinhaber ein. Damit ist (sog. peremptorische Einrede) die Forderung dauerhaft nicht mehr durchsetzbar. Für diese materiellrechtliche Folge braucht es kein Gericht. Genauso wenig wie es für das Entstehen der Unterhaltsforderung selbst eines Gerichtes bedurft hätte.
Nur wenn (!) jetzt ein entsprechender Titel existiert, muss gewürdigt werden, dass dessen materiellrechtliche Grundlage nicht mehr existiert und dessen Wirkung entsprechend aufgehoben werden. Sei es durch entsprechende Verzichtserklärung des Titelinhabers, sei es durch gerichtliche Entscheidung.
Sorry, ich bin da bewusst penibel, weil hier viel zu oft materiellrechtliche Grundlage und Titulierung in einen Topf geworfen werden.
Die Verwirkung ist im Übrigen keine Erfindung der Rechtsprechung sondern genauso gesetzlich normiert wie die Verjährung, nur nicht so ausführlich. Sie ist ein Unterfall des § 242 BGB.
Gruss von der Insel