Privilegiert, ja od...
 
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Privilegiert, ja oder nein ?

 
(@christian44)
Rege dabei Registriert

Meine Tochter wird in ca. 10 Monaten 18 Jahre alt. Nun stellt sich mir die Frage ob sie dann als privilegiertes volljährige Kind zählt?

Es trifft zu das sie unter 21 ist, zu Hause wohnt und unverheiratet ist. Sie macht aber ab August diesen jahres eine private Ausbildung als "Staatlich anerkannte Kinderpflegerin" in Thüringen. Die Ausbildung kostet Schulgeld und ist Bafög berechtigt. 

 

Danke

Zitat
Themenstarter Geschrieben : 04.07.2024 20:23
(@tomatenfisch)
Rege dabei Registriert

In Deinem Fall sollte das Privileg mit Abschluss der allgemeinen Schule enden, so dass sie im August nicht mehr privilegiert ist

AntwortZitat
Geschrieben : 04.07.2024 22:40
(@malachit)
(Fast) Eigentumsrecht Moderator

Hallo @tomatenfisch und @christian44 ,

die Besonderheit im vorliegenden Fall ist, dass es sich wohl nicht um eine klassische duale Ausbildung handelt (also Ausbildungsstelle in einem Betrieb, plus Berufsschule an ein bis zwei Tagen pro Woche), sondern um eine schulische Ausbildung zur Kinderpflegerin.

Möglicherweise sogar eine Schulausbildung, bei der sie als "Beifang" den Realschulabschluss erreichen könnte - ich weiß natürlich nicht, ob das hier zutrifft, aber z.B. an dieser Kinderpflegeschule wäre das bei entsprechendem Notendurchschnitt möglich: https://www.ludwig-fresenius.de/schulstandorte/erfurt/ausbildungen/kinderpflege-ausbildung/

Ist also nicht ganz so eindeutig wie bei einer Ausbildung im dualen System. Ich bin allerdings gerade dabei, einen BGH-Text zu durchforsten. Dauert noch einen Moment ...

Viele liebe Grüße,

Malachit

Wenn ein Staat die Leistungsgerechtigkeit zugunsten der Verteilungsgerechtigkeit aufgibt, dann kommt man bald an den Punkt, wo es mangels Leistung nichts mehr zu verteilen gibt.

AntwortZitat
Geschrieben : 04.07.2024 23:03
(@malachit)
(Fast) Eigentumsrecht Moderator

Hallo @Christian44,

die Sache mit den volljährigen Kindern, die minderjährigen Kindern gleichgestellt werden, ist in BGB § 1603 geregelt, und dort werden vier Kriterien genannt, die alle erfüllt sein müssen.

Geschrieben von: @christian44

Es trifft zu das sie unter 21 ist, zu Hause wohnt und unverheiratet ist.

Drei der Kriterien sind also erfüllt, d.h. es steht und fällt damit, ob ihre private Ausbildung als "Staatlich anerkannte Kinderpflegerin" eine allgemeine Schulausbildung ist oder nicht. Leider erläutert § 1603 nicht, was als allgemeine Schulausbildung gilt und was nicht.

Ich weiß nicht, ob es neuere Rechtssprechung gibt, aber der BGH als oberste Instanz im Familienrecht hatte sich bereits anno 2001 im Zuge einer Klage, in der es um etwas anderes als bei dir ging (nämlich: Realschulabschluss über Volkshochschulkurse erreichen) sehr ausführlich mit genau dieser Frage befasst: Was ist eigentlich eine allgemeine Schulausbildung im Sinne des Unterhaltsrechts?

Den Volltext zu "BGH, Urteil vom 10.05.2001 - XII ZR 108/99" findest du z.B. hier: https://openjur.de/u/64729.html

Eins vorweg, ich versuche mich hier an der Auslegung eines juristischen Textes, und das ist ein minenverseuchtes Gelände. Prüfe also bitte unabhängig von mir, meinetwegen mit Hilfe eines Anwalts, ob das wirklich so stimmt. Das hier ist definitiv, wie alles in diesem Forum, keine Rechtsberatung, sondern bestenfalls eine begründete Vermutung.

Jedenfalls, der interessante Teil des Textes beginnt bei Punkt 2, wo unter b) erst mal das von mir bereits angesprochene Problem festgestellt wird:

b) Was unter dem Begriff "allgemeine Schulausbildung" zu verstehen ist, ist der Vorschrift des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht zu entnehmen. (...) Im Hinblick darauf erscheint es im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung sachgerecht, den Begriff der allgemeinen Schulausbildung des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB unter Heranziehung der zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG entwickelten Grundsätze auszulegen (...).

Freundlicherweise hatte der BGH also damals erklärt, er wolle diesen konkreten Fall zum Anlass nehmen, um den Sachverhalt grundsätzlich und gründlich zu klären; und genau das erfolgt im Anschluss daran.

Hangeln wir uns also mal scheibchenweise durch diesen doch recht länglichen Text:

c) Nach diesen Grundsätzen ist der Begriff der allgemeinen Schulausbildung in drei Richtungen einzugrenzen, nämlich nach dem Ausbildungsziel, der zeitlichen Beanspruchung des Schülers und der Organisationsstruktur der Schule (...).

Den zweiten und dritten Punkt können wir in deinem Fall wohl vergessen, denn es dürfte sich um Vollzeitunterricht mit Anwesenheitspflicht handeln.

Schauen wir uns also an, was der BGH zum Thema "Ausbildungsziel" zu sagen hatte - und zwar fängt das so an:

aa) Ziel des Schulbesuchs muß der Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses als Zugangsvoraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung oder den Besuch einer Hochschule oder Fachhochschule sein, (...)

Da haben wir also schon den ersten deutlichen Hinweis: Ziel der Veranstaltung muss es sein, einen Schulabschluss zu erwerben, den man braucht, um überhaupt mit einer Berufsausbildung oder mit einem Studium zu beginnen. Das ist hier m.E. nicht der Fall, denn es geht offenbar nicht darum, z.B. den Haupt- oder Realschulabschluss zu erwerben, wenn sie diesen für eine Ausbildungsstelle als Kinderpflegerin bräuchte, sondern sie wird auf direktem Weg für genau diesen konkreten Beruf ausgebildet.

Aber schauen wir uns an, wie der Text weitergeht:

(...) also jedenfalls der Hauptschulabschluß, der Realschulabschluß, die fachgebundene oder die allgemeine Hochschulreife. Diese Voraussetzung ist beim Besuch der Hauptschule, der Gesamtschule, der Realschule, des Gymnasiums und der Fachoberschule immer erfüllt (...).

Es ist offensichtlich keine Hauptschule, keine Gesamtschule, keine Realschule und kein Gymnasium. Könnte es sich um eine Art Fachoberschule handeln? Dann müsste aber der Erwerb irgendeiner Art von Hochschulreife im Mittelpunkt stehen, und danach sieht es bei einer Ausbildung zur staatlich anerkannten Kinderpflegerin eher nicht aus.

Daher, weiter im Text:

Anders zu beurteilen ist der Besuch einer Schule, die neben allgemeinen Ausbildungsinhalten bereits eine auf ein konkretes Berufsbild bezogene Ausbildung vermittelt.

Auf die Rechtsform der Schule kommt es dagegen nicht an. Ob die genannten Ausbildungsgänge vom Staat, der Gemeinde, den Kirchen oder von Privatschulen angeboten werden, ist für die Frage der Privilegierung eines Kindes nach § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht von Bedeutung. Einer Schulausbildung steht es daher gleich, wenn ein Kind, ohne einen Beruf auszuüben, allgemeinbildenden Schulunterricht in Form von Privat-und Abendkursen erhält, der dem Ziel dient, eine staatlich anerkannte allgemeine Schulabschlußprüfung abzulegen, soweit auch die im folgenden genannten weiteren Voraussetzungen erfüllt sind (...).

Ich würde sagen: Der Satz, den ich fett markiert habe, ist ein Volltreffer - jedenfalls dann wenn es in dieser Ausbildung wie ich vermute vorrangig um das konkrete Berufsbild "Staatlich anerkannte Kinderpflegerin" geht, und eben nicht in erster Linie um den Erwerb von Realschulabschluss, Hochschulreife o.ä., denn hier sagt der BGH m.E ganz klar: So eine berufsbezogene Schulausbildung ist etwas ganz anderes als Hauptschule, Realschule und Gymnasium.

Meine Einschätzung daher: Sie dürfte dies wohl kaum als allgemeine Schulausbildung anerkannt bekommen; d.h. nicht einmal dann, wenn dabei als Begleiterscheinung auch noch ein Realschulabschluss erworben werden kann.

Viele liebe Grüße,

Malachit

Wenn ein Staat die Leistungsgerechtigkeit zugunsten der Verteilungsgerechtigkeit aufgibt, dann kommt man bald an den Punkt, wo es mangels Leistung nichts mehr zu verteilen gibt.

AntwortZitat
Geschrieben : 04.07.2024 23:21
(@christian44)
Rege dabei Registriert

@malachit 

Erstmal Danke für die so ausführlich Antwort auf meine Frage. Vielen Dank.

Ich habe auch den Satz gelesen "Eine allgemeine Schulausbildung kann nicht über BAföG finanziert werden". Aber diese als "Staatlich anerkannte Kinderpflegerin" ist BAFÖG berechtigt.

 

AntwortZitat
Themenstarter Geschrieben : 04.07.2024 23:51