Matzner, Michael (1998): Die Bedeutung des Vaters für die Sozialisation des Kindes, In: Vaterschaft heute - Klischees und soziale Wirklichkeit, Frankfurt/Main; New York: Campus, S. 17 - 31
II. Die Bedeutung des Vaters für die Sozialisation des Kindes
Angesichts der Tatsache, daß es eine "allgemeine Sozialisations- oder Entwicklungstheorie noch nicht gibt" (Vgl. Fthenakis 1988a: 24; Vgl. auch Geulen 1989: 1410), wollen wir uns nicht an einer der verschiedenen psychologischen oder soziologischen Theorien zum Komplex der Sozialisation orientientieren (Vgl. z.B. Hurrelmann 1986), um die Bedeutung des Vaters als Sozialisationsagent und Erzieher [FN 4] seines Kindes darzustellen. Es erscheint im folgenden sinnvoller, aktuelle Erkenntnisse der Vaterforschung zur Thematik aufzuführen. Als Vaterforschung bezeichnen wir allgemein die interdisziplinäre Forschung zum Thema Vater. So befassen sich vor allem die Entwicklungspsychologie, die Kinderpsychiatrie und die Familiensoziologie mit der Rolle des Vaters und mit dessen Bedeutung für die Entwicklung von Kindern (Vgl. Fthenakis 1984: l ff.; Vgl. Nickel/Köcher 1986: 173).
Während wir später ausführlich auf das reale Verhalten der heutigen Väter, sowie ihre tatsächliche, empirisch belegbare Bedeutung für die Kinder eingehen werden, wird zuvor aufgezeigt, welche positive Bedeutung Väter für die Sozialisation ihrer Kinder im Idealfall haben können. Dies setzt voraus, daß die Väter die Möglichkeit besitzen, sich an der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder aktiv zu beteiligen und dies auch tatsächlich tun.
Bis zu Beginn der siebziger Jahre lag der Forschungsschwerpunkt bezüglich der Bedeutung der familialen Sozialisation für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes auf der Ebene der Mutter-Kind-Beziehung. Der kulturell dominierende Mutterprimat wurde durch "objektive" wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt. Diese kamen aus der Psychoanalyse sowie insbesondere der Bindungslehre (Vgl. Eil 1988: 437; Vgl. Lehr 1978: 1191; Vgl. Nickel/Köcher 1986: 173). Demnach "galt die Mutter als die von der Natur dafür vorbestimmte primäre Bezugsperson, der neben der Pflege- und Betreuungsfunktion vor allem die Aufgabe zufiel, eine stabile emotionale Bindungsfähigkeit im Kind zu fördern" (Nickel/Köcher 1986: 173). Die Attachement-Theorie ging weiter davon aus, daß dem Vater dazu die biologischen Voraussetzungen fehlten. Seine Bedeutung bestände in der emotionalen Unterstützung der Mutter sowie in der wirtschaftlichen Versorgung der Familie (Vgl. ebda; Vgl. Fthenakis 1988a: 216ff.; Vgl. Lehr 1978: 130f.).
Das wissenschaftliche Interesse an der Person des Vaters konzentrierte sich, wenn überhaupt, auf die Folgen der Abwesenheit des Vaters sowie auf dessen Bedeutung für die Entwicklung der männlichen Geschlechtsrolle. Die Forschungsergebnisse waren, auch aufgrund methodischer Mängel, teilweise widersprüchlich (Vgl. Fthenakis 1988a: 325ff.; Vgl. Lehr 1978: 131f.; Vgl. Schütze 1989: 55). Wurde bis in die siebziger Jahre der Vater in der psychologischen Forschung weitgehend vernachlässigt, so hat sich dies, vor allem im angloamerikanischen Raum, seitdem sehr verändert. Bis es dazu kam, verhinderten "stereotype Konzepte über die Rollenteilung in der Familie", auf die Mutter-Kind-Beziehung konzentrierte Entwicklungstheorien sowie allgemein mit der Komplexität des Systems Familie nicht korrespondierende Forschungskonzepte eine angemessene Vaterforschung (Vgl. Fthenakis 1984: 3). Gesellschaftlicher und familialer Strukturwandel (Frauenerwerbstätigkeit, Frauenbewegung, Verkleinerung der Familie, zunehmende Freizeit, "die Neubelebung der Ideologie der Kinderzentriertheit") ließen auch das wissenschaftliche Interesse an der Rolle des Vaters seit den siebziger Jahren wachsen (Vgl. ebda.).
Bis heute sind innerhalb der Vaterforschung, vor allem in den USA, sehr viele, umfangreiche und unterschiedliche Aspekte berücksichtigende Arbeiten entstanden. [FN 5] In Deutschland herrscht noch ein gewisser Nachholbedarf. Dies gilt vor allem für empirische Untersuchungen mit repräsentativem Charakter. Besonders für solche, die sich mit der Bedeutung von Vätern für Kinder, die nicht mehr im Kleinkindalter sind, auseinandersetzen.
Allerdings gibt es auch entgegengesetzte Meinungen. So spricht Stein-Hübers (1991: 201) trotz der offensichtlichen Defizite innerhalb der deutschen Vaterforschung nach der jahrzehntelangen Nichtberücksichtigung des Vaters, von der "derzeitigen Überbetonung der väterlichen Bedeutung für Kinder". Sie konstatiert, daß die aktuelle wissenschaftliche Diskussion zum Thema "Eltern-Kind-Beziehungen" "in hohem Maße durch ideologische Zuschreibungen geprägt" sei (Vgl. Stein-Hübers 1994: 20). Ihr selbst gelingt es auch nicht, dies zu vermeiden. So verbietet sich für sie die Hervorhebung der väterlichen Bedeutung für das Kind, weil dies "indirekt die traditionelle Stigmatisierung der meistens aus Frauen und Kindern bestehenden EinEltern-Familien weiter befördert" (Stein-Hübers 1991: 201).
Unabhängig von der Existenz verschiedener Ansätze (Vgl. Fthenakis 1984: 4ff), lassen sich folgende Grundvoraussetzungen einer modernen Vaterforschung nennen. Zum einen sollte eine isolierte Betrachtungweise, wie dies früher hinsichtlich der Mutter-Kind-Beziehung geschah, vermieden werden. Vaterschaft ist in den Kontext von Elternschaft und Familie eingebunden. Die Familie kann dabei als ein System angesehen werden, innerhalb dessen diverse Dyaden, Triaden etc. von Elternteüen, Eltern und Kindern bestehen und sich wechselseitig beeinflussen. Daneben muß berücksichtigt werden, daß das System Familie in weitere außerfamiliale Systeme eingebunden ist, wodurch eine wechselseitige Beeinflussung von Familie und Gesellschaft erfolgt (Vgl. Kreppner 1991: 323f; Vgl. Petzold/Nickel 1989: 247ff; Vgl. Schmidt-Denier 1984: 39; Vgl. Schütze 1982: 203ff). Eine zweite Prämisse moderner Vaterforschung ist die Berücksichtigung der Dynamik des familialen Systems. Aus dem Familienzyklus ergeben sich wechselnde Anforderungen und Aufgaben an die Familienmitglieder (Vgl. Kreppner 1991: 323f.). Im folgenden werden die wichtigsten Erkenntnisse der Vaterforschung, soweit sie die Bedeutung des Vaters für die Sozialisation des Kindes betreffen, zusammengefaßt dargestellt.
Die oben genannten Erkenntnisse der Bindungstheoretiker hinsichtlich der Bedeutungslosigkeit des Vaters konnten eindeutig widerlegt werden. Schon Säuglinge können Beziehungen und damit auch Bindungen [FN 6] zu ihren Müttern und Vätern bzw. anderen Personen entwickeln (Vgl. Fthenakis 1988a: 209ff.; Vgl. Hansen 1993: 21; Vgl. Lehr 1978: 132ff.; Vgl. Parke 1982: 36ff.; Vgl. Schmidt-Denter 1984: 36f.).
Auch Väter bringen die Voraussetzungen dafür "uneingeschränkt" mit. "Beide Eltern" sind gleichermaßen in der Lage, "ein Kind von Geburt an mit der notwendigen Sensi-tivität angemessen zu betreuen und zu versorgen, sein Bedürfnis nach Kommunikation zu stillen und seine Entwicklung entsprechend zu fördern. Beide Eltern entwickeln unter entsprechenden Bedingungen enge emotionale Beziehungen zum Kind, und das Kind seinerseits entwickelt enge emotionale Beziehungen zu beiden Elternteilen, und zwar individuelle Beziehungen, die eigenständig zu sehen sind" (Fthenakis 1988a: 283).
Die von Bindungstheoretikern propagierte These der monotropen Bindung, d.h. die Bindung des Kindes vorwiegend oder ausschließlich an eine Person, "dürfte - dies als ein Hauptergebnis der Vaterforschung - in Familien, die aus mehr Personen als nur einer Pflegeperson und dem Kind bestehen, eher die Ausnahme darstellen, und auch eine Hierarchie der Bindungsfiguren, wie von Bowlby (1969) postuliert, scheint nicht der Regelfall zu sein" (ebda.).
Väter können also auch in der Phase der Soziabilisierung des Kindes die "anthropologisch notwendige ,liebende Dauerpflegeperson" (Vgl. Kaufmann 1995: 48) und damit frühzeitig Bezugsperson des Kindes werden. Allerdings haben wohl Mütter in der Regel die günstigeren Chancen, die, chronologisch gesehen, erste Bezugsperson des Kindes zu werden. Schwangerschaft, Geburt und Stillen des Kindes bevorteilen sie hier gegenüber dem Vater, da ihm diese leibliche Erfahrung fehlt. Es ist jedoch zu beachten, daß die Leibeserfahrung für die Mutter eine größere Bedeutung hat, als wie umgekehrt für das Kind. Vaterschaft ist dagegen weniger eine leibliche als vielmehr eine soziale Beziehung zum Kind "und kann als solche stärker werden als die soziale Beziehung der Mutter zum Kind" (Duss-von Werdt 1980: 19; Vgl. auch Eil 1988: 437ff.).
Als Voraussetzungen einer gelingenden kindlichen Sozialisation werden "übereinstimmend ... Schutz und Geborgenheit, Versorgung, Liebe und Verständnis, die Ermöglichung von Erfahrung und Lernen sowie Verläßlichkeit und Kontinuität" betrachtet (Stein-Hilbers 1994: 109).
Mitentscheidend für die positive Persönlichkeitsentwicklung des Kindes ; ist also, daß es zu mindestens einer Person eine Bindung entwickeln kann,; welche die oben genannten Bedürfnisse befriedigen kann. Die Bindung entsteht durch "dauerhafte Zuwendung, Körperkontakt und Hebende Pflege", was praktisch nur innerhalb einer Familie gewährleistet werden kann. ,,Hier liegt wohl einer der bedeutendsten Sachgründe für die Universalität von Elternschaft" (Kaufmann 1995: 48) und damit auch von Vaterschaft.
Die Entwicklung enger Bindungen zwischen Eltern und Kindern hängt weniger von der Quantität als vielmehr von der Qualität der Beziehungen ab (Vgl. Eil 1988: 438; Vgl. Fthenakis 1988a: 209ff.; Vgl. Lehr 1978: 133; Vgl. Schütze 1989: 56; Vgl. Süßmuth/Pettinger 1985: 390).
"Jenseits eines noch nicht näher bestimmten zeitlichen Minimums an gemeinsamer Interaktion bilden die Bereitschaft und die Gelegenheit, mit dem Kind sensitiv umzugehen, die Voraussetzungen für eine qualitativ gute Beziehung zwischen Kind und Elternteil. Art oder Inhalt des Umganges, so zeigt es sich, spielen dabei nicht die Hauptrolle ..." (Fthenakis 1988: 283).
Demnach lautet die entscheidende Frage nicht, "wieviele Stunden am Tage ein Vater mit seinem Kind verbringt, sondern was er mit dem Kind anfängt," wenn er da ist" (Parke 1982: 17).
Wie später noch dargestellt wird, hat der Begriff der Bindung neben seiner theoretisch-psychologischen Relevanz auch eine juristische und damit für die Betroffenen eine ganz konkrete Bedeutung im Trennungs- oder Scheidungsfall. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 05.11.1980 ist für das Kind der Elternteil der bedeutsamere, "zu dem es ,die stärkere innere Bindung' hat und dies wiederum ist ... bei der Zuteilung der Elterlichen Sorge zu berücksichtigen" (EU 1988: 439).
Wenn die "stärkere innere Bindung" berücksichtigt werden muß, so setzt dies voraus, daß ein Gutachter diese "messen" und miteinander vergleichen kann. Nach Auffassung der Bindungstheoretiker ist das möglich. Das Kind habe die engsten Bindungen zu seiner Hauptbezugsperson, das heißt der Person, die das Kind "hauptsächlich versorgt und damit dessen primäre Bedürfnisse", physische und psychische, befriedigt. Durch Beobachtung und andere Verfahren sei dies meßbar (Vgl. Hansen 1993: 20ff).
Psychologen mit einem systemorientierten Verständnis von Bindungen bestreiten diese Thesen. Sie verweisen darauf, daß die Bindung nur einen charakteristischen Aspekt, nämlich die affektive Seite, einer viel komplexeren Elternteil-Kind-Beziehung darstellt. Beziehungen und damit auch Bindungen zwischen Eltern und Kindern seien individuell und damit qualitativ unterschiedlich. Die Voraussetzung zur Entstehung von Beziehungen und damit auch Bindungen seien regelmäßige Kontakte, wobei es weniger auf die Art der Interaktion, als vielmehr auf die innere Einstellung des Erwachsenen, dessen Sensitivität und Kooperation mit dem Kind ankomme. Zur Ermittlung der Qualität der Beziehungen und Bindungen gebe es kein standardisiertes Verfahren (Vgl. ebda.: 23ff).
Je nach wissenschaftlichem Standort des Gutachters oder des Familienrichters können sich so unterschiedliche Konsequenzen in Sorgerechtsentscheidungen ergeben; besonders in einer Zeit, in der viele Mütter ihr Monopol als Betreuungsperson bereits verloren haben.
"Solange die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse in einer Familie allerdings so beschaffen sind, daß sich im wesentlichen nur eine Person um das Kind kümmert, weichen die Bindungstheorie und der systemorientierte Ansatz bei der Bewertung der aktuellen Situation nur in Nuancen voneinander ab: Soweit sich nur eine Person intensiv mit dem Kind beschäftigt, stellt sie in der Regel die entscheidende Verbindung des Kindes zu seiner Umwelt dar, die sie einerseits - insbesondere in den ersten Monaten - weitgehend repräsentiert, anschließend strukturiert und für das Kind erlebbar und erfahrbar macht. Dabei wirken die übrigen Familienmitglieder ... mittelbar ein. ... Je komplexer sich die Kontakte des Kindes zu den verschiedenen Familienmitgliedern jedoch gestalten, desto weniger ist die Bindungstheorie in der Lage, ein Bild der unterschiedlichen Beziehungen und Bindungen zu vermitteln, das der Situation im Einzelfall gerecht wird. So kann etwa im Falle der intensiven Beteiligung beider Eltern und ggf. weiterer Personen an der Betreuung eines Kleinkindes von der Bindungstheorie keine Einschätzung der Qualität der Beziehungen des Kindes zu beiden Elternteilen geleistet werden. Einem Elternteil die Rolle der Hauptbezugsperson zuzuweisen hieße, den anderen ohne Rücksicht auf seine Bedeutung für das Kind in eine sekundäre Rolle zu drängen" (Hansen 1993: 30f.).
Interessant ist auch die Erkenntnis, daß die Qualität der Vater-Kind-Beziehung "sehr viel mehr von der Qualität der ehelichen Beziehung abhängig zu sein [scheint], als dies bei der Mutter-Kind-Beziehung der Fall ist" (Berman/Pedersen 1987, zit. in: Schütze 1989: 60). Dies verdeutlicht den großen Einfluß der Mutter auf die Entwicklung der Vater-Kind-Beziehung, worauf wir später noch ausführlich zurückkommen werden. Eine weitere Erkenntnis der Vaterforschung ist, daß es im Interaktionsverhalten zwischen Mutter und Kind bzw. Vater und Kind mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede gibt (Vgl. Schmidt-Denter 1984: 38f.; Vgl. Schütze 1982: 207; Vgl. Dies. 1989: 57). Die zu beobachtenden Unterschiede, wie beispielsweise die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wahrnehmung bestimmter Tätigkeiten wie Spielen oder Versorgen, sind weniger biologisch als vielmehr sozial bedingt. Da mit zunehmendem Kindesalter die Pflegehandlungen an Bedeutung verlieren, ergeben sich noch mehr Angleichungen im elterlichen Interaktionsverhalten (Vgl. Schmidt-Denter 1984: 38f.; Vgl. Schütze 1982: 2()6f.). Bisher ist unklar, ob geschlechtsspezifische Unterschiede innerhalb eines bestimmten Verhaltensbereiches (z.B. taktil-robuster Interaktionsstil des Vaters, distal-sanfter bei der Mutter) über Sozialisationserfahrungen zustandekommen oder die Folge biologisch-genetischer Unterschiede sind (Vgl. Fthenakis 1988a: 283; Vgl. Schütze 1982: 206f.).
Zusammenfassend können wir feststellen, daß Väter bis auf das Stillen alle Betreuungs- und Versorgungsaufgaben wahrnehmen können. Zwischen dem Vater und seinem Kind können sich frühzeitig wechselseitige Beziehungen und damit auch wechselseitige Bindungen entwickeln. Natürlich setzt das die Fähigkeit und Bereitschaft voraus, sich auf das Kind einzulassen und die erforderlichen Pflegetätigkeiten zu erlernen. Hier sind die Väter im Vergleich zu den Müttern immer noch benachteiligt. Geschlechtsspezifische Sozialisation sorgt häufig dafür, daß sich Mädchen spielerisch und gedanklich mit solchen Pflege- und Betreuungstätigkeiten sowie allgemein mit der Mutterrolle auseinandersetzen. In den zur Zeit existierenden männlichen Rollen-modellen in Familie und Gesellschaft, an denen sich Jungen orientieren, sind Hausarbeit und Kinderbetreuung nur manchmal ein Rollensegment. Infolge der allmählichen Annäherung der weiblichen und der männlichen Rolle innerhalb der Familie (Vgl. Kapitel III.) ergeben sich für die Jungen von heute und erst recht von morgen aber zunehmend neue Rollenmodelle, die auch Hausarbeit und Kinderbetreuung beinhalten.
Auch wenn deutlich gemacht wurde, daß Mütter und Väter die gleichen Kompetenzen sowie enge wechselseitige Beziehungen zu Kindern entwickeln können, soll dies nicht bedeuten, daß sie keine unterschiedliche Bedeutung und damit Wirkung auf das Kind haben. In diesem Sinne können sich Vater und Mutter nicht ersetzen. Ein Zusammenleben des Kindes mit beiden Elternteilen ist in der Regel als ideal zu betrachten, besonders dann, wenn beide Elternteile ihre Elternrolle aktiv wahrnehmen (Vgl. Schütze 1989: 55).
"Die ... erfolgte Ausprägung einer bestimmten Beziehungsqualität zu beiden Eltern bietet -wie allgemein bekannt - heutzutage eine notwendige psychische Stütze beim Heranwachsen in unserer hochkomplexen, sehr differenzierten sowie spezialisierten - und damit überwiegend zweckrational orientierten Gesellschaft" (Nave-Herz 1995: 104).
Gerade weil die Eltern heute "derart allein die Hauptträger und ... hauptsächlichsten Bezugspersonen" für ihre Kleinkinder sind und auch sein wollen (Vgl. ebda.) ist es für das Kind wichtig, frühzeitig zum Vater eine Bindung zu entwickeln. Trotz grundsätzlich gleicher Kompetenzen und vieler Ähnlichkeiten im Interaktionsverhalten erfüllen Vater und Mutter "spezifische Funktionen und haben jeweils eine: besondere Bedeutung für die Entwicklung des Kindes" (Schmidt-Denier 1993: 339; Vgl. auch Hansen 1993:28).
Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob diese Unterschiede biologisch oder sozial bedingt sind. Entscheidend ist, daß diese Unterschiede existieren und die Entwicklung von Kindern beeinflussen. Allerdings scheint es hinsichtlich der Sozialisationswirkung von Müttern und Vätern wesentlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zu geben. Die besonders in den USA hierzu vorgenommene umfangreiche Forschung geht, kurz zusammengefaßt, von einem spezifischen Einfluß des Vaters auf die Entwicklung des Kindes hinsichtlich der kognitiven Entwicklung, der Internalisierung moralischer Normen, der Entwicklung einer Geschlechtsrollenidentität, der Entwicklung sozialer Kompetenz sowie eines Selbstwertgefühls aus (Vgl. Fthenakis 1988a: 289ff.; Vgl. Schmidt-Denter 1993: 339).
Hierzu ist jedoch zu bemerken, daß es eine Vielzahl von methodisch sehr unterschiedlich vorgehenden Untersuchungen mit zum Teil nicht übereinstimmenden Ergebnissen gibt. Oftmals werden daraus entstandene Erkenntnisse stark verallgemeinert. Beispielsweise habe die Sozialisation durch den Vater einen Einfluß auf die Entwicklung mathematischer Fähigkeiten, besonders bei Söhnen. Diese früheren Untersuchungen über die Folgen der "Vaterabwesenheit" werden heute bezüglich der Bewertung ihrer Ergebnisse "äußerst kritisch eingeschätzt" (Vgl. Stein-Hilbers 1994: 125; Vgl. auch Fthenakis 1988a: 334f.). Nicht selten sind schlechtere Entwicklungsbedingungen von Kindern nicht nur die Folge der "Vaterabwesenheit", sondern sie sind auch in der finanziellen und sozialen Schlechterstellung alleinerziehender Mütter begründet (Vgl. Stein-Hilbers 1994: 125). Deswegen erscheint es nicht sinnvoll, hier ausführlicher auf die Erkenntnisse der "Deprivationsforschung" einzugehen.
Vielmehr wollen wir uns auf die spezifischen Bedeutungen, die ein Vater im Sozialisationsprozess seiner Kinder haben kann, konzentrieren. Eine spezifische Funktion des Vaters liegt darin, daß das Kind die Möglichkeit bekommt, mit zwei verschiedenen Individuen zu interagieren, wobei hier zunächst weniger das unterschiedliche Geschlecht als vielmehr die unterschiedliche Persönlichkeit für das Kind von Bedeutung ist (Vgl. Stein-Hilbers 1994: 129). Ganz unabhängig vom Geschlecht der Eltern, kann das Kind mit zwei Personen unterschiedlichen Aussehens, Verhaltens und Charakters Erfahrungen sammeln. Die zweite Person, Mutter oder Vater, stellt für das Kind eine alternative und unterschiedlich reagierende Bindungsperson dar. So kann das Kind frühzeitig zwei dyadische Beziehungen zu den Elternteilen bzw. eine triadische gemeinsam mit beiden Eltern entwickeln. Wenn das Kind gerade die eine Person "haßt", kann es die andere liebhaben. Zwei Personen mit unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen können auch Einseitigkeiten in der Erziehung des Kindes vermeiden. Des weiteren wird die Möglichkeit der Entwicklung einer symbiotischen Beziehung zwischen dem Kind und einem Elternteil gemindert. Die "Macht" über das Kind liegt nicht bei einer Person allein (Vgl. Eil 1988: 438; Vgl. Parke 1982: 67; Vgl. Schon 1995: 32; Vgl. Schütze 1989: 58).
Der Vorteil des Vorhandenseins einer zweiten Bezugsperson wird auch am Beispiel verschiedener Familienkonstellationen deutlich. Gerade in der Einzelkindfamilie verhindert sie eine gewisse Einseitigkeit in der Wahrnehmung der sozialen Umwelt (Vgl. Hurrelmann 1994: 133). In der Mehrkindfamilie kann der Vater sich besonders dem älteren Kind widmen, wenn das jüngere Kind zunächst "in besonderer Weise die Aufmerksamkeit und Zuwendung der Mutter auf sich" zieht (Vgl. Schmidt-Denter 1993: 342; Vgl. auch Parke 1982: 27f.).
Erst durch die Mehrzahl der Bezugspersonen, Mutter, Vater und auch Geschwister, erfährt das Kind "die über eine Zweierbeziehung hinausgehende Realität eines sozialen Systems". Es kann sich innerhalb der Familie verorten und beginnen, "durch Differenzierung der Beziehungen zu den verschiedenen Bezugspersonen sich selbst als differenzierte Persönlichkeit zu entwickeln" (Kaufmann 1995: 50). Daneben werden die Interaktionspartner des Kindes zu "Vorbildern sozialen Lernens. Kinder erwerben ihre grundlegenden Werthaltungen durch Identifikation und Nachahmung der Personen, welche für sie von besonderer Bedeutung sind" (ebda.: 50f.). Wenn beide Elternteile Lernmodelle für das Kind darstellen, so verfügt dieses über Vergleichsmöglichkeiten und sich daraus ergebende Handlungsalternativen.
Die zweite Person muß dabei nicht unbedingt der zweite Elternteil sein. Sie muß auch nicht unbedingt ein anderes Geschlecht wie die erste Person haben. [FN 7] Es können auch andere Personen die Elternrolle als Ersatzvater oder Ersatzmutter wahrnehmen. Der "Mythos der Blutbeziehungen" (Vgl. Neidhardt 1977: 209) hat aus der Sicht des Kindes für dessen Entwicklung von Beziehungen zu seinen Eltern grundsätzlich keine Bedeutung. Für Vater und Mutter gilt, daß das Biologische allein keine Verbundenheit schafft. Beide haben nur Bedeutung für das Kind, wenn sie seine psychologischen Eltern geworden sind" (EU 1988: 440; Vgl. auch Stein-Hübers 1994: 106).
Aus der umgekehrten Sicht gilt wohl nicht dasselbe. Hier fördert das Bewußtsein der Eltern, daß das Kind das eigene biologische Kind ist, die Verpflichtung bzw. die Bereitschaft der Eltern das Kind zu versorgen, zu betreuen und enge emotionale Beziehungen zu entwickeln (Vgl. Neidhardt 1977: 208f.; Vgl. Stein-Hübers 1994: 106). Allerdings gelingt das nicht immer, wie die Fälle zeigen, in denen zwischen Elternteilen und Kindern keine wechselseitigen Beziehungen entstehen.
Wenn also biologische Väter und Mütter die besseren Chancen zur Entwicklung von wechselseitigen Eltern-Kind-Bindungen haben, so schließt das nicht aus, daß Kinder "Ersatzväter" oder "Ersatzmütter" annehmen können. Ell (1988: 439) zufolge können Kinder schnell einen Ersatzvater annehmen, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind:
"1. wenn der biologische Vater in der Familie die Vaterfunktion nur ungenügend oder gar nicht erfüllt hat und/oder
2. wenn das Kind zum biologischen Vater nur eine schwache innere Beziehung eingegangen ist, so daß dieser nicht der psychologische Vater des Kindes geworden ist, und/oder
3. wenn der Ersatzvater charakterologisch gut zum Kind ,passt', weil beide charakterverwandt sind, und/oder
4. wenn das Kind seine Mutter sehr liebt und darum bereit ist, den Mann, den die Mutter liebt, ebenfalls zu lieben".
Die bisherigen Ausführungen zur Bedeutung des Vaters als Sozialisationsagent seines Kindes unterschieden noch nicht zwischen den bewußten und geplanten Einflußmaßnahmen des Vaters auf das Kind, also der Erziehung, und den sonstigen Einflüssen des Vaters auf die Persönlichkeitsentwicklung.
Innerhalb der Erziehungswissenschaft wurde bisher die spezifische Bedeutung des Vaters als Erzieher seiner Kinder weitgehend vernachlässigt. "Eine pädagogische Theorie des Vaters gibt es nicht" (Lenzen 1989: 1552). Es existieren nur sehr wenige von Erziehungswissenschaftlern verfaßte Arbeiten ((labert 1949; Stock 1956; Langeveld 1963; Gamm 1965; Hargasser 1967; Uraun 1980; Bodamer 1982), die aber "keinen Beitrag über die Bedeutung lies Vaters im konkreten Erziehungsgeschehen" leisten (Vgl. Nave-Herz 1985: 50; Vgl. auch Lenzen 1989: 1552; Vgl. auch Scharmann/Scharmann 1979:293).
Lenzen glaubt, daß dieses Defizit in der Entstehungsgeschichte "der Pädagogik selbst und ihrem daraus resultierenden Selbstverständnis" begründet liegt. Demnach entstand die Pädagogik aufgrund des "Wissensbedarfes in einer historischen Phase des 18./19. Jahrhunderts, in welcher Erziehung und die Bildung zu einer öffentlichen Aufgabe gemacht wurden. In dieser Phase wurde die Praxis einer naturwüchsigen Erziehung im Vaterhause und durch den Vater von der Schule und von den Lehrern sowie von anderen Erziehungsinstitutionen okkupiert. Als staatlich benötigte und geförderte Wissenschaft trug die Pädagogik somit zur Zerstörung der naturwüchsigen Erziehungsverhältnisse in der Familie selbst bei. Eine Erwartung an die Pädagogik, sich mit der Bedeutung des Vaters im Erziehungsprozeß konstruktiv (und nicht nur kritisch-analytisch) zu befassen, würde mithin ihre Existenzgrundlage in Frage stellen ..." (Lenzen 1989: 1552).
Auf die Erkenntnisse der oben genannten Erziehungswissenschaftler hinsichtlich der Bedeutung des Vaters als Erzieher gehen wir nicht näher ein. Sie können es nicht ermöglichen, ein auch nur einigermaßen realistisches Bild der aktuellen konkreten Bedeutung des Vaters als Erzieher seiner Kinder wiederzugeben. Dies ist in diesem Zusammenhang aber nicht von Nachteil, da es in diesem Kapitel um die Frage geht, welche Bedeutung der Vater als Sozialisationsagent und als Erzieher seiner Kinder im Idealfall haben kann.
Wenn man sich mit der spezifischen Sozialisationsfunktion der Eltern auseinandersetzt, sollte besonders auf das intentionale, also das erzieherische Verhalten der Eltern eingegangen werden. Auch wenn im Laufe der Zeit zunehmend mehr Personen und Institutionen im Sozialisationsprozess des Kindes mitwirken, so bleibt doch die Zahl der Personen, die das Kind tatsächlich erziehen, in der Regel eher gering. Im Kleinkindalter bis zu drei Jahren scheinen die Eltern nahezu ein Monopol für die Erziehung des Kindes zu besitzen. Die Erziehung innerhalb von Kinderbetreuungseinrichtungen spielt bei dieser Altersgruppe im allgemeinen noch keine große Rolle.
Insbesondere im Kleinkindalter ist die Erziehung des Kindes Familienerziehung. Damit ist die Familie der "primäre Ort, an dem das kleine Kind soziale Fähigkeiten und Selbstregulierung lernt" (Tietze 1994: 593). Dies kann nur dann gelingen, wenn die Eltern ihr Kind auch tatsächlich erziehen. Sie müssen diese Aufgabe erkennen und wahrnehmen. Erziehung äußert sich dabei in Erwartungen und Forderungen der Eltern an das Verhalten des Kindes als auch durch die Beeinflussung der Rahmenbedingungen des Sozialisationsprozesses ihrer Kinder" (Kaufmann 1995: 49; Vgl. Tietze 1994: 593). Eltern können den kindlichen Alltag organisieren und lenken. Sie können, zumindestens im Kleinkindalter, Fremdeinflüsse, die auf das Kind wirken, filtern (Vgl. ebda.: 49).
Der Vater hat als Erzieher seiner Kinder grundsätzlich zwei spezifische Bedeutungen. Die erste liegt darin, daß er neben der Mutter eine weitere Person ist, welche nicht nur "da" ist, sondern erzieherisch auf "das Kind einwirkt. Die allgemeinen Vorteile des Vorhandenseins mehrerer Bezugspersonen für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes wurden schon genannt. Die Eltern von heute sind "wie nie zuvor in der Geschichte mit extrem hohen Erziehungsanforderungen konfrontiert" (Süßmuth/Pettinger 1985: 390). Weil eine familienergänzende Erziehung für Kinder bis zu drei Jahren oft fehlt bzw. von den Eltern nicht gewünscht wird, ist es im Interesse des Kindes als auch der Eltern sinnvoll, daß sich Mutter und Vater frühzeitig diese anspruchsvolle Aufgabe teilen. Die geringe Beteiligung mancher Väter an der Erziehung ihrer Kinder kann "als gravierender Nachteil und familienfeindliches Phänomen" (ebda.) bewertet werden.
In der Erziehung können sich Mutter und Vater wechselseitig so ergänzen, daß "Einseitigkeiten, auch die Marotten und pädagogischen Eigensinnigkeiten zu einem günstigen Ausgleich" (Eil 1988: 438) gelangen können. Mutter und Vater können sich in der Erziehungstätigkeit abwechseln und damit entlasten. Sie können zusammen ihr jeweiliges Erziehungsverhalten reflektieren und aufeinander abstimmen. Dadurch, daß beide Eltern erziehen, wird die Erziehung nicht "einseitig".
Sicher muß die "zweite" Person, die das Kind erzieht, nicht zwingend der Vater sein. Aber er ist dafür eindeutig Favorit. Mit der Geburt seines Kindes ist er dessen Vater geworden und hat damit gemeinsam mit der Mutter die Verantwortung für die Erziehung des Kindes. Diese Verantwortung kann ihm niemand nehmen.
Die zweite wesentliche spezifische Bedeutung des Vaters als Sozialisationsagent und Erzieher seiner Kinder liegt in seinem Geschlecht begründet. In den meisten Fällen ist er der einzige Mann innerhalb der Familie. Er wird somit für die Kinder, insbesondere für die Jungen, ein wichtiges Modell zur Entwicklung ihrer Geschlechtsrollenidentität. Dazu wird geäußert, daß bisher noch jeder Junge ein Mann geworden sei bzw. das dies auch von anderen Männern innerhalb des sozialen Erfahrungsraumes der Kindern "geleistet" werden könne (Vgl. Stein-Hübers 1994: 128). Sicher wird jeder Junge ein Mann und jedes Mädchen eine Frau, unabhängig davon, ob sie mit ihrem Vater oder ihrer Mutter zusammenleben. Allerdings stellt sich die Frage, ob im sozialen Umfeld von Kindern, und insbesondere von Kleinkindern, neben dem Vater tatsächlich bedeutsame männliche Bezugspersonen existieren. In Kinderbetreuungseinrichtungen sind Männer als Erzieher die Ausnahme. In der Grundschule sind wesentlich mehr Lehrerinnen als Lehrer tätig. Dabei bleibt es zweifelhaft, ob ein Lehrer innerhalb des schulischen Kontextes ein vielerlei Rollensegmente umfassendes Modell von Männlichkeit für die Schüler darstellen kann. Wenn überhaupt, existiert neben dem Vater vielleicht noch der Großvater, ein anderer Verwandter oder beispielsweise ein Trainer im Sportverein als reale erfahrbare männliche Bezugsperson.
Unabhängig davon, ob ein Junge überhaupt die Chance hat, sich an einem männlichen Rollenmodell in seinem sozialen Umfeld orientieren zu können, sieht auf jeden Fall fest, daß ab einem gewissen Zeitpunkt von ihm als "kleinem Mann" ein "männliches" bzw. "jungenhaftes" Verhalten erwartet wird. Jungen ohne lebendiges männliches Modell geraten in das Dilemma, sich nahezu ausschließlich an alternativen, zum Beispiel über Medien verfügbaren, Bildern von Männlichkeit orientieren zu müssen. Wenn sie dabei nicht die Chance haben, diese konstruierten Männlichkeitsbilder mit einem realen Männerverhalten innerhalb ihres sozialen Umfelds vergleichen zu können, ergibt sich die Gefahr, daß diese Jungen, insbesondere unter dem Einfluß ihrer männlichen Peergroup, sich einseitig an solchen öffentlichen Männlichkeitsbildern orientieren. Betont "männliches", "machohaftes" Verhalten vor, während und über die Pubertät hinaus, kann eine normale, zeitlich begrenzte Phase innerhalb der Identitätsentwicklung zum Erwachsenen sein. Die Chancen, eine "sozialverträgliche" [FN 8] männliche Identität zu entwickeln, wachsen für diejenigen Jungen, die Vergleichsmöglichkeiten und damit Verhaltensalternativen zwischen verschiedenen Modellen von realer und öffentlicher Männlichkeit haben. Dies bedingt allerdings zusätzlich, daß die realen Modelle von Männlichkeit, also das tatsächlich wahrnehmbare Verhalten von Vätern, Großvätern und anderen Bezugspersonen, selbst auch "sozialverträglich" sind. Des weiteren setzt dies voraus, daß die Sozialisationsagenten und Sozialisationsagentinnen, insbesondere die Erzieher und Erzieherinnen der Jungen und Mädchen, sich an solchen Modellen orientieren. Wie die folgenden Zahlen zeigen, ist dies offensichtlich nicht immer der Fall.
Jungen weisen wesentlich häufiger körperliche und seelische Störungen auf als Mädchen. Ihre Selbstmordquote ist dreimal so hoch, in psychiatrischen Einrichtungen sind sie doppelt so oft wie Mädchen vertreten. Sie sind überrepräsentiert in Sonderschulen, bei Klassenwiederholern und bei der Vorstellung in Erziehungsberatungsstellen. Auf 60 männliche minderjährige Diebe kommt ein weiblicher (Vgl. Metz-Gockel 1993: 94). Dieser Trend setzt sich bei den Erwachsenen fort. 95% der Gefängnisinsassen sind Männer, sie stellen die überwiegende Mehrheit bei sexuellen sowie anderen Gewaltdelikten. Die rechtsextreme Gewaltszene besteht ausschließlich aus Männern (Vgl. Neuffer 1994: 7). Neben dieser Minderheit von Männern, die mit ihren Mitmenschen gewalttätig umgehen, gibt es wesentlich mehr Männer, die mit sich selbst gedankenlos bzw. schädigend umgehen. Dies äußert sich in der früheren Mortalität der Männer (Vgl. Metz-Gockel 1993: 97). So gelten die Männer "in gesundheitspolitischer Optik als das schwache Geschlecht" (Hollstein 1994: 59).
Aus den Ausführungen ergibt sich zweierlei: Kinder, insbesondere Jungen, brauchen ihre Väter für eine positive Persönlichkeitsentwicklung, vor allem hinsichtlich ihrer Geschlechtsrollenidentität. Allerdings garantiert die Anwesenheit eines Vaters oder einer anderen männlichen Bezugsperson allein noch nicht die Entwicklung einer sozialverträglichen männlichen Identität. Vielmehr hat das Verhalten dieser Bezugspersonen sowie deren Erwartungen hinsichtlich des "richtigen" "jungenhaften" oder "männlichen" Verhaltens des Educanden entscheidende Bedeutung.
Im Hinblick auf die nähere Zukunft erwarte ich eine deutliche Veränderung kindlicher Sozialisationsbedingungen, soweit es die Rolle des Vaters innerhalb der Familie betrifft. [FN 9] Dies wird sich zweifellos auch positiv auf außerfamiliale gesellschaftliche Bereiche auswirken. Die Einstellungen der Mehrheit der Mütter und Väter hinsichtlich der Geschlechtsrollen haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich, hin zu egalitären Mustern, gewandelt. Dieser Veränderung auf der Einstellungsebene folgt eine weitere, durch die gesellschaftliche Struktur der Arbeitsteilung allerdings behinderte, auf der Verhaltensebene. Wie die empirischen Daten später zeigen werden, erleben immer mehr Kinder ihre Väter nicht nur als Ernährer, sondern auch als Erzieher und Betreuungsperson, als Spielkamerad und Gesprächspartner. Ein etwas geringerer Anteil der Kinder lernt seine Väter innerhalb der Familie mich als Mitarbeiter im Haushalt kennen. Das Verhalten dieser aktiven Väter wird mit dazu beitragen, daß es für ihre Kinder als die zukünftigen Eltern völlig normal sein wird, wenn Mutter und Vater sich an der Betreuung und Erziehung der Kinder beteiligen.
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[FN 4] Hinsichtlich der Begriffe Sozialisation und Erziehung orientieren wir uns an den Definitionen von Hurrelmann (1986: 14) "Im heute allgemein vorherrschenden Verständnis wird mit Sozialisation der Prozeß der Entstehung und Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit in Abhängigkeit von und in Auseinandersetzung mit den sozialen und dinglich-materiellen Lebensbedingungen verstanden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der historischen Entwicklung einer Gesellschaft existieren. Sozialisation bezeichnet den Prozeß, in dessen Verlauf sich der mit einer biologischen Ausstattung versehene menschliche Organismus zu einer sozial handlungsfähigen Persönlichkeit bildet, die sich über den Lebenslaufhinweg in Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt".
"Vom Begriff der Sozialisation wird in der heute vorherrschenden Verwendung der Begriff Erziehung deutlich abgesetzt. Erziehung ist ein begriffslogisch dem Begriff Sozialisation untergeordneter Begriff, der die Handlungen und Maßnahmen bezeichnet, durch die Menschen versuchen, auf die Persönlichkeitsentwicklung anderer Menschen Einfluß zu nehmen, um sie nach bestimmten Wertmaßstäben zu fördern, Eziehung bezeichnet nur einen Teil derjenigen gesellschaftlich vermittelten Einflüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung, die unter den Begriff Sozialisation fallen, nämlich die bewußten und geplanten Einflußmaßnahmen".
[FN 5] Vgl. beispielsweise das Literaturverzeichnis von Fthenakis (1988a,b)
[FN 6] Zum Begriff der Bindung: "Für die Erklärung des Zustandekommens einer engen, emotionalen und individuellen Beziehung des Kindes zu Erwachsenen ist ein Prozeß der ,Bindung' vorgeschlagen worden. Mit diesem, aus der Ethologie abgeleiteten Konzept ist impliziert, daß bestimmte angeborene Verhaltensweisen des Kindes dazu führen, daß es von einer erwachsenen Person mit Nahrung, Pflege und Stimulation versorgt wird, und daß das Kind nach Erreichen einer kognitiven Entwicklungsstufe, in der das Kind diese Person von anderen zu unterscheiden gelernt hat, ein Gefühl der Sicherheit in Gegenwart dieser erwachsenen Person entwickelt ..." (Fthenakis 1988a: 283).
[FN 7] Allerdings ist trotzdem davon auszugehen, daß es für die Entwicklung der Geschlechtsrollenidentität des Kindes grundsätzlich von Vorteil ist, innerhalb der Familie das eigene und das andere erwachsene Geschlecht erleben zu können.
des Kindes. Im folgenden beschäftigen wir uns mit der Bedeutung des Vaters als Erzieher seiner Kinder.
[FN 8] Unter "sozial verträglich er Identität" verstehe ich ein Selbstbild von der eigenen Männlichkeit, das in der praktischen Umsetzung, also im Leben dieses Bildes und damit im alltäglichen Handeln weder für den Handelnden selbst noch für seine Umwelt negative Folgen hat.
[FN 9] Diese Folgerung ist aus den im III. Kapitel aufgeführten Erkenntnissen zu ziehen.
Der 15. Senat des OLG Celle befindet vatersein.de
in den Verfahren 15 UF 234/06 und 15 UF 235/06
als "professionell anmutend".
Meinen aufrichtigen Dank!