KG Berlin: Gemeinsame Sorge nichtehelicher Eltern

KG Berlin: Gemeinsame Sorge nichtehelicher Eltern

Auf die Beschwerde des Vaters wird der Beschluss des Amtsgerichts Pankow-Weißensee (Familiengericht) vom 16. April 2010 – 24 F 880/10- bei Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde teilweise abgeändert und neu gefasst:

Die elterliche Sorge für den am 12. Oktober 2007 geborenen L… A… B… – mit Ausnahme des Aufenthaltsbestimmungsrechts, das der Mutter allein verbleibt – wird den Eltern gemeinsam übertragen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 3.000 EUR.

Gründe

Die Beteiligten sind die nicht miteinander verheirateten Eltern des am 12. Oktober 2007 in Braunschweig geborenen L… A… B… . Der Vater hat die Vaterschaft anerkannt. Die Mutter verweigert die Abgabe einer gemeinsamen Sorgeerklärung.

Zum Zeitpunkt der Geburt L… arbeiteten beide Parteien in den Niederlanden, …, S… . Sie lebten in getrennten, aber in unmittelbar benachbarten Häusern belegenen Wohnungen. L… wurde von einer Tagesmutter, aber auch von beiden Eltern –an jeweils einem Tag der Woche von je einem Elternteil allein – betreut, er war es gewohnt, auch ohne den anderen Elternteil zu übernachten. Die Kosten für die Versorgung und Betreuung des Kindes haben die Eltern damals hälftig abgerechnet. Eine Heirat der Eltern scheiterte daran, dass die Mutter nicht bereit war, einen Ehevertrag mit der vorgesehenen Gütertrennung zu unterzeichnen. Der Vater hielt die Vereinbarung einer Gütertrennung wegen des Vermögens seiner Eltern für unabdingbar.

Im März 2009, nach Beendigung ihres befristeten Arbeitsvertrags, zog die Mutter mit L… nach B. Der Vater hatte diesem Umzug zugestimmt, nachdem die Mutter ihm zugesagt hatte, dass er L… sehen und auch betreuen könne, sooft es ihm möglich sei, nach B… zu kommen. Die Eltern gingen damals davon aus, den Kindesunterhalt einvernehmlich regeln zu können.

Wann die Paarbeziehung der Eltern endete ist streitig, nach der Behauptung des Vaters erst im März 2009, nach dem Vorbringen der Mutter bereits vor der Geburt L… im 7. Schwangerschaftsmonat auf Veranlassung des Vaters.

Nach dem Umzug der Mutter kam es zu Streitigkeiten hinsichtlich des Kindesunterhalts und des Umgangsrechts. Das Umgangsrechtsverfahren Amtsgericht… -… – endete nach sehr langer Erörterung mit dem Vergleich der Eltern vom 11. März 2010.

Der Vater möchte an der elterlichen Sorge für L… teilhaben, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L… allein ausüben.

Das Familiengericht hat die Anträge des Vaters mit Beschluss vom 16. April 2010 zurückgewiesen.

Gegen diesen am 29. April 2010 zugestellten Beschluss wendet sich der Vater mit seiner am 25. Mai 2010 bei dem Familiengericht eingegangenen Beschwerde, die er mit Schriftsatz vom 29. Juni 2010, eingegangen an demselben Tag, begründet hat.

Der Vater trägt vor:

Die gemeinsame elterliche Sorge entspreche dem Kindeswohl. Auf Grund seiner Persönlichkeit, Bildung und seinem persönlichen Engagement sei er in besonderem Maße in der Lage, die Entwicklung L… mitzugestalten und zu fördern. Unter seinem Einfluss habe sich L… hervorragend entwickelt, das Kind zeige überdurchschnittliche Begabungen. Zu einer weiteren bestmöglichen Förderung gehöre, dass er hinsichtlich wichtiger Belange ein Mitbestimmungsrecht erhalte und künftig die Entwicklung über die Umgangskontakte hinaus als gleichberechtigter Elternteil mitprägen könne. L—– solle ihn nicht als den schwächeren Elternteil erleben. Auch L… habe ein Recht darauf, dass der Vater an prägenden Weichenstellungen in seinem Leben mitwirke.

So dürfe er sich nicht einmal von dem behandelnden Arzt über den Gesundheitszustand des Kindes informieren lassen. Die von der Mutter angebotenen Vollmachtserteilungen (Kita/Schule, Ärzte) seien wegen ihrer jederzeitigen Widerrufbarkeit keine Alternative. Er sei bemüht, den Ruf einer B… bzw. B… nahen Universität zu erlangen, falls das nicht alsbald möglich sein sollte, würde er auch ein „Sabbatjahr“ nehmen.

Er habe Sorge, dass- wenn die Mutter alleinentscheidungsbefugt bliebe- sie den Wohnsitz erneut wechseln und damit seine Bemühungen, L… im Alltag nahe zu sein, unterlaufen könnte oder dass in Zukunft ein neuer Partner der Mutter die Vaterrolle würde einnehmen wollen (50).

Die Mutter habe auch in der Vergangenheit nicht im Interesse L… gehandelt. Sie habe den Wohnort aus den Niederlanden verlegt, dem Kind damit die Tagesmutter und das sonstige Umfeld entzogen und dann in B zweimal die Kindertagesstätte gewechselt. Der Umzug nach B… sei erfolgt, um eine möglichst große Distanz zwischen Vater und Sohn zu schaffen (198). Die Eltern der Mutter lebten nicht in B…, sondern in S… . Eine Mediation habe sie ebenfalls verweigert. Sie übe das Sorgerecht nicht gewissenhaft aus, wenn sie die Umgangszeiten gegen den Willen des erziehungswilligen Vaters schmälere.

Seit der Umgangsvereinbarung vom 11. März 2010 gestalte sich die Kommunikation der Eltern positiv, sie hätten übereinstimmende Erziehungsansätze –Probleme gebe es nur auf der Paarebene- und der Austausch erfolge sachlich. Beleidigungen fänden nicht statt. Die von der Mutter im Termin vom 11. Oktober 2010 vorgelegten e-mails vom 5. August 2010 seien untypisch und einer besonderen Problemlage geschuldet, wie sich aus den vorgelegten e-mails aus dem Zeitraum 12. März bis zum 15. Oktober 2010 ergebe. Die vorangegangenen Konflikte seien von der Mutter ausgelöst worden, die den Umgang eigenmächtig auf ein Minimum reduziert und das Unterhaltsverfahren angestrengt habe, obwohl sich seine Anwälte um eine außergerichtliche Klärung bemüht hätten.

Der Vater erkenne die Leistungen der Mutter in jeder Hinsicht an und er respektiere sie. Auf Wunsch des kranken Kindes habe er am 10. Oktober 2010 auch zugestimmt, dass L… mit seiner Mutter mitgehe, statt bis zum Ende der vereinbarten väterlichen Betreuungszeit bei ihm zu bleiben. Die Diskussion um einen Ersatztermin habe nicht mehr als eine Minute in Anspruch genommen. Damit habe der Vater Konsensfähigkeit bewiesen. Auch habe er auf ein Angebot der Mutter vom 13. Oktober 2010 flexibel reagiert (e-mail v. 13.10.10)

Die fortdauernde Weigerung der Mutter beruhe lediglich auf ihrer Angst, den – durchaus diskussionsfreudigen – Vater künftig in Entscheidungen einbinden zu müssen. Sie wolle mit dem Vater nichts mehr zu tun haben.

Hilfsweise wolle er das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht ausüben. Allerdings solle L… seinen Lebensmittelpunkt weiter bei der Mutter haben. Mit diesem Antrag möchte er nur sicherstellen, dass die Mutter den Aufenthaltsort des Kindes nicht erneut eigenmächtig und gegen die Belange des Kindes verändern kann und – als ein Instrument der Machtausübung gegen den Vater (80, 127) – ihm dadurch im Ergebnis nur noch den Mindestumgang ermöglichen würde. Schließlich habe er in B… bei B eine Wohnung gemietet, so dass er L… in den vereinbarten Umgangszeiten, also dort neun Tage im Monat, allein betreuen könne. Bei dieser langen Betreuungszeit müsse er auch mit einem Mindestmaß eigener Befugnisse ausgestattet sein. In diesen neun Tagen vermisse L… seine Mutter nicht, er habe im Gegenteil Schwierigkeiten, sich am Ende der Umgangszeit vom Vater zu trennen.

Er sei weder beharrend noch rechthaberisch und wolle sich auch nicht seiner Unterhaltsverpflichtung entziehen, aber er habe sehr hohe Umgangskosten von 800 EUR monatlich.

Der Vater beantragt,

den Beschluss des Amtsgerichts Pankow-Weißensee vom 16. April 2010 abzuändern und

ihm die elterliche Sorge für den am 12. Oktober 2007 geborenen L… A… B… zum Zwecke der gemeinsamen Ausübung mit der Mutter zu übertragen,

hilfsweise

die Zustimmung der Mutter zur Übertragung des Sorgerechts zwecks Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge gerichtlich zu ersetzen,

und weiter hilfsweise,

ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den am 12. Oktober 2007 geborenen L… A… B… allein zu übertragen.

Vorsorglich beantragt er die Zulassung der Rechtsbeschwerde (SS 8.11.10)

Die Mutter bittet um Zurückweisung der Beschwerde

Sie trägt vor:

Die gemeinsame elterliche Sorge entspreche nicht dem Kindeswohl.

Die Lebenskonzepte der Eltern drifteten weit auseinander, es gebe in keiner einzigen Erziehungsposition Übereinstimmung. Der Vater stelle alles in Frage und zur Diskussion, was die Mutter für L… entscheide. Jede ihrer Entscheidung würde kritisiert und Rechtfertigung verlangt (Kitawechsel, Verordnungen des Kinderarztes, Wahl der Kita, Fähigkeiten der Kita, L… angemessen zu fördern). Der Vater unternehme regelmäßig lange und zermürbende Einwirkungsversuche, mit denen er sie zu seiner Ansicht umstimmen wolle. Sein Verhalten sei bereits jetzt – ohne, dass ihm ein entsprechendes „Recht hierzu“ zustehe – übergriffig und sie fürchte erhebliche Weiterungen, wenn ihm ein Mitsorgerecht zugebilligt würde. Dabei sei der Vater entscheidungsschwach. Er habe sich bis zum Termin am 11. Oktober 2010 nicht entscheiden können, wann und wo er –gemäß Ziffer 4 des Vergleichs im Umgangsverfahren vom 11. März 2010 – mit L… im Jahr 2010 den ihm zustehenden 2-wöchigen Urlaub verbringen wollte.

Es sei schwierig, mit dem Vater ein Gespräch zu führen, weil er regelmäßig so lange weiterspreche, bis er sein Ziel erreicht habe. 80 % der Gesprächszeit entfielen auf ihn. Deshalb gehe sie Gesprächen mit ihm aus dem Weg. Er sei nicht bereit, die Positionen anderer zu berücksichtigen, nicht einmal die seiner Eltern. Alle Menschen, die nicht auf seinem Niveau denken, halte er für asozial. Er vermöge auch nicht, sein egoistisches persönliches Recht vom Kindeswohl zu trennen und im Interesse des Kindes zu handeln. Die erstinstanzliche Familienrichterin, die das stundenlang dauernde Umgangsverfahren geführt habe, könne das Konfliktpotential zwischen den Eltern ermessen. Der Vater sei zu keinem Kompromiss bereit. Er sei insgesamt wenig emphatisch und stelle den Intellekt des Kindes – er wähne L… erklärtermaßen auf der Entwicklungsstufe eines 5-jährigen – absolut in den Vordergrund. Er überfordere L…, indem er maßlos viele und altersunangemessene Aktivitäten anbiete, die das Kind erschöpften.

Ferner habe der Vater die Absicht gehabt, mit L… in die USA und nach Madagaskar reisen, bzw. ihn im Sommer 2010 auf eine Dienstreise nach Paris mitzunehmen. Diese Reisen seien nicht kindgerecht. L…, ein eher ängstliches Kind, sei dafür viel zu klein. Ein gemeinsames Sorgerecht hätte nur zur Folge, dass sie als engste und vertrauteste Bezugsperson in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt und drangsaliert würde. Dies entspreche nicht dem Kindeswohl, sondern nur dem Machtanspruch des Vaters. Dass es dem Vater überhaupt nicht um das Kindeswohl gehe, folge auch daraus, dass er – obwohl gut verdienend und vermögend – freiwillig lediglich 225 EUR Mindestunterhalt monatlich zahle.

Der Umzug nach B nach dem Auslaufen ihrer befristeten Stelle sei mit dem Vater abgesprochen gewesen, er habe zugestimmt und dem Vorstellungsgespräch der Mutter für ihre neue Stelle in B im M…D…-Centrum sogar beigewohnt. Der Umzug sei nicht erfolgt, um das Umgangsrecht des Vaters zu beeinträchtigen. In B lebe ihre Herkunftsfamilie, auf deren Hilfe sie bei der Kinderbetreuung bei unvorhergesehenen Vorfällen zurückgreifen könne.

Sein Beitrag in dem Magazin B… 13/2008, in dem er eigenmächtig auch ein Foto L… habe veröffentlichen lassen, und seine Äußerungen in der Abendschau im R… vom 3. August 2010 verdeutlichten, dass er das – nicht seiner Disposition unterstehende – Persönlichkeitsrecht L… zugunsten seiner eigenen Meinungsäußerungsfreiheit missachte. Schon als Baby habe er L… im Rahmen seiner „Vater-Betreuungstage“ zu Streitgesprächen mit Kollegen mitgenommen. Dies entspreche nicht dem Wohl des Kindes.

Für den Fall der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zur gemeinsamen Ausübung befürchte sie, dass der Vater seine Umgangszeiten nicht in B ausüben, sondern L… zu seinen anderen Wohnsitzen (D… H…, R…, M… /H… ) mitnehmen würde, so dass ein regelmäßiger Kita-Besuch und fristgerechte Rückgaben nicht gewährleistet wären.

Sie sei willens und bereit, sich vor der Entscheidung von Fragen, die Einfluss auf die Zukunft L… haben (etwa Schulwahl, Operationen) mit dem Vater auseinanderzusetzen und dessen Ansichten und Vorschläge in die Entscheidung mit einzubeziehen. Sie sei ferner bereit, ihm Vollmachten zu erteilen, um ihm ein eigenes Informationsrecht in der Kita/Schule oder Gesundheitsfragen betreffend einzuräumen.

Das Jugendamt hat in seinem Bericht vom 5. Oktober 2010 eine gemeinsame elterliche Sorge wegen der Kommunikationsschwierigkeiten nicht empfohlen.

Der Senat hat im Termin vom 11.Oktober 2010 die Eltern persönlich angehört. Der Versuch, den knapp 3-jährigen L…, ein zartes, leises Kind, anzuhören, scheiterte am Alter des Kindes, das das Anhörungszimmer zwar auf Weisung betreten hat, darin jedoch an der Tür stehen blieb, weinte und jede Kommunikation mit dem Senat verweigert hat.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 – 1 BvR 420/09– verletzt es das Elternrecht des Vaters (Art. 6 Abs. 2 GG) eines nichtehelichen Kindes, dass er ohne Zustimmung der Mutter generell von der Sorgetragung für sein Kind ausgeschlossen ist und nicht gerichtlich überprüfen lassen kann, ob es aus Gründen des Kindeswohl angezeigt ist, ihm zusammen mit der Mutter die Sorge für sein Kind einzuräumen oder ihm an Stelle der Mutter die Alleinsorge für das Kind zu übertragen. Bis zur gesetzlichen Neuregelung der verfassungswidrigen Vorschriften ist auf Grund der vorläufigen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts (aaO, zu § 1626 a Abs. 1 Nr 1 BGB: Tz 75) auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder ein Teil der elterlichen Sorge auf die Eltern gemeinsam zu übertragen, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht.

Soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt (BVerfG aaO, Tz 76 zu §1672 Abs. 1 BGB) überträgt das Familiengericht dem Vater auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder Teile der elterlichen Sorge allein, wenn zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

Der vorgegebene Prüfungsmaßstab zur gemeinsamen elterlichen Sorge („dem Wohl des Kindes entspricht“) soll sicherstellen, dass die Belange des Kindes maßgeblich Berücksichtigung finden, jedoch die Zugangsvoraussetzungen zur gemeinsamen Sorge nicht zu hoch angesetzt werden.

Der Vater und L… haben seit der Geburt des Kindes eine vertrauensvolle Beziehung. Am Willen (und der Fähigkeit) des Vaters, das Kind zu behüten und zu beschützen und es bestmöglich zu fördern, bestehen keine Zweifel. Der Vater zeigt ein erhebliches Interesse an L… . Er nimmt berufliche und zeitliche Einschränkungen sowie erhebliche Wegzeiten in Kauf, um das Umgangsrecht in dem vergleichsweise vereinbarten Umfang auszuüben.

Beide Eltern verhalten sich dem Kind gegenüber loyal, sie würdigen einander nicht herab und lassen es zu, dass L… auch den anderen Elternteil liebt und dass er das zeigen und aussprechen darf.

Es entspricht dem Kindeswohl, seine Eltern in wichtigen Entscheidungen für sein Leben als gleichberechtigt zu erleben. Diese Erfahrung ist auf Grund der Vorbildfunktion der Eltern wichtig und für das Kind und für seine Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit prägend. Auch werden in Diskussionen regelmäßig mehr Argumente erwogen als bei Alleinentscheidungen.

Der Wunsch der Mutter, berechtigt zu bleiben, Entscheidungen für L… auch künftig allein zu treffen, überwiegt das vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 21. Juli 2010 gestärkte Elternrecht des Vaters eines nichtehelich geborenen Kindes grundsätzlich nicht. Der Senat hält nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls dafür, dass die überwiegende gemeinsame elterliche Sorge dem Wohl des Kindes L… entspricht.

Von beiden Eltern ist zum Wohl L… eine Konsensbereitschaft zu verlangen. Dies ist in dem hierfür erforderlichen Umfang – dazu unten- der Mutter auch zumutbar.

Die gemeinsame elterliche Sorge darf allerdings nicht missbraucht werden, alltägliche Anordnungen zu hinterfragen oder über das Kind wieder Zugang zum Leben des anderen Elternteils zu suchen. Auch muss eine Lösung in einer dem Problem angemessenen Zeit herbeigeführt werden können. In diesem Punkt besteht vorliegend eine Problematik, weil nämlich der Vater regelmäßig lange braucht, sich zu entscheiden (Urlaub im Jahr 2010 -hierzu konnte der Vater sich auch im Termin vom 11. Oktober 2010 nicht entscheiden), er das Für und Wider zeitraubend abwägt (wie sich auch aus der Dauer des Anhörungstermins vor dem Familiengericht am 11. März 2010 ergibt), weil er beharrend auftritt und weil auch die von ihm angeführten Begründungen nicht immer richtig sind, er aber an seiner Meinung gleichwohl festhält. So ließ er die Eheschließung mit der Mutter erklärtermaßen daran scheitern, dass die Mutter einer Gütertrennung nicht zustimmen wollte, die er wegen des Vermögens seiner Eltern für sinnvoll hielt. Auch im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft wäre im Falle einer Ehescheidung ein von Todes wegen erworbenes Vermögen gemäß § 1374 Abs. 2 BGB jedoch nicht in einen auszugleichenden Zugewinn gefallen.

Die Besorgnis der Mutter, dass der Vater versuchen könnte, die Mitsorge dafür zu missbrauchen, für jede ihrer Entscheidungen eine Rechtfertigung zu verlangen und ihr durch unverhältnismäßig lange und immer wieder aufs neue geführte Diskussionen das Leben zu erschweren und so lange auf sie einzureden, bis sie „zermürbt aufgibt“ und seiner Auffassung folgt, ist auch nach dem Eindruck, den der Senat im Termin vom 11. Oktober 2010 von dem Vater gewinnen konnte, nicht unberechtigt. Einem solchen Vorgehen steht die Mutter, eine promovierte Akademikerin und ebenfalls eloquent, jedoch nicht wehrlos gegenüber. Abgesehen davon, dass sich die Streitpunkte der Eltern nach den überreichten e-mails zu über 75 % auf die Ausübung des – inzwischen geregelten – Umgangsrechts beziehen (dieses erfährt durch die hiesige Sorgerechtsentscheidung keine Änderung) ist die Mutter auch bei gemeinsamer elterlicher Sorge nicht gezwungen, sich in unverhältnismäßig lange Diskussionen einbinden zu lassen. Es ist auch nicht erforderlich, dass die Probleme gesprächsweise diskutiert werden, Argumente können auch per e-mail ausgetauscht werden, die Eltern haben hier inzwischen offenbar eine für beide Seiten akzeptable Form der Kommunikation gefunden.

Davon abgesehen ist darauf hinzuweisen, dass die Mutter gemäß § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens ohnehin alleinentscheidungsbefugt bleibt. Einvernehmen müssen die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge nur in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung herbeiführen. Das sind solche Angelegenheiten, deren Entscheidung nur schwer oder gar nicht abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes hat. Hierunter fallen etwa: Wahl der Kindertagesstätte und Schule, Schulwechsel, Wechsel in ein Heim/Internat, Religionsausübung, Berufswahl, medizinische Eingriffe, soweit sie mit der Gefahr erheblicher Komplikationen und Nebenwirkungen verbunden sind (nicht: die Behandlung kleinerer Erkrankungen beim Kinderarzt), Vermögenssorge für das Kind (Entscheidungen über die Anlage/Verwendung des Vermögens des Kindes, Annahme oder Ausschlagung von Erbschaften) und etwa auch Handlungen, die das Persönlichkeitsrecht des Kindes berühren (Veröffentlichung von Fotos des Kindes in Zeitschriften/Magazinen oder anderen Medien –„facebook“-, Mitnahme des Kindes auf Demonstrationen).

Hinzu kommt, dass in nächster Zeit ohnehin keine Entscheidungen von erheblicher Bedeutung anfallen. Das Umgangsrecht des Vaters und der Kita-Besuch sind geregelt. Die Einschulung steht erst in 2 ½ Jahren bevor. L… ist mit jetzt 3 Jahren und 4 Monaten auch nicht mehr so klein, dass die Unternehmungen des Vaters in B ihn überfordern würden.

Da die Mutter ohnehin erklärt hat, den Vater in weichenstellende Entscheidungen über die Zukunft L… einbinden zu wollen, war dies in rechtlich verbindlicher Form zu regeln.

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L… hingegen war der Mutter allein zu belassen. Es entspricht auch dem Wunsch des Vaters, dass L… den Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse weiter im Haushalt der Mutter haben soll und dass das Kind ihn gemäß der Umgangsvereinbarung besucht. Dies war ebenfalls entsprechend in rechtlich verbindlicher Form zu regeln. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht war demjenigen zu übertragen, bei dem sich das Kind überwiegend aufhält. Der Vater kann grundsätzlich nicht bestimmen, wo die Mutter wohnt. Hierzu würde ihn im übrigen auch ein uneingeschränktes gemeinsames Sorgerecht nicht berechtigen. Die Alleinübertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter trägt dem Rechnung, dass sie von Geburt an die engste Bezugsperson L… ist und dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse des Kindes in ihrem Haushalt nicht in Frage steht. Wenn der Gesetzgeber einerseits von Müttern ab dem 3. Lebensjahr des Kindes grundsätzlich eine volle Berufstätigkeit erwartet, darf dies andererseits nicht durch einschränkende Sorgerechtsregeln konterkariert werden. Soweit die Mutter aus beruflichen Gründen – etwa zur Steigerung ihrer wissenschaftlichen Reputation – ihren Wohnsitz von B weg verlegen muss, ist das grundsätzlich hinzunehmen. Eine Hemmung ihres beruflichen Fortkommens mit dementsprechenden Frustrationen über die eigene Lebensentwicklung würde im übrigen auch nicht dem Wohl L… dienen.

Die Besorgnis des Vaters, die Mutter könne mit L… B verlassen und damit – nach Vollzug seiner beruflichen Veränderung in den B… Raum – das vereinbarte Umgangsrecht beliebig umgehen, teilt der Senat nicht. Die Mutter hat derartige Handlungsmotivationen verneint und ihr bisheriges Verhalten -ihr Umzug von … nach B war zwischen den Parteien abgesprochen und der Vater hatte dem zugestimmt; seit März 2010 gewährt sie dem Vater ein großzügiges Umgangsrecht im Umfang von neun Tagen im Monat – lässt keine Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit aufkommen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG, 45 FamGKG.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 70 Abs.2 FamFG nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.

KG Berlin, Beschluss vom 07.02.2011
16 UF 86/10

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