OLG Düsseldorf: Erwerbsobliegenheit bei Betreuung eines 6-jährigen Kindes

OLG Düsseldorf: Erwerbsobliegenheit bei Betreuung eines 6-jährigen Kindes

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Kempen vom 12.2.2008 dahin abgeändert, dass der Beklagten weitergehend Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. aus N. bewilligt wird, soweit sie sich gegen die Klage hinsichtlich einer Zahlungsverpflichtung von weniger als 217 € für die Zeit von Januar bis Juli 2008 wendet. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Gebühr Nr. 1811 GKG ist zur Hälfte zu erheben.


Die zulässige Beschwerde ist in der Sache nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Rechtsverteidigung der Beklagten gegen die Abänderungsklage des Klägers hat nur für die Zeit bis Juni 2008 weitergehende Aussicht auf Erfolg.

1.

Der Unterhaltsanspruch der Beklagten für die hier in Rede stehende Zeit ab dem 1.1.2008 bestimmt sich grundsätzlich nach dem an diesem Tag in Kraft getretenen Unterhaltsrechtsänderungsgesetzes (UÄndG). Der Beklagten steht danach ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt nur noch zu, wenn und soweit die Voraussetzungen des § 1570 Abs. 2 Satz 2 BGB vorliegen; ein Anspruch nach § 1570 Abs. 2 BGB kommt vor dem Hintergrund der kurzen Dauer der Ehe nicht in Betracht.

Das Amtsgericht ist danach zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte eine Obliegenheit zu (mindestens) teilschichtiger Erwerbstätigkeit trifft.

Das neue Unterhaltsrecht geht davon aus, dass das bisherige Altersphasenmodell nicht mehr haltbar sei, vielmehr vor dem Hintergrund insbesondere des Anspruchs auf eine Kindesbetreuung ab dem 3. Lebensjahr (§ 24 SGB VIII) auch neben der Betreuungsaufgabe eine Erwerbstätigkeit zumutbar sei. Nur wenn der Berechtigte substantiiert darlegt, dass die konkrete Betreuungssituation oder eine besondere Betreuungsbedürftigkeit des Kindes eine vollschichtige Erwerbstätigkeit nicht zulassen, kommt nach dem Willen des Gesetzgebers ein über das 3. Lebensjahr des Kindes hinausgehender Betreuungsunterhalt in Betracht. Ob eine derartige Regelung aus rechtspolitischer Sicht zu begrüßen ist, kann dahinstehen; an die eindeutige gesetzgeberische Entscheidung sind die Gerichte gebunden. Die Beklagte kann sich daher weder auf das Alter des Kindes noch darauf berufen, dass Kinder getrennt lebender Eltern stets intensiver betreuungsbedürftig seien; auch dieser generelle Umstand – alle Fälle des § 1570 betreffen Kinder getrennt lebender Eltern – war dem Gesetzgeber bei Fassung des § 1570 BGB bekannt. Lediglich eine besondere Betreuungsbedürftigkeit im Einzelfall kann eine Ausweitung des Betreuungsunterhaltsanspruchs über das 3. Lebensjahr des Kindes hinaus rechtfertigen (vgl. auch Ziffer 17.1 der Leitlinien; Borth, FamRZ 2008, 2, 6).

Der Beklagten, deren Unterhaltsanspruch bereits tituliert war, kommt allerdings die Übergangsregelung des § 36 Abs. 1 EGZPO zugute. Bis zum Inkrafttreten des UÄndG konnte die Beklagte davon ausgehen, dass sie bis zum 8. Lebensjahr ihres Kindes keine Erwerbsobliegenheit traf; nach Abschluss des auf dieser Rechtslage beruhenden Vergleichs konnte die Beklagte zunächst vom Fortbestand dieser Sach und Rechtslage ausgehen. Erst mit Inkrafttreten des UÄndG musste sie sich darauf einstellen, neben der Betreuung ihres inzwischen 6jährigen Kindes unterhaltsrechtlich einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu müssen. Der Beklagten ist daher eine Übergangsfrist zuzubilligen, innerhalb derer sie sich auf die verschärften Anforderungen an die Erwerbsobliegenheit einstellen und Bemühungen um einen Arbeitsplatz entfalten kann. Diese ist nach Auffassung des Senats in der zur Entscheidung berufenen Besetzung mit einem halben Jahr ausreichend bemessen.

Bis Juni 2008 ist daher nur das tatsächliche Einkommen der Beklagten in die Unterhaltsberechnung einzustellen, das der Senat im Rahmen des PKH-Prüfungsverfahrens zugunsten der Beklagten unter Vernachlässigung des bis Februar 2008 ausgeübten 1-€-Jobs entsprechend den Angaben der Beklagten zu den Einnahmen aus ihrer Tätigkeit als Haushaltshilfe durchgehend mit mon. rund 95 € veranschlagt. Da die Beklagte diese Tätigkeit nur am Wochenende ausübt, kann sie konkrete Betreuungskosten hiervon nicht absetzen.

Anschließend ist die Beklagte schon ausgehend von ihrem derzeitigen Vortrag zu den bestehenden Betreuungsmöglichkeiten – Betreuung durch die Schule bis 13.00 Uhr – durchaus in der Lage, eine halbschichtige Tätigkeit auszuüben, d.h. auch mehr zu arbeiten, als es das Amtsgericht zugrunde gelegt hat. Selbst wenn sie hierbei einen etwas geringeren als den von dem Amtsgericht zugrunde gelegten Bruttostundenlohn erzielen würde, wäre ihr ein Einkommen in einer Größenordnung zuzurechnen, das keinen höheren Unterhaltsanspruch als monatlich 120 € mehr rechtfertigt (zur Berechnung i.e. s.u.). Die Beklagte hat zudem nicht genügend dargelegt, dass für ihr Kind neben der Schule keine weitergehenden Betreuungsmöglichkeiten (Hort o.ä.) zur Verfügung stehen; allein der Vortrag, ihre Eltern kämen für eine Betreuung nicht in Betracht, genügt hierfür nicht.

2.

Die Beklagte kann für sich Unterhalt nur ausgehend von dem Einkommen des Klägers beanspruchen, wie es sich versteuert nach Klasse I, also ohne den Splittingvorteil aus der neuen Ehe darstellen würde. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Berücksichtigung steuerlicher Vorteile aus einer neuen Ehe bei der Bemessung des Unterhalts des ehemaligen Ehegatten (FamRZ 2003, 1821 ff.) festgestellt, dass steuerliche Vorteile, die der Gesetzgeber der bestehenden Ehe gewährt, bei dieser zu verbleiben haben und nicht durch das Unterhaltsrecht dem geschiedenen Ehegatten zugute kommen dürfen, indem sie dessen Unterhaltsanspruch erhöhen. Diese grundsätzliche Aussage wird durch die mit dem UÄndG einhergehende rangmäßige Gleichstellung des neuen mit dem geschiedenen Ehegatten nicht in Frage gestellt (ebenso Schürmann, FamRZ 2008, 313, 323).

Von dem sich so errechnenden Einkommen ist eine Verbindlichkeit in Höhe von mon. 60 € nicht mehr abzusetzen. Denn die Verbindlichkeit beruhte auf einem Fahrzeugkredit, den der Kläger am 31.1.2002 mit einer Laufzeit von 60 Monaten aufgenommen hatte (Bl. 30 d.A. 18 F 211/04 Amtsgericht Kempen) und der mithin bei regulärer Fortführung im Januar 2007 getilgt gewesen wäre. Dass die Beklagte sich die Aufstockung dieses Kredits nicht entgegenhalten muss, hat bereits das Amtsgericht in dem genannten Verfahren zutreffend ausgeführt.

3.

Zugunsten der Beklagten ist weiter zu berücksichtigen, dass der Selbstbehalt des Klägers wegen der Ersparnisse durch das Zusammenleben mit seiner neuen Ehefrau herabzusetzen ist (vgl. Ziffer 21.4 der Leitlinien); der Senat schätzt die Ersparnis auf etwa 12,5 %, so dass sich der Selbstbehalt (statt auf 1.000 €) auf 880 € beläuft. Entsprechend ist im Rahmen einer Mangelfallberechnung (dazu näher unten) als Einsatzbetrag der neuen Ehefrau ein reduzierter Betrag anzusetzen (670 € statt 770 €).

4.

Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Kläger auch ausgehend von seinem nach Steuerklasse III sich errechnenden Einkommen für die Befriedigung des Bedarfs aller Berechtigter nicht leistungsfähig ist; daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Verbindlichkeit von 60 € gegenüber der Beklagten unberücksichtigt zu bleiben hat. Vorrangig sind damit die Ansprüche der minderjährigen Kinder zu befriedigen (§ 1609 Nr. 1 BGB). Deren Unterhaltsanspruch ist allerdings nur nach Einkommensgruppe 1 in die Unterhaltsberechnung einzustellen, da ansonsten der

– weiterhin in der DT vorgesehene – Bedarfskontrollbetrag nicht gewahrt und nur so eine angemessene Verteilung der vorhandenen Mittel an Kinder und unterhaltsberechtigte Ehegatten gewährleistet ist.

Der verbleibende Betrag ist zwischen der Beklagten und der neuen Ehefrau des Klägers im Wege der Mangelfallberechnung zu verteilen; hierzu vertritt der Senat in der zur Entscheidung berufenen Besetzung die Auffassung, dass im Mangelfall nicht der individuelle Bedarf, sondern die Selbstbehaltssätze als Einsatzbeträge anzusetzen sind. Maßgebliche Erwägungen, die der Bundesgerichtshof in seiner grundlegenden Entscheidung zum absoluten Mangelfall für den Ansatz des jeweiligen Eigenbdarfs (Existenzminimum) als Einsatzbetrag angestellt hat (BGH, FamRZ 2003, 363 ff.), gelten auch in der hier vorliegenden Konstellation: Die auf der Grundlage des jeweiligen Existenzminimums ermittelten Einsatzbeträge dienen auch hier dem Zweck, eine angemessene Verteilung des unter Berücksichtigung des Selbstbehalts des Unterhaltspflichtigen für den Unterhalt der gleichrangigen Berechtigten zur Verfügung stehenden Einkommens vorzunehmen.

5.

Die Berechnung des Unterhaltsanspruchs der Beklagten stellt sich damit wie folgt dar:

bis einschl. Juni 2008:

Einkommen Kläger (StKl. I): rund 1.853,00 €
./. b.A. rund 93 € 1.760,00 €
./. KU N. (Ast. 2, Gr. 1) -245,00 €
./. KU M. (Ast. 1, Gr. 1) -202,00 €
bleiben 1.313,00 €

Selbstbehalt Kläger 880,00 €

für Unterhalt Ehegatten 433,00 €

Einsatzbetrag Beklagte: 675,00 € (770 € – 95 €)
Einsatzbetrag Ehefrau: 670,00 €
Bedarf gesamt 1.345,00 €

Mangelquote 0,32 %,

Unterhalt Beklagte rund 217 €

ab Juli 200 2008:

Schon bei einem von der Beklagten durchaus erzielbaren Einkommen von bereinigt 580 € errechnet sich kein höherer Ehegattenunterhalt als mon. 120 €:

für Unterhalt Ehegatten 433,00 €

Einsatzbetrag Beklagte: 255,00 € (835 € [(770 € + 900 €) :2) – 580 €)
Einsatzbetrag Ehefrau: 770,00 €
Bedarf gesamt 925,00 €

Mangelquote 0,47 %,

Unterhalt Beklagte rund 119 €

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.03.2008
4 WF 41/08

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