I. Die Sache wird durch den Einzelrichter auf den Senat in der nach dem Gerichtsverfassungsgesetz bestimmten Besetzung übertragen (§ 568 S. 2 Nr. 2 ZPO).
II. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Lingen vom 21.11.2024 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin beantragt im gerichtlichen Abstammungsverfahren die Feststellung, dass der Antragsgegner ihr Vater ist.
Der Antragsgegner hat die Einrede des Mehrverkehrs erhoben und behauptet, dass die Mutter der Antragstellerin als Prostituierte bei einer Escort-Agentur tätig gewesen sei. Er habe sie zwei- oder dreimal in seine Wohnung bestellt und bei dieser Gelegenheit hätten dort nicht nur er, sondern auch jeweils sein eineiiger Zwillingsbruder mit ihr geschlechtlich verkehrt. Das Amtsgericht hat die Mutter der Antragstellerin und den Antragsgegner persönlich angehört und den Bruder des Antragsgegners sowie den früheren Arbeitgeber der Kindesmutter als Zeugen vernommen. Es hat sodann ein DNA-Abstammungsgutachten durch das DD Institut in Ort3 eingeholt unter Einbeziehung der Antragstellerin und ihrer Mutter sowie des Antragsgegners und dessen Bruder. Das Institut hat dem Amtsgericht mit Schreiben vom 10.07.2024 mitgeteilt, dass es sich bei den Brüdern um eineiige Zwillinge handele, die durch das Institut genetisch nicht zu unterscheiden seien. Weiter sei festgestellt worden, dass einer der beiden Zwillinge der leibliche Vater der Antragstellerin sei. Für das Gutachten seien PCR-basierte Microsatelliten-Systeme (STR-Systeme) eingesetzt worden. Die Zwillinge besäßen ein identisches STR-Profil, so dass davon auszugehen sei, dass es sich um eineiige Zwillinge handele. In den untersuchten zweiundzwanzig DNA-Systemen fänden sich keine Ausschlussmöglichkeiten für den Antragsgegner und für seinen Bruder. Der Vaterschaftswahrscheinlichkeitswert betrage 99,9999%, so dass davon auszugehen sei, dass der Antragsgegner oder sein Bruder der Vater des Kindes seien. Auf Anregung des Instituts hat das Amtsgericht Kontakt mit dem Sachverständigen für Forensische DNA-Spurenanalytik und Abstammungsbegutachtung EE aufgenommen. Dieser hat mitgeteilt, die Firma FF GmbH, für die er tätig ist, biete einen von dieser entwickelten und 2014 erstmals vorgestellten Test zur Unterscheidung von eineiigen Zwillingen an, bei dem im Unterschied zu den “herkömmlichen” DNA-Gutachten nicht nur einzelne Abschnitte der DNA der betroffenen Zwillinge, sondern die komplette DNA durch Sequenzierung untersucht werde. Hierbei könnten sich minimale Veränderungen in der DNA, die sich während der Embryonalentwicklung bei den Zellteilungen zufällig und jeweils nur in einem der beiden Embryonen entwickelten (Mutationen), finden lassen. Aufgrund der erforderlichen umfangreichen Untersuchungen sei mit Kosten von rund 60.000 € zu rechnen. Der Test sei in einem Gerichtsverfahren in Ort4 (USA) erfolgreich angewandt worden, bei dem einer der beiden Täter einen eineiigen Zwillingsbruder hatte und hätte in Deutschland in drei Verfahren zur Klärung der Abstammung sowie in einem Strafverfahren zu einer Unterscheidung der betroffenen Zwillinge geführt.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 16.10.2024 die Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens angeordnet und EE als Sachverständigen bestimmt.
Der Antragsgegner hat mitgeteilt, in eine weitere genetische Untersuchung nicht einzuwilligen.
Mit Beschluss vom 21.11.2024 hat das Amtsgericht eine Zwischenentscheidung getroffen und die Weigerung des Antragsgegners, an der weiteren Begutachtung mitzuwirken, als unberechtigt zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die weitere Beweisaufnahme erforderlich sei. Zwar stehe fest, dass der Antragsgegner mit der Mutter der Antragstellerin in der gesetzlichen Empfängniszeit geschlechtlich verkehrt habe und dieser und sein Bruder eineiige Zwillinge seien. Davon, dass die Mutter – wie sie behauptet – nur mit dem Antragsgegner verkehrt habe, sei das Gericht aber nicht überzeugt. Mit der beabsichtigten weiteren Begutachtung stehe ein Beweismittel zur Verfügung, das grundsätzlich geeignet sei, die Vaterschaft festzustellen. Die Entscheidung des OLG Celle vom 30.01.2013 (FamRZ 2013, 1669) sei überholt. Es handele sich nicht mehr um einen theoretischen Ansatz oder eine Verlagerung von Grundlagenforschung in das gerichtliche Verfahren. Das ultra-deep next generation sequencing sei mittlerweile in der gerichtlichen Praxis zur Anwendung gekommen. Auch die hohen Kosten rechtfertigten es nicht, von der Begutachtung abzusehen und dem Kind die Kenntnis seiner Abstammung vorzuenthalten.
Der Antragsgegner hat gegen die Entscheidung sofortige Beschwerde erhoben. Er beantragt, die Beschlüsse vom 16.10.2024 und 21.11.2021 aufzuheben. Zur Begründung führt er aus, dass seine weitere Begutachtung unzumutbar sei. Das beabsichtigte Verfahren sei erst dreimal in einem Familiengerichtsverfahren und einmal in einem Strafverfahren zur Anwendung gekommen und dürfte als nicht ausreichend erprobt anzusehen sein. Der Antragsgegner wolle nicht als Versuchskaninchen für ein solches Verfahren dienen. Die Duldung der Begutachtung schränke sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ein, was auch aufgrund der Vorgeschichte unverhältnismäßig sei. Er habe die Kindesmutter für ihre sexuellen Dienstleistungen als Prostituierte bezahlt. Ausreichende Vorkehrungen zur Verhinderung einer Schwangerschaft dürften deren vertragliche Nebenpflicht gewesen sein, die sie offensichtlich verletzt habe. Es stehe nach dem ersten Gutachten fest, dass auch sein Bruder als biologischer Vater in Betracht komme. Ein Anspruch auf Begutachtung bestehe nach der Entscheidung des BVerfG vom 19.04.2016 (1 BvR 3309/13) nicht. Außerdem könne sich die im Beschluss vom 16.10.2024 festgelegte Duldung der Untersuchung zur Abstammung nicht gegen den Bruder als Zeugen richten. Ein gesondertes gerichtliches Verfahren werde gegen diesen nicht geführt.
II.
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 21.11.2024 ist gemäß § 178 Abs. 2 S. 1 FamFG i.V.m. §§ 387 Abs. 3, 567 ff. ZPO zulässig. Soweit auch beantragt wird, den Beschluss vom 16.10.2024 aufzuheben, legt der Senat das Rechtsschutzbegehren dahin aus, dass nur der Beschluss vom 21.11.2024 angefochten wird, da der Antragsgegner erklärt, gegen diesen sofortige Beschwerde einzulegen. Der Beweisbeschluss vom 16.10.2024 ist als solcher nicht anfechtbar.
Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.
Soweit es zur Feststellung der Abstammung erforderlich ist, hat jede Person gemäß § 178 Abs. 1 FamFG Untersuchungen, insbesondere die Entnahme von Blutproben, zu dulden, es sei denn, dass ihr die Untersuchung nicht zugemutet werden kann.
Die angeordnete weitere Begutachtung ist nicht bereits deshalb ungeeignet, weil eine Duldung weiterer Untersuchungen nicht gegen den Zwillingsbruder durchgesetzt werden könnte, dessen Beteiligung aber unabdingbar ist. Die Duldungspflicht betrifft nach § 178 Abs. 1 FamFG “jede Person”. Dies können Beteiligte sein, aber auch Zeugen (vgl. Sternal/Giers, FamFG, 21. Aufl., § 178 Rn. 11; Prütting/Helms*/Dürnbeck, FamFG § 178 Rn. 6).
Es kommt auch nicht darauf an, ob die Mutter der Antragstellerin “vertragliche Nebenpflichten als Prostituierte” verletzt hat, indem sie sich nicht ausreichend davor geschützt hat, schwanger zu werden, wie der Antragsgegner meint. Etwaige Pflichtverletzungen der Mutter können dem Anspruch des Kindes nicht entgegengehalten werden. Es hat unabhängig vom Verhalten der Eltern einen Anspruch auf Klärung seiner Abstammung.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.04.2016, auf die sich die Beschwerde stützt, betrifft nicht die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft nach § 1600d BGB im Abstammungsverfahren, sondern die Frage, ob das Kind einen Anspruch auf Klärung der Abstammung hat, ohne dass damit statusrechtliche Folgen verbunden sind (§ 1598a BGB). Ein solcher Anspruch wird im vorliegenden Fall nicht geltend gemacht.
Die weitere Beweisaufnahme ist auch erforderlich. Das Amtsgericht hat nachvollziehbar ausgeführt, dass nach der bisher durchgeführten Beweisaufnahme Zweifel hinsichtlich der Behauptung der Kindesmutter bestehen, sie habe in dem fraglichen Zeitraum mit dem Bruder des Antragsgegners nicht geschlechtlich verkehrt. Dem stehen die übereinstimmenden Angaben des Antragsgegners und des als Zeugen vernommenen Bruders entgegen, die das Zustandekommen und den Ablauf ihrer Treffen mit der Kindesmutter anschaulich dargestellt haben. Dass das Amtsgericht hinsichtlich der Angabe der Mutter, sie habe in der gesetzlichen Empfängniszeit mit keinem anderen Mann geschlechtlichen Verkehr gehabt, angesichts ihrer früheren Tätigkeit bei dem Escort-Service Zweifel hat und aufgrund dessen auch ihre Behauptung, den Bruder des Antragsgegners nicht zu kennen, kritisch betrachtet, ist ebenso gut nachvollziehbar. Dass die Kindesmutter auch mit dem Bruder des Antragsgegners geschlechtlich verkehrt hat, ist nach der Beweisaufnahme jedenfalls nicht ausschließbar. Da der Verkehr des Bruders mit der Kindesmutter nach den Angaben des Antragsgegners und des Zeugen jeweils in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Verkehr des Antragsgegners mit der Kindesmutter stattfand, stehen auch weitere Beweismittel zur Aufklärung, bei welchem Geschlechtsakt das Kind gezeugt wurde – etwa ein Tragezeitgutachten – nicht zur Verfügung.
Mit dem beabsichtigen Gutachten steht ein geeignetes Beweismittel zur weiteren Aufklärung zur Verfügung. Nach der Mitteilung des DD Instituts handelt es sich bei dem Antragsgegner und seinem Bruder um eineiige Zwillinge, bei denen ein genetischer Unterschied durch ein DNA-Gutachten im herkömmlichen Umfang nicht ermittelt werden kann. Die beabsichtigte Begutachtung zielt genau darauf ab, festzustellen, ob genetische Unterscheidungen zwischen ihnen vorhanden sind, die sich dementsprechend weitervererbt haben können und sich in der DNA des Kindes wiederfinden.
Der Senat teilt die Auffassung des Amtsgerichts, dass die Entscheidung des OLG Celle vom 30.01.2013 (FamRZ 2013, 1669 ff.) insoweit nicht (mehr) auf den vorliegenden Fall übertragbar ist, als das OLG Celle von dem seinerzeitigen Stand der Forschung ausgegangen ist. Nach Anhörung von drei Sachverständigen, zuletzt im Dezember 2012, hat es deren Stellungnahmen zusammenfassend ausgeführt, das Verfahren des whole genome sequencing als solches sei nach Angabe der Sachverständigen bis dahin in Standardfällen “zigtausendfach” durchgeführt worden und lasse sich für jenen Anwendungsbereich i.S.d. Nr. 6.2 in Abschnitt III der Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission als derzeit hinreichend evaluiertes und damit bedarfsgerechtes, für die Begutachtung verwendbares Analyseverfahren auffassen. In einem Fall wie dem hier vorliegenden sei das Verfahren aber bisher noch nie evaluiert worden. Zu diesem Zweck seien derzeit wissenschaftliche Untersuchungen in Planung, die “absolute Grundlagenforschung” darstellten, wie der Sachverständige GG dargelegt habe. Er bereite derzeit in Zusammenarbeit mit englischen, niederländischen und deutschen Wissenschaftlern eine solche Untersuchung vor, um die hier gegebene Konstellation in einem, maximal in zwei Fällen nachzustellen und die in seinem Gutachten aufgestellte Hypothese zu testen. Beabsichtigt sei dabei sowohl die Untersuchung von Sperma als auch von Blut. Nach Kenntnis des Sachverständigen HH forsche auch die JJ GmbH in diese Richtung. Das OLG Celle ist zu dem Schluss gekommen, dass auf dieser Grundlage eine weitere, lediglich auf theoretische Erwägungen zu stützende, in der Praxis bislang noch nicht erprobte und an wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung ausgerichtete Untersuchung sowohl dem Beklagten wie dem Zeugen unzumutbar sei (OLC Celle, a.a.O., zitiert nach juris, Rn. 32, 34).
Im streitgegenständlichen Verfahren hat der Sachverständige EE dem Amtsgericht mitgeteilt, die von ihm repräsentierte FF GmbH (bei der es sich um die “JJ GmbH” im vom OLG Celle entschiedenen Fall handeln dürfte) habe als erste Firma weltweit im Jahr 2014 – mithin nach der Entscheidung des OLG Celle – einen Test zur Unterscheidung von eineiigen Zwillingen entwickelt und die Methode in dem wissenschaftlichen Magazin Forensic Science International: Genetics 9 (2014) publiziert (s. die Veröffentlichung Bl. 191 ff. d.A.). Danach werde das Probematerial aus Speichel gewonnen und die komplette DNA durch Sequenzierung untersucht. Wenn Unterschiede in der DNA der Zwillinge gefunden werden, würden diese durch eine weitere Sequenzierungsmethode bei beiden Zwillingen verifiziert. Falls sich bestätige, dass die Mutation nur bei einem Zwilling vorliege, könne man daraus einen Nachweis entwickeln, der sich dann für einen Vaterschaftstest eigne. Bei einem entsprechenden Erfolg der Methode sei eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von über 99,9% erreichbar, was verbalisiert “Vaterschaft praktisch erwiesen” entspreche.
Der Senat entnimmt den Ausführungen, dass die Untersuchungsmethode als solche erfolgversprechend ist, nachdem ein entsprechender Test entwickelt worden ist. Nach Angaben des Sachverständigen wurde der Test in fünf gerichtlichen Verfahren (vier in Deutschland, eines in den USA) mit Erfolg angewandt. Allerdings hat auch der Sachverständige mitgeteilt, dass es in der Natur der Sache liege, dass eine Erfolgsgarantie nicht gegeben werden könne. Dies erscheint insoweit nachvollziehbar, als es nicht zwangsläufig so sein dürfte, dass bei eineiigen Zwillingen in jedem Fall in dem maßgeblichen Entwicklungsstadium des Embryos während der ersten Zellteilungen Mutationen entstehen. Bei der zu treffenden Abwägung der gegenläufigen Interessen ist damit die Unsicherheit, eine entsprechende Feststellung überhaupt treffen zu können, zu berücksichtigen.
Zu bedenken ist darüber hinaus, dass das whole genome sequencing die DNA der Betroffenen komplett umfasst. Anders als etwa ein DNA-Fingerprinting (“genetischer Fingerabdruck”) wird dadurch außer dem nicht-codierenden auch der codierende DNA-Bestandteil erfasst, dessen Analyse Rückschlüsse auf psychische, charakter- oder krankheitsbezogene Persönlichkeitsmerkmale zulässt (vgl. OLG Celle, a.a.O. juris, Rn. 39 sowie den Aufsatz des das OLG Celle beratenden Sachverständigen KK in FPR 2011, 372, 375). Das Recht auf informelle Selbstbestimmung erfasst auch die Entscheidung des Einzelnen, seine Erbanlagen nicht offen zu legen. Dieses Recht ist gegen dasjenige des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung abzuwägen. Das OLG Celle ist bei der insoweit vorzunehmenden Abwägung zu dem Ergebnis gelangt, dass sie im Hinblick auf den von der Untersuchung zu erwartenden, nicht ausreichenden Erkenntnisgewinn zugunsten des Beklagten und des Zeugen ausfalle, auch nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (OLG Celle, a.a.O., juris Rn. 40).
Wie vorstehend dargestellt, kann bei einer heute vorzunehmenden Abwägung von einem besseren Erkenntnisgewinn aufgrund der anzuwendenden Methode ausgegangen werden. Gleichwohl bleibt auch danach eine Unsicherheit, ob konkret Feststellungen getroffen werden können.
Die Gesamtabwägung aller Umstände führt nach Auffassung des Senats dazu, dass die weitere Begutachtung durch den Antragsgegner wie durch den Bruder des Antragsgegners zu dulden ist. Welche und wessen Grundrechte von einer gegen den Willen des vermeintlich leiblichen Vaters durchgeführten Abstammungsklärung in welchem Maße betroffen sind, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Dabei wiegen die meisten Beeinträchtigungen weniger schwer, wenn der zur Abstammungsklärung gegen seinen Willen verpflichtete Mann tatsächlich der leibliche Vater des Kindes ist als wenn dies nicht der Fall ist. Hier sind der leibliche Vater und die Mutter des Kindes gegenüber den Interessen des Kindes von vornherein weniger schutzbedürftig als außenstehende Personen. Leibliche Eltern haben die Existenz des Kindes zu vertreten und haben daher grundsätzlich ihre Geheimhaltungsinteressen dem Aufklärungsinteresse des Kindes unterzuordnen. Für Außenstehende gilt das nicht (BVerfG, Urt. v. 19.04.2016, 1 BvR 3309/13, juris Rn. 50). Indessen besteht gerade die Schwierigkeit, dass die Abstammung erst durch die fragliche Maßnahme aufgeklärt werden soll und daher in Rechnung gestellt werden muss, dass der Betroffene nicht der Vater ist und sich manche Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht mehr rückgängig machen lassen (BVerfG a.a.O., Rn. 51).
Die vom Antragsgegner angeführte Einschränkung seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit ist zwar nicht rückgängig zu machen, aber auch geringfügig, da ihm lediglich die Entnahme einer Speichelprobe abverlangt wird. Die entstehenden Kosten des Gutachtens sind zwar erheblich. Im Falle, dass der Antragsgegner nicht der leibliche Vater ist, ist jedoch im Rahmen der zu treffenden Kostenentscheidung nicht zu erwarten, dass ihm die Kosten auferlegt werden. Bei der nach Billigkeit gemäß § 81 FamFG zu treffenden Kostenentscheidung käme allenfalls eine Beteiligung zum Teil in Betracht. Von erheblicherer Bedeutung ist der mit der Untersuchung des gesamten Genoms verbundene Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, indem insbesondere auch die codierenden DNA-Bestandteile der Untersuchung unterworfen werden. Dieser Eingriff wiegt als solcher schwer. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass die Daten durch das zwingend einzuhaltende Verfahren geschützt werden: Aussagen zu körperlichen Eigenheiten oder Erkrankungen werden in Abstammungsgutachten nicht getroffen und dürfen auch nicht getroffen werden (§ 17 Abs. 1 S. 4 Gendiagnostikgesetz). Die Proben dürfen nur für die Zwecke verwendet werden, für die sie gewonnen werden (vgl. Dürbeck in: Prütting/Helms*, FamFG, 6. Auflage 2023, § 178 FamFG Rn 5). So sieht die aufgrund § 23 GenDG erlassene Richtlinien der Gendiagnostik-Kommission (GEKO) für die Anforderungen an die Durchführung genetischer Analysen zur Klärung der Abstammung in Ziffer 5.7 zu III. auch ausdrücklich vor: “Die entnommenen genetischen Proben dürfen nur für die Zwecke verwendet werden, für die sie gewonnen worden sind; sie sind nach § 13 Abs. 1 GenDG unverzüglich zu vernichten, wenn sie für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. Die Vernichtung ist zu dokumentieren. Eine Verwendung zu anderen Zwecken ist nur möglich, soweit dies nach anderen gesetzlichen Vorschriften zulässig ist (z.B. zur Verfolgung einer Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit nach §§ 25 und 26 GenDG1), oder wenn die Person, von der die Probe stammt, vorher, nach entsprechender Information über die anderen Zwecke (wie z.B. eine Verwendung in der Forschung), ausdrücklich und schriftlich eingewilligt hat (§ 13 Abs. 2 GenDG)”.
Weitere persönliche Beeinträchtigungen durch die Durchführung der Begutachtung sind nicht zu besorgen: Der Umstand, dass der Antragsgegner ebenso wie sein Bruder die Kindesmutter als Prostituierte mehrfach in Anspruch genommen haben, ist von beiden im Verfahren offen eingeräumt worden, so dass durch das weitere Gutachten nichts bekannt würde, was nicht schon bekannt ist.
Auf der anderen Seite steht das Recht des Kindes auf Klärung seiner Abstammung. Die Frage der Aufklärbarkeit oder Unaufklärbarkeit der eigenen Abstammung vom vermeintlich leiblichen Vater betrifft den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der nach ihrer Abstammung suchenden Person, indem es vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung schützt (BVerfG, Urt. v. 19.04.2016, juris Rn. 30 f.). Die Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene leibliche Abstammung kann die freie Entfaltung der Persönlichkeit spezifisch gefährden. Die Kenntnis der eigenen Abstammung kann für die Entwicklung der Persönlichkeit von erheblicher Bedeutung sein. Die Möglichkeit, sich als Individuum nicht nur sozial, sondern auch genealogisch in eine Beziehung zu anderen zu setzen, kann im Bewusstsein der einzelnen Person eine Schlüsselstellung für ihre Individualitätsfindung wie für ihr Selbstverständnis und ihre langfristigen familiären Beziehungen zu anderen einnehmen. Umgekehrt kann die Unmöglichkeit, die eigene Abstammung zu klären, die einzelne Person erheblich belasten und verunsichern (BVerfG, a.a.O., Rn. 34 f.) Im Vordergrund dieses Schutzes der Kenntnis der eigenen Abstammung steht die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates, der Schutzbedürftigkeit des Einzelnen vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung bei der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen (BVerfG, a.a.O., Rn. 38). Das Gesetz hat zwar dem Kind gegenüber einem ihm rechtlich nicht als Vater zugeordneten Mann kein Verfahren zur isolierten Abstammungsklärung eröffnet. Ansprüche des Kindes aus § 1598a BGB bestehen ihm gegenüber nicht. Er hat aber das Vaterschaftsfeststellungsverfahren nach § 1600d BGB bereitgestellt, welches die Klärung der leiblichen Abstammung vom mutmaßlich leiblichen Vater ermöglicht; bei positivem Ausgang führt es zur Begründung eines rechtlichen Vater-Kind-Verhältnisses einschließlich aller damit verbundenen wechselseitigen Rechte und Pflichten.
Diesen vorstehenden Belangen des Kindes ist bei einer Gesamtabwägung der Vorrang zu geben vor den Interessen des Antragsgegners und seines Zwillingsbruders, nicht in die weitere Aufklärung der Vaterschaft einbezogen zu werden. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass Gegenstand der weiteren Ermittlung nur noch die Frage ist, ob das Kind von dem Antragsteller oder seinem Bruder abstammt. Dass einer von ihnen das Kind gezeugt hat, steht aufgrund des vorliegenden Gutachtens des DD Instituts fest. Die Unsicherheit, wer der Zwillinge der Vater des Kindes ist, ist dadurch verursacht worden, dass der Antragsgegner und sein Bruder gemeinsam eine Prostituierte bestellten und nacheinander mit ihr Geschlechtsverkehr hatten, stammt also allein aus ihrer Sphäre.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 ZPO. Einer Wertfestsetzung bedarf es nicht. Für die gerichtlichen Kosten ist die Festgebühr nach Nr. 1912 FamGKG KV angefallen; ein Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG ist nicht gestellt worden.
Die Rechtsbeschwerde wird im Hinblick auf die Abweichung von der Entscheidung des OLG Celle und im Hinblick darauf, dass die Frage, unter welchen Umständen die Voraussetzungen einer Verwertung des whole genome sequencing vorliegen, grundsätzliche Bedeutung hat, zugelassen.
OLG Oldenburg, Beschluss vom 14.01.2025
13 WF 93/24