OLG Oldenburg: Aufenthaltsbestimmungsrecht, Kontinuität, Betreuungsintensität

OLG Oldenburg: Aufenthaltsbestimmungsrecht, Kontinuität, Betreuungsintensität

Auf die Beschwerde des Antragsgegner werden die Beschlüsse des Amtsgericht – Familiengericht – Westerstede vom 30.08.2010 geändert und die Anträge der Antragstellerin auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht und Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Herausgabe des Beteiligten zu 1 abgelehnt.

Von der Erhebung der Gerichtskosten wird abgesehen, ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten zu 2 bis 4 selbst.

Der Verfahrenswert für die Beschwerdeinstanz beträgt 4.000 € (3.000 € Hauptsacheverfahren und 1.000 € einstweilige Anordnung).

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 2 und 3 sind die Eltern des 4jährigen … und streiten über den Lebensmittelpunkt des Kindes.

Die Eltern waren nicht miteinander verheiratet. Nach der Geburt des Kindes lebte die Familie zusammen. Beide Eltern üben die elterliche Sorge gemeinsam aus.

Im Juli 2007 trennten sie sich. Es entstand ein Streit über den Lebensmittelpunkt des Kindes, nachdem die Kindesmutter die gemeinsame Wohnung in E. verlassen und mit dem Kind zu ihren Eltern nach S. gezogen war. Im Verfahren 82 F 5111/07 wurde sodann vom Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für B. auf die Kindesmutter übertragen. Nachdem im Hauptsacheverfahren weitere Ermittlungen angestellt wurden, wurde durch Beschluss vom 06.05.2008, auf den verwiesen wird, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Kindesvater übertragen. In dem Beschluss wurde ausdrücklich aufgeführt, dass eine Abänderung der Entscheidung nach Abschluss des Referendariats der Mutter überprüft werden sollte. B. wohnte nachfolgend beim Vater, hatte aber regelmäßigen, über das übliche Maß hinausgehenden Umgang mit der Kindesmutter.

Mit Schriftsatz vom 18.03.2009 beantragte die Kindesmutter die Abänderung der Sorgerechtsentscheidung. Ihr Referendariat schloss sie im Laufe des Verfahrens ab. Mit dem Schuljahresbeginn 2010 wurde sie als Teilzeitkraft im Schuldienst als beamtete Lehrkraft übernommen. Die Kindesmutter begründet die begehrte Änderung im Wesentlichen mit der Veränderung ihrer persönlichen Verhältnisse und fehlenden Kooperationsbereitschaft des Kindesvaters.

Das Familiengericht hat ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt und das Jugendamt beteiligt sowie eine Verfahrenspflegerin für das Kind bestellt. Diese Beteiligten und die Sachverständige haben sich nicht eindeutig für eine Regelung zugunsten eines Elternteiles aussprechen können.

Nach Anhörung des Kindes hat das Familiengericht Westerstede mit seinen im Übrigen in Bezug genommenen Beschlüssen vom 30.08.2010 das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Kindesmutter zurück übertragen und im Wege der einstweiligen Anordnung die Herausgabe des Kindes an die Kindesmutter angeordnet.

Hiergegen wendet sich der Kindesvater mit seiner Beschwerde. Er vertritt insbesondere die Auffassung, das Familiengericht habe die Entscheidung in Verkennung des Grundsatzes der Kontinuität getroffen.

B. hat seinen Lebensmittelpunkt nach der Entscheidung des Familiengericht bei der Mutter in Hannover begründet. Er besucht dort den Kindergarten.

II.

Die zulässigen Beschwerden haben in der Sache Erfolg.

1. Die Antragstellerin kann eine Abänderung des Beschlusses des Familiengerichts Westerstede vom 06.05.2008 nach § 1696 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht begehren.

Die Erstentscheidung des Familiengerichts Westerstede richtet sich nach § 1671 Abs. 2 BGB, so dass die in § 1696 Abs. 1 Satz 2 BGB genannten Vorschriften, insbesondere die des § 1672 Abs. 2 BGB keine Anwendung finden.

Die Voraussetzungen für eine Abänderung liegen nicht vor. Eine Abänderung kommt nach § 1696 Abs. 1 Satz1 BGB nur dann in Betracht, wenn die aufgrund trifftiger, das Wohl des Kindes nachhaltig berührender Gründe angezeigt ist. Dabei ist zu beachten, dass die Veränderungen kindeswohlbezogen sein müssen und bei der Prüfung, ob das Kindeswohl eine Veränderung erfordert, ein anderer Maßstab als der nach § 1697a BGB übliche, zu berücksichtigen ist. Die hergebrachten Grundsätze der Auslegung des Kindeswohlbegriffs erfahren eine abänderungsspezifische Modifikation. Insbesondere die Beachtung des Grundsatzes der Kontinuität erfordert eine Steigerung des Kindeswohlerfordernisses bei der Entscheidung nach § 1696 BGB im Verhältnis zu einer erstmaligen Entscheidung über Fragestellungen des Kindeswohls, wie beispielsweise nach § 1671 Abs. 2 BGB. Dass die Abänderung der gerichtlichen Entscheidung dem Kindeswohl genügen soll, ist nicht ausreichend. Die Vorteile der Korrekturregelung müssen vielmehr die Gesichtspunkte, die für die Fortsetzung des bestehenden Zustandes sprechen und die mit der Änderung verbundenen Nachteile deutlich überwiegen. Durch die Gestaltung der Norm hat der Gesetzgeber klargestellt, dass Sorgerechtsentscheidungen sich nicht leicht abändern lassen (Palandt/Diederichsen, 69. Auflage 2010 § 1696 Rn. 15 m.w.N.).

Es ist anerkannt, dass Veränderungen der für die die ursprüngliche Regelung maßgeblichen Umstände zu einer Abänderung der Entscheidung führen können. Allerdings müssen diese Veränderungen kindeswohlbezogen sein. Der Abschluss der Referendarausbildung durch die Kindesmutter hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Kindeswohl. Die Feststellung des erstentscheidenden Familiengerichts in dem Beschluss zum Hauptsacheverfahren, nach der Absolvierung des Referendariats müsse die Situation neu beleuchtet werden, beinhaltet lediglich die Frage der Zulässigkeit eines Abänderungsantrags. In der Sache führt diese Veränderung im persönlichen Bereich der Kindesmutter nicht auch zu einer Veränderung der Situation des Kindes.

Der Senat kann deutlich überwiegende Vorteile für eine Neuregelung nach Durchführung des Verfahrens und unter Zugrundelegung insbesondere des Ergebnisses der Anhörung der Eltern, der Berücksichtigung des vorliegenden Sachverständigengutachtens und der Stellungnahme des Jugendamtes sowie dem Bericht der Verfahrenspflegerin nicht erkennen. Beide Eltern sind gleichermaßen erziehungsgeeignet. Sie haben auch die Möglichkeit, die Betreuung des Kindes neben ihren beruflichen Tätigkeiten auszufüllen. Bei der Kindesmutter ist es zu erwarten, dass sie bei der Gestaltung ihrer Erwerbstätigkeit als Lehrerein und des Fremdbetruungsmöglichkeiten des Kindes diese Aufgaben bewerkstelligen kann und wird. Sie hat dies in der Vergangenheit während der Umgangskontakte und auch nach dem Wechsels B’s. zu ihr deutlich gezeigt. Der Kindesvater hat dies in der Vergangenheit gezeigt und das Kind soweit es bei ihm gelebt hat überwiegend selbst, teilweise mit Hilfe seiner Mutter bzw. seiner Schwester betreut. Die im angefochtenen Beschluss geäußerte Befürchtung, der Kindesvater könne sich in Zukunft nicht mehr so regelmäßig um das Kind kümmern, lasst sich durch die ermittelten Fakten nicht belegen. Die Anhörung vor dem Senat hat deutlich gemacht, dass sich der Kindesvater differenziert mit der Doppelrolle als berufstätiger Vater auseinander setzt. Er hat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass er künftig die Betreuung B’s. außerhalb des Kindergartens persönlich übernehmen kann und seine Berufstätigkeit entsprechend zu gestalten vermag. Der Senat geht davon aus, dass der Kindesvater diese Ankündigung umsetzt. Seine persönliche Betreuung des Kindes in den Zeiten, in denen B. nicht im Kindergarten ist, ist für die Beurteilung einer qualitativen Vergleichbarkeit der Betreuung des Kindes durch die Mutter oder den Vater maßgeblich. Das bedeutet nicht, dass der Vater das Kind außerhalb des Kindergartens und der Umgangskontakte mit der Mutter ständig zu betreuen hat. Es ist aber zu gewährleisten, dass B während der Zeit im väterlichen Haushalt nicht im wesentlichen Umfang von dritten Personen betreut wird. In diesem Fall wäre eine dauerhafte Betreuung durch die Mutter einer Fremdbetreuung vorzuziehen.

Weitere Gründe für eine Abänderung liegen nicht vor. Insbesondere die Differenzen der Eltern auf der Paarebene lassen keine Abänderung zu. Beide haben als Eltern den Umgang zwischen ihnen und B. sehr gut geregelt. Soweit dennoch ein Bedarf besteht, die Vergangenheit und insbesondere die Trennung gemeinsam aufzuarbeiten, ist dies anerkennenswert. Wenn sich aber ein Elternteil dieser Aufarbeitung nicht im erwarteten Maße stellt, so betrifft dies das Kindeswohl nicht. Die Sachverständige hat beide Eltern als gleichwertig erziehungsgeeignet bewertet, trotz der bestehenden Unzulänglichkeiten auf der Paarebene. Es wäre daher für das weitere Zusammenwirken der Eltern wünschenswert, wenn sie sich auf der Paarebene annähern und ihre Differenzen beseitigen könnten. Voraussetzung für die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den einen oder anderen Elternteil hat dies aber nicht.

Die Anhörung des Kindes hat schließlich ebenfalls keine ausschlaggebenden Präferenz für eine Neuregulunng ergeben.

2. Die gem. § 57 Satz 2 Nr. 2 FamFG zulässige Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung hat in der Sache ebenfalls Erfolg.

Es hat kein Anlass für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bestanden. Gem. § 49 Abs. 1 FamFG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, soweit ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigkwerden besteht. Allein der für B. reservierte Kindergartenplatz begründet ein solches Vorgehen nicht. Die Entscheidung des Familiengerichts zum Aufenthaltsbestimmungsrecht vom 30.08.2010 ist im Übrigen mit ihrer Bekanntgabe gem. § 16 Abs. 1 FGG a.F. wirksam geworden (Bumiller/Winkler, FGG, § 16 Rn. 9). Auf die vom Familiengericht abgestellte Rechtskraft der Entscheidung kommt es danach nicht an. Einer weiteren Entscheidung zum Aufenthalt des Kindes hat es nicht bedurft.

3. Die Kostenentscheidung ergeht gem § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG zu Ziffer 1 und gem. § 81 Abs. 1 FamFG zu Ziffer 2. Es entspricht billigem Ermessen, dass die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen. Das Verfahren betrifft das recht der elterlichen Sorge für ein minderjähriges Kind. Die Verpflichtung zur Übernahme der eigenen Kosten erwächst den Beteiligten zu 2 und 3 aus ihrer Elternroll, währen der Staat die ggf. anfallenden Kosten des Beteiligten zu 4 und die Gerichtskosten trägt. Ein Grund für eine Übertragung der Kosten auf einen Elternteil gem. § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG bzw. § 81 Abs. 2 FamFG liegt nicht vor.

OLG Oldenburg, Beschluss vom 10.11.2010
4 UF 158/10

AG Westerstede, Beschluss vom 30.08.2010
83 F 4033/09 SO

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