OLG Saarbrücken: Erforderlichkeit eines Rechtsanwalt in Gewaltschutzsachen

OLG Saarbrücken: Erforderlichkeit eines Rechtsanwalt in Gewaltschutzsachen

Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Saarbrücken vom 1. September 2010 – 54 F 373/10 EAGS – dahingehend abgeändert, dass dem Antragsgegner im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe Rechtsanwalt …, <Ort>, beigeordnet wird.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Antragstellerin hat gegen den Antragsgegner eine einstweilige Anordnung des Familiengerichts vom 1. September 2010 erwirkt, worin es dem Antragsgegner untersagt worden ist, die Wohnung der Antragstellerin zu betreten, sich der Wohnung bis auf eine Entfernung von 10 Metern zu nähern, bestimmte (im Einzelnen bezeichnete) Orte aufzusuchen, Verbindung zu der Antragstellerin, auch durch Fernkommunikationsmittel, aufzunehmen und ein Zusammentreffen mit der Antragstellerin herbeizuführen. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde dem Antragsgegner ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft angedroht. Ferner wurde eine Befristung bis zum 30. Februar 2011 angeordnet (Bl. 5 ff d.A.). Mit am 15. September 2010 eingegangenem Schriftsatz vom 13. September 2010 legte der Antragsgegner gegen diesen Beschluss „Widerspruch“ ein und verwies darauf, dass sich die Parteien ausgesöhnt hätten. Nachdem der Antragsgegner auf den Hinweis des Familiengerichts vom 20. September 2010 und 15. Oktober 2010 einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hatte, nahm die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vom 16. November 2010, nachdem sie erklärt hatte, dass sich die Parteien ausgesöhnt hätten und sie keine Rechte aus dem Beschluss herleiten wolle, mit Zustimmung des Antragsgegners ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück. Das Familiengericht hat sodann mit Beschluss vom 16. November 2010 dem Antragsgegner Verfahrenskostenhilfe für das einstweilige Anordnungsverfahren bewilligt und die Beiordnung eines Rechtsanwaltes abgelehnt (Bl. 26, 30, 31 d.A.). Der hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerde des Antragsgegners hat es mit Beschluss vom 13. Dezember 2010 nicht abgeholfen und die Sache dem Saarländischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die gemäß § 76 Abs. FamFG, § 127 ZPO statthafte sofortige Beschwerde, über die der Einzelrichter zu entscheiden hat (§ 568 Satz 1 ZPO), ist auch im Übrigen zulässig (§§ 567 ff ZPO).

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Entgegen der Auffassung des Familiengerichts ist dem Antragsgegner der von ihm gewählte Rechtsanwalt beizuordnen.

Da in Gewaltschutzsachen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht zwingend vorgeschrieben ist (vgl. §§ 111 Nr. 6, 112, 114 Abs. 1 FamFG), richtet sich die Frage der Beiordnung nach § 78 Abs. 2 FamFG. Danach wird dem Beteiligten auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Nach der Gesetzesbegründung ist die Erforderlichkeit einer Anwaltsbeiordnung, also die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Der Gesetzgeber spricht insofern von engen Voraussetzungen für eine Beiordnung (vgl. BT-Dr. 16/6308 S. 213 f.). Entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist die Vorschrift jedoch verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass eine Beiordnung jedenfalls dann zu erfolgen hat, wenn eine bemittelte Partei vernünftigerweise ebenfalls einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt hätte. Dies beurteilt sich nicht nur objektiv nach Umfang und Schwierigkeit der Sache, sondern auch nach der subjektiven Fähigkeit des Beteiligten. Zu berücksichtigen ist deshalb auch, ob Beteiligte nach ihrer Vorbildung, geistigen Befähigung, Schreib- und Redegewandtheit in der Lage sind, ihr Rechtsanliegen dem Gericht schriftlich oder mündlich ausreichend und ohne Gefahr einer eigenen Rechtsbeeinträchtigung darzustellen (BVerfG, FamRZ 2002, 531 und NJW-RR 2007, 1713; BGH, Beschl. v. 23. Juni 2010, XII ZB 232/09, FamRZ 2010, 1427, m.w.N.; OLG Zweibrücken, NJW 2010, 541; Keidel/Zimmermann, FamFG, 16. Auflage, § 78 Rz. 4). Nach Maßgabe dessen darf die Beiordnung auch nicht durch die pauschale Bezugnahme auf den Amtsermittlungsgrundsatz versagt werden. Als Vertreter des Verfahrensbeteiligten hat ein Rechtsanwalt andere Aufgaben wahrzunehmen als der Richter. Der Grundsatz der Amtsermittlung enthebt die Beteiligten nicht von ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung an der Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes. Insbesondere in Antragsverfahren sind von den Beteiligten die Tatsachen vorzubringen, die ihr Rechtsschutzziel stützen, weil das Gericht ohne dieses Vorbringen regelmäßig keine Anhaltspunkte dafür haben wird, in welcher Richtung Ermittlungen zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen angestellt werden sollen (BVerfG aaO).

Ausgehend von diesen allgemeinen Kriterien erscheint unter den obwaltenden Umständen die Beiordnung eines Rechtsanwalts für den Antragsgegner erforderlich. Bei dem Antragsgegner handelt es sich offensichtlich um einen Beteiligten mit Migrationshintergrund. Nach seiner Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist er nicht erwerbstätig und bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II. Angesichts dessen kann ohne das Hinzutreten weiterer Umstände – solche hat das Familiengericht nicht nachvollziehbar aufgezeigt – nicht davon ausgegangen werden, dass er in der Lage gewesen wäre, die gebotenen Schritte zur Wahrnehmung seiner Rechte eigenständig zu unternehmen und sich schriftlich oder mündlich in ausreichender Form auszudrücken (vgl. OLG Zweibrücken, aaO; OLG Bremen, FamRZ 2010, 1362). Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner nach Erlass der einstweiligen Anordnung vom 1. September 2010 mit Schriftsatz vom 13. September 2010 mitgeteilt hat, dass sich die Parteien zwischenzeitlich ausgesöhnt hätten und auch die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vom 16. November 2010 angegeben hat, dass eine Versöhnung stattgefunden habe, sie aus dem Beschluss keine Rechte mehr herleiten wolle und ihren Antrag zurücknehme. Der Antragsgegner konnte bei der gegebenen Sachlage jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt nämlich nicht davon ausgehen, dass die Antragstellerin auf der Grundlage der erlassenen einstweiligen Anordnung keine Vollstreckungsmaßnahmen einleiten werde. Denn aus einer Versöhnung der Parteien kann nicht ohne weiteres auf einen stillschweigenden Verzicht auf die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen geschlossen werden. Hinzu kommt, dass die einstweilige Anordnung so lange ihre Wirksamkeit behält, bis ihre Vollziehung ausgesetzt, sie aufgehoben wird oder der Titel aus sonstigen Gründen (z.B. Erledigungserklärung, Vergleich oder Antragsrücknahme) wegfällt (Saarländisches Oberlandesgericht, Beschl.v. 23. September 2010, 6 WF 97/10, m.w.N.; Viefhues, jurisPR-FamR 18/2005 Anm.; Zöller-Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 890, Rz. 9, 9 a, m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf §127 Abs. 4 ZPO.

OLG Saarbrücken, Beschluß vom 07.02.2011
9 WF 5/11

 

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