Die nachfolgenden Unterhaltsleitlinien der Familiensenate des Oberlandesgerichts Naumburg dienen als Orientierungshilfe für den Regelfall und bedürfen hinsichtlich der Angemessenheit des Ergebnisses in jedem Einzelfall der Überprüfung.
Das Tabellenwerk der Düsseldorfer Tabelle – ohne Bedarfskontrollbetrag – ist als Anhang eingearbeitet, die Anmerkungen zur Tabelle werden durch die nachfolgenden Leitlinien ersetzt.
I. Unterhaltsrechtlich maßgebendes Einkommen
Bei der Ermittlung und Zurechnung von Einkommen ist stets zu unterscheiden, ob es sich um Verwandten- oder Ehegattenunterhalt handelt und ob es um Bedarfsbemessung einerseits oder Feststellung der Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit andererseits geht.
Das unterhaltsrechtlich maßgebliche Einkommen ist nicht identisch mit dem Einkommen im steuerrechtlichen Sinne.
1. Geldeinnahmen
1.1. Regelmäßiges Bruttoeinkommen einschließlich Renten und Pensionen
Auszugehen ist vom Bruttoeinkommen als Summe aller Einkünfte inklusive Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie anderer Zulagen.
1.2. Unregelmäßige Einkommen
Soweit Leistungen nicht monatlich anfallen, werden sie auf ein Jahr umgelegt. Einmalige Zahlungen (z.B. Abfindungen) sind auf einen angemessenen Zeitraum (in der Regel mehrere Jahre) zu verteilen.
1.3. Überstunden
Überstundenvergütungen werden dem Einkommen voll zugerechnet, soweit sie berufstypisch sind und das in diesem Beruf übliche Maß nicht überschreiten. Unabhängig davon sind sie stets zu berücksichtigen, soweit dies zur Deckung des Mindestunterhalts für minderjährige Kinder und privilegierte volljährige Kinder im Sinne des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB erforderlich ist.
1.4. Spesen und Auslösungen
Ersatz für Spesen und Reisekosten sowie Auslösungen gelten in der Regel als Einkommen. Damit zusammenhängende Aufwendungen, vermindert um häusliche Ersparnis, sind jedoch abzuziehen. Bei Aufwendungspauschalen (außer Kilometergeld) kann 1/3 als Einkommen angesetzt werden.
1.5. Einkommen aus selbständiger Tätigkeit
Bei Ermittlung des zukünftigen Einkommens eines Selbständigen ist in der Regel der Gewinn der letzten drei Jahre zu Grunde zu legen.
1.6. Einkommen aus Vermietung und Verpachtung sowie Kapitalvermögen
Auszugehen ist von den Einnahmen abzüglich notwendiger Ausgaben. Für Gebäude ist keine Absetzung für Abnutzung (AfA) anzusetzen.
1.7. Steuererstattungen
Steuererstattungen sind in der Regel im Zahlungsjahr zu berücksichtigen und auf dieses umzulegen. Es besteht die Obliegenheit, mögliche Steuervorteile in Anspruch zu nehmen.
1.8. Sonstige Einnahmen (z. B. Trinkgelder)
2. Sozialleistungen
2.1. Arbeitslosengeld (§ 136 SGB III) und Krankengeld
2.2. Leistungen nach dem SGB II
Arbeitslosengeld II, Sozialgeld und Einstiegsgeld (§§ 19 – 32 SGB II) ist beim Verpflichteten stets Einkommen, beim Berechtigten nur, soweit dessen Unterhaltsanspruch nicht nach § 33 SGB II übergegangen ist.
2.3. Wohngeld
Wohngeld ist grundsätzlich Einkommen (vgl. Nr. 21.5.3), nur insoweit nicht, als es erhöhte Wohnkosten deckt.
2.4. BAföG
BAföG-Leistungen zählen zum Einkommen, auch soweit sie als Darlehen gewährt werden. Dies gilt nicht für Vorausleistungen nach den §§ 36, 37 BAföG.
2.5. Elterngeld, Erziehungsgeld
Elterngeld ist beim Kindesunterhalt nach § 1603 Abs. 2 BGB sowie in den Fällen der §§ 1611 Abs. 1, 1361 Abs. 3, 1579 BGB in vollem Umfang als Einkommen zu berücksichtigen, im Übrigen nur insoweit, als es über den Sockelbetrag nach § 11 Satz 1 bis 3 BEEG hinausgeht. Entsprechendes gilt für das Erziehungsgeld nach § 9 Satz 1 und 2 BErzGG.
2.6. Unfall- und Versorgungsrenten
2.7. Leistungen aus der Pflegeversicherung, Blindengeld u. Ä.
Die Leistungen sind um einen Betrag für tatsächliche Mehraufwendungen zu kürzen; § 1610 a BGB und die darauf verweisenden § 1578 a und § 1361 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. BGB sind insoweit zu beachten.
2.8. Pflegegeld
Einkommen ist der Anteil des Pflegegelds bei der Pflegeperson, durch den ihre Bemühungen abgegolten werden; bei Pflegegeld aus der Pflegeversicherung gilt dies nach Maßgabe des § 13 Abs. 6 SGB XI.
2.9. Leistungen der Grundsicherung
Beim Verwandtenunterhalt sind in der Regel Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 41 – 43 SGB XII als Einkommen des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen. Dies gilt nicht für den Ehegattenunterhalt.
2.10. Sozialhilfe
Kein Einkommen wegen des Anspruchsübergangs nach § 94 SGB XII ist die vom Unterhaltsberechtigten bezogene Sozialhilfe. Die Unterhaltsforderung eines Empfängers dieser Leistungen kann in Ausnahmefällen treuwidrig sein.
2.11. Unterhaltsvorschuss
Kein Einkommen sind Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Die Unterhaltsforderung eines Empfängers dieser Leistungen kann in Ausnahmefällen treuwidrig sein.
3. Kindergeld
Kindergeld zählt nicht zum Einkommen. Es wird nach Maßgabe des § 1612 b BGB auf den Barbedarf des Kindes angerechnet.
4. Geldwerte Zuwendungen des Arbeitgebers
Geldwerte Zuwendungen aller Art des Arbeitgebers, z.B. Firmenwagen oder freie Kost und Logis, sind Einkommen, soweit sie entsprechende Eigenaufwendungen ersparen.
5. Wohnwert
Der Wohnvorteil durch mietfreies Wohnen im eigenen Heim ist als wirtschaftliche Nutzung des Vermögens unterhaltsrechtlich wie Einkommen zu behandeln. Neben dem Wohnwert sind auch Zahlungen nach dem Eigenheimzulagengesetz anzusetzen. Ein Wohnvorteil liegt nur vor, soweit der Wohnwert den berücksichtigungsfähigen Schuldendienst und erforderliche Instandhaltungskosten übersteigt. Auszugehen ist vom vollen Mietwert (Nettokaltmiete). Wenn es nicht möglich oder nicht zumutbar ist, die Wohnung aufzugeben und das Objekt zu vermieten oder zu veräußern, kann stattdessen die ersparte Miete angesetzt werden, die angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse angemessen wäre. Dies kommt insbesondere für die Zeit bis zur Scheidung in Betracht, wenn ein Ehegatte das Eigenheim allein bewohnt.
6. Haushaltsführung
Führt jemand einem leistungsfähigen Dritten den Haushalt, so ist hierfür ein Einkommen anzusetzen; dies gilt nicht im Falle der Haushaltsführung durch einen voll Erwerbstätigen.
7. Einkommen aus unzumutbarer Erwerbstätigkeit
Einkommen aus unzumutbarer Erwerbstätigkeit kann nach Billigkeit ganz oder teilweise unberücksichtigt bleiben.
8. Freiwillige Zuwendungen Dritter
Freiwillige Zuwendungen Dritter (z.B. Geldleistungen, kostenloses Wohnen) sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen, es sei denn, dies entspricht dem Willen des Dritten.
9. Erwerbsobliegenheit und Einkommensfiktion
Einkommen können auch bei Arbeitslosigkeit des Unterhaltsverpflichteten aufgrund einer unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheit erzielbare Einkünfte sein (fiktives Einkommen).
10. Bereinigung des Einkommens
10.1. Steuern und Vorsorgeaufwendungen
Vom Bruttoeinkommen sind Steuern, Sozialabgaben und/oder angemessene Vorsorgeaufwendungen abzusetzen (Nettoeinkommen). Es besteht die Obliegenheit, Steuervorteile in Anspruch zu nehmen (z.B. Eintragung eines Freibetrags bei Fahrtkosten, für unstreitigen oder titulierten Unterhalt).
10.2. Berufsbedingte Aufwendungen
Berufsbedingte Aufwendungen, die sich von den privaten Lebenshaltungskosten nach objektiven Merkmalen eindeutig abgrenzen lassen, sind im Rahmen des Angemessenen vom Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit abzuziehen.
10.2.1.Pauschale/Konkrete Aufwendungen
Bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte kann eine Pauschale von 5 % des Nettoeinkommens monatlich angesetzt werden. Übersteigen die berufsbedingten Aufwendungen diese Pauschale oder liegt ein Mangelfall vor, so sind sie im Einzelnen darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen.
10.2.2.Fahrtkosten
Für die notwendigen Kosten der berufsbedingten Nutzung eines Kraftfahrzeugs kann der nach den Sätzen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG anzuwendende Betrag (derzeit 0,42 Euro) pro gefahrenen Kilometer angesetzt werden. Damit sind in der Regel Anschaffungs-, Reparatur- und sonstige Betriebskosten erfasst. Bei langen Fahrtstrecken (ab ca. 30 km einfach) kann nach unten abgewichen werden, in der Regel auf 2/3 des vorbezeichneten Betrages (derzeit 0,28 Euro).
10.2.3.Ausbildungsaufwand
Die Ausbildungsvergütung eines in der Berufsausbildung stehenden Kindes, das im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils wohnt, ist vor ihrer Anrechnung in der Regel, sofern für eine derartige Schätzung hinreichende Anhaltspunkte bestehen, um einen ausbildungsbedingten Mehrbedarf von 10 %, maximal 100 Euro zu kürzen.
10.3. Kinderbetreuung
Kinderbetreuungskosten sind abzugsfähig, soweit die Betreuung durch Dritte infolge der Berufstätigkeit erforderlich ist. Außerdem kann ein Kinderbetreuungsbonus angesetzt werden.
10.4. Schulden
Berücksichtigungswürdige Schulden (Zins und Tilgung) sind im Rahmen eines vernünftigen Tilgungsplanes in angemessenen Raten abzuziehen. Beim Verwandtenunterhalt sowie bei Prüfung der Leistungsfähigkeit oder Bedürftigkeit für den Ehegattenunterhalt erfolgt eine Abwägung nach den Umständen des Einzelfalls. Bei der Zumutbarkeitsabwägung sind Interessen des Unterhaltsschuldners, des Drittgläubigers und des Unterhaltsgläubigers, vor allem minderjähriger Kinder, mit zu berücksichtigen. Kann der Unterhaltsschuldner den Mindestunterhalt minderjähriger Kinder nicht decken, sind Schulden in der Regel nur bis zur Höhe des pfändbaren Betrages nach § 850 c Abs. 1 Satz 2 ZPO (evtl. in Verb. mit den §§ 36 Abs. 1 Satz 2, 89 Abs. 2 InsO) zu berücksichtigen.
10.5. Unterhaltsleistungen
Unterhaltsleistungen an vorrangig Berechtigte sind vorweg abzuziehen; Unterhaltsleistungen an nachrangige Berechtigte sind angemessen zu berücksichtigen.
10.6. Vermögensbildung
Vermögensbildende Aufwendungen sind im angemessenen Rahmen abzugsfähig.
II. Kindesunterhalt
11. Bemessungsgrundlage (Tabellenunterhalt)
Der Barunterhalt minderjähriger und noch im elterlichen Haushalt lebender volljähriger unverheirateter Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres bestimmt sich nach der Tabelle zum Kindesunterhalt im Anhang 1 und – unter Verrechnung des Kindergeldes gemäß Nr. 14 – nach der Unterhaltstabelle – Zahlbeträge im Anhang 2 zu diesen Leitlinien. Bei minderjährigen Kindern kann der Barunterhalt als Festbetrag oder, wie im Anhang 1 und 2 tabellarisch dargestellt, gemäß § 1612 a BGB als Prozentsatz des jeweiligen Mindestunterhalts geltend gemacht werden.
11.1. Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge
Die Tabellensätze enthalten keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für das Kind, wenn dieses nicht in einer gesetzlichen Familienversicherung mitversichert ist. Das Nettoeinkommen des Verpflichteten ist um solche zusätzlich zu zahlenden Versicherungskosten zu bereinigen.
11.2. Eingruppierung
Die Tabellensätze sind auf den Fall zugeschnitten, dass der Unterhaltspflichtige zwei Berechtigten Unterhalt zu gewähren hat. Bei einer größeren oder geringeren Anzahl Unterhaltsberechtigter sind in der Regel Ab- oder Zuschläge durch Einstufung in eine niedrigere oder höhere Einkommensgruppe vorzunehmen.
12. Minderjährige Kinder
12.1. Betreuungs-/Barunterhalt
Der Betreuungsunterhalt im Sinne des § 1606 Abs. 3 S.2 BGB entspricht wertmäßig in der Regel dem vollen Barunterhalt. Deshalb wird ein Einkommen des Kindes bei beiden Eltern, ggfs. nach Abzug eines ausbildungsbedingten Mehrbedarfs (vgl. Nr. 10.2.3), hälftig angerechnet.
12.2. Einkommen des Kindes
Einkommen des Kindes wird bei beiden Eltern hälftig angerechnet.
12.3. Beiderseitige Barunterhaltspflicht/Haftungsanteil
Der das Kind betreuende Elternteil braucht in der Regel neben dem anderen Elternteil keinen Barunterhalt zu leisten, es sei denn, sein Einkommen ist bedeutend höher als das des anderen Elternteils (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB) oder der eigene angemessene Unterhalt des sonst allein barunterhaltspflichtigen Elternteils ist gefährdet (§ 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB). Im letzteren Fall kann jedoch nach der so genannten „Hausmann”-Rechtsprechung eine Haftung in Betracht kommen. Der Verteilungsschlüssel kann ggfs. unter Berücksichtigung des zusätzlichen Betreuungsaufwandes eines Elternteils wertend verändert werden. Sind bei auswärtiger Unterbringung des Kindes beide Eltern zum Barunterhalt verpflichtet, haften sie anteilig nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB für den Gesamtbedarf (Nr. 13.3). Bei vergleichbarer wirtschaftlicher Lage ist insoweit hinsichtlich Bedarf und Bedürftigkeit des Kindes die Regelung für volljährige Schüler, Studenten und Auszubildende entsprechend anzuwenden (Nr. 13).
12.4. Zusatzbedarf
Bei Zusatzbedarf (Prozesskostenvorschuss, Mehrbedarf, Sonderbedarf) gilt § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB (s. Nr. 13.3).
13. Volljährige Kinder
13.1. Bedarf
13.1.1.Kinder ohne eigenen Hausstand
Volljährige Schüler, Studenten und Auszubildende, die noch im Haushalt eines Elternteils wohnen, erhalten den Tabellenbetrag der vierten Altersstufe bis zur Beendigung der Ausbildung. Der Bedarf des Kindes bestimmt sich in der Regel, sofern beide Elternteile leistungsfähig sind, nach dem zusammengerechneten Einkommen beider Elternteile; Nr. 11.2 findet keine Anwendung.
13.1.2.Kinder mit eigenem Hausstand
Der angemessene Bedarf eines volljährigen Kindes mit eigenem Hausstand beträgt in der Regel 930 Euro monatlich. Darin enthalten sind Kosten für Unterkunft und Heizung bis zu 410 Euro, jedoch keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Von diesem Betrag kann bei erhöhtem Bedarf oder mit Rücksicht auf die Lebensstellung der Eltern abgewichen werden.
13.2. Einkommen des Kindes
Auf den Unterhaltsbedarf werden Einkünfte des Kindes, auch BAföG-Darlehen und Ausbildungsbeihilfen (gekürzt um ausbildungsbedingte Aufwendungen, vgl. Nr. 10.2.3) angerechnet. Bei Einkünften aus unzumutbarer Erwerbstätigkeit gilt § 1577 Abs. 2 BGB entsprechend.
13.3. Beiderseitige Barunterhaltspflicht/Haftungsanteil
Die anteilige Barunterhaltspflicht beider Elternteile bestimmt sich nach Maßgabe des § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB, geht jedoch für den einzelnen Elternteil nicht über den Unterhaltsbetrag hinaus, der sich allein nach seinem Einkommen aus der Unterhaltstabelle (Anhang) ergibt. Vor Berechnung des Haftungsanteils nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB ist das Nettoeinkommen jedes Elternteils gemäß Nr. 10 zu ermitteln. Außerdem ist vom Restbetrag ein Sockelbetrag in Höhe des angemessenen Selbstbehalts (1650 €) oder, sofern es um Unterhaltsansprüche privilegierter Volljähriger gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB geht, des (entweder 1.370 € oder 1.120 € betragenden) notwendigen Selbstbehalts abzuziehen.
14. Verrechnung des Kindergeldes
Kindergeld mindert nach Maßgabe des § 1612 b BGB den Barbedarf des Kindes.
III. Ehegattenunterhalt
15. Unterhaltsbedarf
15.1. Bedarf nach ehelichen Lebensverhältnissen
Bei der Bedarfsbemessung dürfen nur eheprägendes Einkommen und grundsätzlich nur eheprägende Schulden voll berücksichtigt werden. Bei Aufnahme oder Erweiterung einer Erwerbstätigkeit nach Trennung oder Scheidung gilt das (Mehr-)Einkommen als prägend.
15.2. Halbteilung und Erwerbstätigenbonus
Es gilt der Halbteilungsgrundsatz, wobei jedoch Erwerbseinkünfte nur zu 90 % zu berücksichtigen sind (Abzug von 1/10 Erwerbstätigenbonus vom bereinigten Nettoeinkommen). Leistet ein Ehegatte auch Unterhalt für ein Kind und hat dies die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt, so wird sein Einkommen vor Ermittlung des Erwerbstätigenbonus um diesen Unterhalt (Zahlbetrag) bereinigt. Erbringt der Verpflichtete sowohl Bar- als auch Betreuungsunterhalt, so gilt Nr. 10.3 entsprechend.
15.3. Konkrete Bedarfsbemessung
Bei sehr guten Einkommensverhältnissen des Pflichtigen kommt eine konkrete Bedarfsberechnung in Betracht.
15.4. Vorsorgebedarf/Zusatz- und Sonderbedarf
Werden Altersvorsorge-, Kranken- und Pflegeversicherungskosten vom Berechtigten gesondert geltend gemacht oder vom Verpflichteten bezahlt, sind diese von dem Einkommen des Pflichtigen vorweg abzuziehen. Der Vorwegabzug unterbleibt, soweit nicht verteilte Mittel zur Verfügung stehen, z. B. durch Anrechnung nicht prägenden Einkommens des Berechtigten auf seinen Bedarf.
15.5. Trennungsbedingter Mehrbedarf
Trennungsbedingter Mehrbedarf kann zusätzlich berücksichtigt werden.
16. Bedürftigkeit
Eigene Einkünfte des Berechtigten sind auf den Bedarf anzurechnen, wobei das bereinigte Nettoerwerbseinkommen um den Erwerbstätigenbonus zu vermindern ist.
17. Erwerbsobliegenheit
17.1. Erwerbsobliegenheit bei Kindesbetreuung
Die Erwerbsobliegenheit des Ehegatten, der minderjährige Kinder betreut, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Dabei ist insbesondere auf die Zahl der Kinder und deren Alter, auf etwaige Schulprobleme und andere Betreuungsmöglichkeiten abzustellen (vgl. § 1570 BGB). Geht der unterhaltsberechtigte Ehegatte über das an sich zumutbare Maß hinaus einer Erwerbstätigkeit nach, so richtet sich die Anrechenbarkeit seines dadurch erzielten Einkommens auf den Unterhaltsanspruch nach § 1577 Abs. 2 BGB.
17.2. Erwerbsobliegenheit bei Trennungsunterhalt
In der Regel besteht für den Berechtigten im ersten Jahr nach der Trennung keine Obliegenheit zur Aufnahme oder Ausweitung einer Erwerbstätigkeit.
IV. Weitere Unterhaltsansprüche
18. Ansprüche aus § 1615 l BGB
Der Bedarf der Mutter oder des Vaters eines nichtehelichen Kindes richtet sich nach der Lebensstellung des betreuenden Elternteils (§§ 1615 l Abs. 3 Satz 1, 1610 BGB) und beträgt in der Regel mindestens 1.120 Euro.
19. Elternunterhalt
Für die Unterhaltsverpflichtung gegenüber Eltern gilt ein erhöhter angemessener Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Kindes gemäß § 1603 Abs. 1 BGB (vgl. Nr. 21.3.3). Beim Bedarf der Eltern sind Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 41 – 43 SGB XII zu berücksichtigen (vgl. Nr. 2.9).
20. Lebenspartnerschaft
Für den Unterhalt bei Getrenntleben der Lebenspartner gilt § 12 LPartG und für den Unterhalt bei Aufhebung der Lebenspartnerschaft § 16 LPartG.
V. Leistungsfähigkeit und Mangelfall
21. Selbstbehalt
21.1. Grundsatz
Es ist zu unterscheiden zwischen dem notwendigen (§ 1603 Abs. 2 BGB), dem angemessenen (§ 1603 Abs. 1 BGB), dem eheangemessenen (§§ 1361 Abs. 1, 1578 Abs. 1 BGB) sowie dem billigen Selbstbehalt (§ 1581 BGB). In dem jeweiligen Selbstbehalt sind unterschiedlich hohe Kosten für Unterkunft und Heizung enthalten (vgl. Nr. 21.5.2).
21.2. Notwendiger Selbstbehalt
Der notwendige Selbstbehalt gilt in allen Fällen der Inanspruchnahme als unterste Grenze. Er beträgt
– beim Nichterwerbstätigen 1.120 Euro und
– beim Erwerbstätigen 1.370 Euro.
Für Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern und diesen nach § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB gleichgestellten volljährigen Kindern gilt im Allgemeinen der notwendige Selbstbehalt.
21.3. Angemessener Selbstbehalt
Im Übrigen gilt beim Verwandtenunterhalt der angemessene Selbstbehalt.
21.3.1.Volljährige Kinder
Der angemessene Selbstbehalt gegenüber volljährigen Kindern beträgt in der Regel 1.650 Euro. Er kann nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere bei nichterwerbstätigen Unterhaltsschuldnern, herabgesetzt werden.
21.3.2.Ansprüche aus § 1615l BGB
Der angemessene Selbstbehalt gegenüber der Mutter oder dem Vater eines nichtehelichen Kindes beträgt in der Regel falls erwerbstätig 1.510 Euro und falls nicht erwerbstätig 1.385 Euro.
21.3.3.Elternunterhalt
Gegenüber Eltern als Unterhaltsberechtigten ist dem Unterhaltspflichtigen der angemessene Selbstbehalt zu belassen. Beim Elternunterhalt sind bei der Bemessung des angemessenen Selbstbehalts Zweck und Rechtsgedanken des Gesetzes zur Entlastung unterhaltspflichtiger Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigenentlastungsgesetz vom 10.12.2019 (Bundesgesetzblatt I S. 2135)) zu beachten.
21.4. Eheangemessener Selbstbehalt
Gegenüber Ehegatten gilt grundsätzlich ein eheangemessener Selbstbehalt falls erwerbstätig von 1.510 Euro und falls nicht erwerbstätig von 1.385 Euro. Eine Begrenzung auf den notwendigen Selbstbehalt (Nr. 21.2) kommt insbesondere bei Betreuung gemeinschaftlicher minderjähriger Kinder seitens des Unterhaltsberechtigten in Betracht.
21.5. Anpassung des Selbstbehalts
21.5.1.Beim Verwandtenunterhalt kann der jeweilige Selbstbehalt unterschritten werden, wenn der eigene Unterhalt des Pflichtigen ganz oder teilweise durch den Ehegatten gedeckt ist.
21.5.2.Im notwendigen Selbstbehalt sind Kosten für Unterkunft und Heizung (Wohnkosten) in Höhe von 520 Euro, im angemessenen Selbstbehalt in Höhe von 650 Euro enthalten. Der Selbstbehalt erhöht sich, wenn konkret eine erhebliche und nach den Umständen nicht vermeidbare Überschreitung dieser Wohnkosten dargelegt ist.
21.5.3.Besteht für den Verpflichteten ein Anspruch auf Wohngeld, ist dieser wohnkostenmindernd zu berücksichtigen (vgl. Nr. 2.3).
22. Bedarf des mit dem Unterhaltspflichtigen zusammenlebenden Ehegatten
22.1. Volljährige Kinder und Ansprüche aus § 1615 l BGB
Ist der Unterhaltspflichtige verheiratet, werden für den mit ihm zusammenlebenden Ehegatten im Regelfall als angemessener Eigenbedarf 1.320 Euro angesetzt.
22.2. Ehegattenunterhalt
Bei nachrangigen Unterhaltsansprüchen geschiedener Ehegatten beträgt der Mindestbedarf des mit dem Unterhaltspflichtigen in einem Haushalt lebenden Ehegatten falls erwerbstätig 1.208 Euro und falls nicht erwerbstätig 1.108 Euro.
23. Mangelfall
23.1. Grundsatz
Reicht der Betrag, der zur Erfüllung mehrerer Unterhaltsansprüche unter Berücksichtigung des Selbstbehalts des Verpflichteten (Nr. 21) zur Verfügung steht (Nr. 1 – 10), nicht aus, um alle Ansprüche zu erfüllen, so findet, sofern nicht ein Unterhaltsanspruch nach Maßgabe der §§ 1609, 1582, 1615 l Abs. 3 Satz 2 BGB vorgeht und ein anderer nur nachrangig Berücksichtigung findet, eine Mangelfallberechnung statt.
23.2. Einsatzbeträge
Die Einsatzbeträge für minderjährige unverheiratete Kinder und ihnen nach § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB gleichgestellte volljährige Kinder entsprechen dem Existenzminimum nach § 1612 a Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB abzüglich des nach § 1612 b BGB auf den Bedarf anzurechnenden Kindergeldes, das heißt den im Anhang 2 in der 1. Einkommensgruppe aufgeführten Unterhaltszahlbeträgen. Für den in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Unterhaltspflichtigen lebenden Ehegatten ist im Mangelfall der seiner jeweiligen Lebenssituation entsprechende notwendige Eigenbedarf (Nr. 22) als Einsatzbetrag zu berücksichtigen.
23.3. Berechnung
Bei der Mangelfallberechnung errechnet sich der gekürzte Unterhaltsanspruch aller gleichrangigen Unterhaltsberechtigten aus dem Quotienten von Verteilungsmasse und Summe der Einsatzbeträge, multipliziert mit dem jeweiligen Einsatzbetrag.
VI. Sonstiges
24. Rundung
Der Unterhaltsbetrag ist stets auf volle Euro aufzurunden.
25. Ost-West-Fälle
In so genannten Ost-West-Fällen richtet sich bis zum 31. Dezember 2007 der Bedarf nach dem Wohnort des Unterhaltsberechtigten, die Leistungsfähigkeit bzw. der Selbstbehalt nach dem Wohnort des Unterhaltspflichtigen.
26. Unterhaltsvereinbarungen
Unterhaltsvereinbarungen regeln im Zweifel lediglich den gesetzlichen Unterhalt.
27. Selbstbehalts- und Bedarfssätze
Eine Übersicht der nach den aktuellen Unterhaltsleitlinien maßgeblichen Selbstbehalts- und Bedarfssätze ist beigefügt als Anhang 3